Heidesilber. Herbert Weyand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbert Weyand
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847659464
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und …, indem sie einer falschen Person vertraute, zwischen die Fronten dubioser Gestalten geraten.«

      »Das weiß Kyra. Ich habe ihr erzählt, was du mir sagtest. Vertraue ihr, wie mir.« Argets zerklüftetes Gesicht wandte sich ihm zu. Er runzelte die fliehende Stirn.

      »Ich dachte, du hast nichts verstanden«, entgegnete Paul.

      Fasziniert betrachtete Griet, mittlerweile ungeniert, den Kauz. Sie konnte sich nicht losreißen. Eine Ahnung überkam sie. In Argets Augen erschien ein spöttisches Funkeln. Er rückte seine Figur in Positur, legte die überlangen Arme auf den Tisch und betonte dadurch den Buckel, den er hatte. »Ich denke, das Wichtigste ist die silberne Scheibe … oder eben ein Teller? …, die ihr gefunden habt. Darf ich sie sehen?«

      »Gern.« Griet reichte ihm die silberne Platte über den Tisch. »Ich hoffe, dass diese Zeichen die Existenz einer keltischen Schrift belegen.«

      Arget und Kyra tauschten einen erstaunten Blick, als sie den Gegenstand sahen. Vorsichtig nahm Arget das Relikt und vertiefte den Blick auf die Oberfläche. Nach einer schier endlosen Zeit, so erschien es Griet, stand er auf und wanderte hin und her. Von diesem Augenblick an interessierte Griet der Keltenfund nicht mehr. Sie sah nur noch Arget ... und der war kein Mensch. Aber was? Etwas, dass sie kannte, jedoch nicht festmachen konnte. Die sehr langen Arme schlenkerten am Körper und der Gang sah unbeholfen und wiegend aus. Mit einer Hand federte er die Schaukelbewegungen des Körpers auf dem Boden ab. Ihre Gedanken glitten zum Gesicht. Was sie für eine fliehende Stirn hielt, gab es nicht. Anstatt der Nase befanden sich zwei Löcher in seinem Gesicht. Ein breitflächiges Antlitz ohne sichtbares Kinn. Das Gesicht war nicht geschaffen, um Gefühle zu zeigen. Aber sie sah die tiefe Nachdenklichkeit und den Ernst seiner Gedanken. Er trug Jeans und ein Shirt, das über den Oberkörper spannte.

      Arget hielt inne und reichte das Artefakt wortlos an Kyra. Sie nahm die Scheibe und legte sie auf den Tisch. Sie sah sie nicht an, sondern beobachtete ihn.

      »Was wisst ihr von den Kelten?«, fragte Kyra und runzelte nachdenklich die Stirn.

      »Nicht so viel, wie wir es uns wünschten. Vieles liegt im Dunkeln, weil sie scheinbar keine eigene Schrift besaßen. Zumindest haben wir nichts in der Art gefunden. Wir sind auf die Berichte der Griechen und Römer angewiesen. Also aus zweiter Hand und dadurch subjektiv aus deren Betrachtungsweisen und Kultur.« Griet beugte sich vor und betrachtete Kyra aufmerksam. »Wir vermuten, dass sie, wie kein anderes Volk, die Naturwissenschaft – also nicht nur die Natur – mit ihrem Glauben verwoben.«

      »Du vermutest. Nicht ich. Denk doch mal daran, welche Schwierigkeiten Kopernikus oder Galilei beim Beweis ihrer Thesen bekamen. Und mehr als fünfzehnhundert Jahre früher erfindest du ein Volk, das Naturwissenschaften kultiviert«, warf Paul bissig ein.

      »Ja genau«, gab sie giftig zurück. »Wie konnten die Ägypter ihre Pyramiden bauen und die Griechen sowie die Chinesen schon um 500 vor Christus mathematische Formeln entwickeln? Ebenso unwahrscheinlich muss es für dich sein, dass alle gefundenen Externsteine der Kelten genau nach den Gestirnen ausgerichtet sind.«

      »Ist ja gut«, erwiderte Paul zerknirscht und hob abwehrend die Hände. Er hatte sie noch nicht mal ins Bett bekommen und schon maßregelte sie ihn, wie einen Ehemann.

      »Die Kelten dachten monistisch, sie sahen die Welt ihrer Zeit als einzelnes Ganzes. Die Anderwelt, die für sie existierte, musste eine – wie das Wort sagt – andere sein. Für uns: die außerhalb existierende Welt. Das Universum oder etwas, das wir noch nicht kennen. Für die Kelten war die Anderwelt ein Bestandteil ihrer Welt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit und vor allen Dingen, mit welchen Mitteln der Kontakt in diese andere Ebene, sofern einer bestand, stattfand. Ja, ja Paul. Ich weiß, was du jetzt denkst. Mit Himmel und Hölle des christlichen Glaubens hat das nichts zu tun. Wie der Name schon sagt: Glaube, also nicht wissen. Die keltische Welt, vor allem die der Druiden, wandte Physik an. Belegbare Wissenschaft.«

      »Worauf willst du hinaus?«, fragte Paul. Kyra und Arget hörten sichtlich aufmerksam zu.

      »Ich wollte dir deutlich machen, dass Kelten durchaus in der Lage waren, den physikalischen Bestandteil der Anderwelt zu erkennen. Also die Sterne und sogar das Sonnensystem mit den damals bekannten Planeten. Jetzt aber zu dem, was mir persönlich wichtig ist. Die überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler, die sich mit meinem Fachgebiet beschäftigen, ist der Ansicht, dass die Geisteshaltung des Volkes, eine Entstehung einer eigenen Schrift verhinderte. Überlieferungen wurden von den Druiden gesammelt und weitergegeben. Wenn der Mensch verschied, starb er nicht. Er lebte später weiter. Damit will ich mich nicht abfinden. Es muss irgendetwas Schriftliches geben.«

      »Die Kelten haben nie die Frage nach dem Übersinnlichem gestellt. Sie sahen ihr Leben als etwas Werdendes, also bestand kein Ansatz, die Vergangenheit schriftlich zu überliefern«, sagte Kyra.

      »Das ist richtig. Aber weshalb sollten sie sich der griechischen oder lateinischen Schrift bedienen? Mir ist bekannt, dass die Sprache der Kelten eine fast magische Bedeutung hatte und als göttliche Kunst gesehen wurde. Nicht umsonst hatten sie mit Ogma einen eigenen Gott der Beredsamkeit. Und auch das keltische Alphabet der Iren, Ogham, stammt wahrscheinlich, der Bezeichnung nach, von dieser Gottheit.«

      »Die Sprache besaß nicht nur eine magische Bedeutung. Sie war vielmehr, gesellschaftlicher Ausdruck. Bei den Kelten wurde lediglich das unmittelbar Gesprochene anerkannt. Es mussten Normen eingehalten werden. Ja, die Sprache wurde sogar codiert«, warf Kyra ein.

      »Das ist mir bewusst«, Griet funkelte sie kampflustig an. »Es ist aber doch auch so, dass die Druiden von diesem Tabu ausgenommen wurden. Warum sollten sie fremde Alphabete benutzen? Für Händler gilt dies ebenso.«

      »Gut. So könnte die Diskussion jetzt stundenlang weitergehen.« Arget unterbrach selbstbewusst das Gespräch. »Ich denke ebenso wie Griet. Es ist nicht zu glauben, dass ein Volk, mit einer solchen Philosophie, nicht in der Lage gewesen sein soll oder es gar bewusst unterdrückte, Schriftliches zu fixieren.«

      »Ja denkst du denn, ich glaube das nicht«, fuhr Kyra Arget an. »Ich finde, Griet vertritt ihren Standpunkt gut.«

      »Was sollte das Ganze dann? Ist das ein Test?« Paul folgte erstaunt dem Wortwechsel.

      »Nein«, versicherte Kyra eilig. »Aber es ist seltsam, dass du dich an Arget wendest und ihm eine haarsträubende Geschichte von Grabräuberei und dubiosen Gaunern erzählst. Wärest du nicht auch misstrauisch? Wir kennen euch nicht.«

      »Wir euch auch nicht. Aber ich verstehe eure Zurückhaltung«, meinte Griet. »Die Geschichte ist schon sehr abenteuerlich. Aber nun zu unserem Fund«, sie nickte zum Tisch, auf dem die silberne Scheibe lag. »Könnt ihr uns dazu etwas sagen? Ich hatte vorhin den Eindruck, als habt ihr euch darüber verständigt. Es ist nur so ein Gefühl.«

      »Du beobachtest gut.« Arget grinste. Das Gesicht zog dabei eine fürchterliche Grimasse und sah dennoch liebenswert aus. »Wir stimmten uns wirklich ab. Ein Blick genügte. Nun zu eurer Scheibe. Ich deute die Symbole tatsächlich als Schriftzeichen. Jedoch wird es so gut wie unmöglich sein, sie zu entziffern. Falls diese Zeichen tatsächlich von den Kelten stammen, sind sie verschlüsselt, wie ihre Sprache.«

      »Und? Was tun wir jetzt?« Paul stand die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.

      »Falls ihr uns vertraut, lasst uns das Ding hier und wir untersuchen es genauer.« Kyra sprach Griet an, die Paul einen Blick zuwarf, der zustimmend nickte.

      »Gut. Bei euch ist der Fund im Moment besser aufgehoben. Wer weiß, was uns noch bevorsteht.«

      Kyra und Arget begleiteten die beiden zur Tür. Griet blieb draußen stehen und zeigte auf die Bäume, in deren Mitte eine Quelle entsprang.

      »So gewaltige Birken habe ich noch nie gesehen«, stellte sie fest.

      »Die haben einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Hier ist einer von vielen heiligen Orten der Vergangenheit unserer Gegend.«, bemerkte Kyra.

      »Es ist schön hier. Dieses Haus hier ist doch bestimmt auch uralt?«

      »Es wurde von einem meiner Vorfahren erbaut. So um 800