Die Zeitgenossen des Fabeldichters nahmen noch Anstand, den gemütlichen und liebenswürdigen Herrn, – den » bonhomme«, wie sie ihn nannten, und wie er noch jetzt genannt wird – in einem Atem mit Molière, Racine und Boileau zu nennen, mit jenen Dichtern, die sich an die höchste Aufgabe ihrer Kunst gewagt, weil Lafontaine ja nur einem unansehnlichen Genre seine liebevolle Pflege zugewandt habe; die späteren Geschlechter aber haben diese Unterscheidung nicht mehr gelten lassen wollen, und der kühnste und scharfsinnigste der französischen Kritiker unserer Zeit, Sainte Beuve, hat das vermessene Wort ausgesprochen: »Unser wirklicher Homer, der Homer der Franzosen, wer sollte es glauben, ist wahr und wahrhaftig Lafontaine! Causeries du Lundi, 7. Band, III. Aufl., S.519.« Lafontaine ist für ihn der letzte und größte der alten französischen Dichter.
Viele der Lafontaineschen Fabeln, die, wie man weiß, selbst ihrer großen Mehrzahl nach freie Nachdichtungen der Fabeln des Äsop und des Phädrus sind, sind schon seit langen Jahren ins Deutsche übersetzt und im Deutschen nachgeahmt worden; Gellert, Gleim, Lichtwer, Pfeffel, sogar Heinrich von Kleist, und viele andere haben einige der wirksamsten dieser Fabeln herausgegriffen und mehr oder minder frei nachzubilden gesucht. Einige davon, wie »Johann, der muntre Seifensieder«, »Eine kleine Grille sang einen ganzen Sommer lang« haben es auch bei uns zu einer großen Popularität gebracht; aber gerade diese haben durch den Übergang aus dem Französischen ins Deutsche den Charakter des Originals nahezu vollständig eingebüßt; es sind deutsche Gedichte geworden, zu denen Lafontaine nur die Anregung und einige glückliche Wendungen gegeben hat. Ernst Dohm hat den Versuch gemacht, von den sämtlichen Lafontaineschen Fabeln eine gewissenhafte literarische Übersetzung zu geben; und dieses kühne Unternehmen ist trotz der unglaublichen Schwierigkeiten, die es zu bewältigen galt, in geradezu unübertrefflicher Weise gelungen.
Ernst Dohm zeigt sich hier als ein Sprach- und Verskünstler ersten Ranges. Da er von dem sehr richtigen Standpunkt ausgeht, daß bei Lafontaine die Form das Wesentliche ist, so hat er sich bemüht, in seiner Übertragung diese Form in der vollsten Strenge zu erhalten, und zwar so peinlich, daß sogar jede Verszeile der Übersetzung genau so viel Silben zählt wie die korrespondierende Verszeile des Originals; daß die Reime ihrer Stellung und ihrem Charakter nach, als männliche oder weibliche, in der Übertragung den Reimen des Originals durchaus entsprechen; daß alle Eigentümlichkeiten des Rhythmus sich in der Übersetzung da einstellen, wo sie in der Originaldichtung hervortreten; ja, daß sogar gewisse Willkürlichkeiten und Freiheiten in der Sprache des Originals den anklingenden Ausdruck in der Übersetzung gefunden haben. Wenn Lafontaine z. B. sich mit einem schwachen Reim behilft, so hat Dohm ebenfalls sorglos gereimt; ist bei Lafontaine die Form aber gewählt und streng, so weist auch die Übersetzung diesen Charakter auf.
Um die Feinheiten und die außerordentliche Sorgfalt dieser Arbeit ins rechte Licht zu setzen, müssen wir einige Stellen aus dem Originale und aus der Dohmschen Übertragung hier wiedergeben. Wir wollen gerade diejenigen nehmen, welche Laharpe, der in Lafontaine den unübertroffenen Meister der französischen Sprache bewundert, als Muster anführt Cours de littérature, Bd. 8.. Kein französischer Dichter hat in der Tat den Vers mit einer solchen Leichtigkeit behandelt, wie Lafontaine. »Die Eintönigkeit, die man unserer Dichtung vorwirft,« sagt Laharpe, »verschwindet bei ihm ganz und gar. Nur am Wohlklange, nur an der reizvollen Harmonie, die mit dem Empfinden und dem Gedanken stets im Einklange ist, merkt man, daß er Verse schreibt. Er schaltet und waltet mit einer solchen Freiheit in den Reimen, daß die Wiederkehr nur ein Schmuck zu sein scheint, aber keine Notwendigkeit. Niemand hat wie er es verstanden, den Versen einen eigentümlichen Rhythmus zu geben; keiner hat mit der Cäsur eine solche Wirkung erzielt wie er. Die reizvollste Willkür herrscht in seiner ganzen Versifikation. Bei diesem Manne, der die Wahrheit über alles liebte und die Lüge über alles haßte, haben alle Empfindungen, alle Ideen den Akzent, der ihnen gebührt. Man darf sich auch nicht darüber wundern, daß ein Schriftsteller wie er, für den die Dichtung ein so gefügiges Werkzeug war, zu gleicher Zeit ein großer Maler sein mußte. Er versteht es, wahr und wahrhaftig mit dem Worte zu malen.« Hier ein Beispiel: Der Kampf zwischen der Mücke und dem Löwen.
Le quadrupède écume, et son œil étincelle;
Il rugit: on se cache, on tremble à l'environ,
Et cette alarme universelle
Est l'ouvrage d'un moucheron.
Un avorton de mouche en cent lieux le harcelle;
Tantôt pique l'échine, et tantôt le museau,
Tantôt entre au fond du naseau.
La rage alors se trouve à son faîte montée.
L'invisible ennemi triomphe et rit de voir,
Qu'il n'est griffe ni dent en la bête irritée
Qui de la mettre en sang ne fasse son devoir.
Le malheureux lion se déchire lui-même,
Fait résonner sa queue à la l'entour de ses flancs,
Bat l'air qui n'en peut mais; et sa fureur extrême
Le fatigue, l'abat: le voilà sur les dents.
Die Übersetzung von Ernst Dohm lautet:
Er schäumt, und Funken sprüht das Aug' des wilden Recken:
Er brüllt, und rings umher erzittert Tal und Berg; Und dieser allgemeine Schrecken
Ist einer kleinen Mücke Werk.
An hundert Stellen sucht das Mücklein ihn zu necken:
Bald sticht's am Rücken ihn, bald macht's am Maul ihm Pein,
Bald kriecht's ihm in die Nas' hinein.
Nun hat des Löwen Wut erreicht den höchsten Gipfel;
Der unsichtbare Feind, wie triumphiert er jetzt,
Da Klaue nicht noch Zahn, kurz, nicht der kleinste Zipfel
Des schmerzgequälten Tiers mehr heil und unverletzt!
Der arme Leu zerfleischt sich selber, an die Weichen
Schlägt er den mächt'gen Schweif, er schlägt in kind'schem Sinn
Selbst die unschuld'ge Luft. Dies Wüten ohnegleichen
Erschöpft ihn, macht ihn matt, und bald ist er ganz hin!
Man vergleiche aufmerksam diese Übersetzung mit dem Original, und man wird schon hier die Bestätigung des vorher Gesagten finden: wie tatsächlich Silbe für Silbe übersetzt ist, ohne daß dadurch der Sprache der Übersetzung irgendwie Gewalt angetan wäre. Ein anderes, ein anmutigeres Bild:
Pérette, sur sa tête ayant un pot au lait,
Bien posé sur un coussinet,
Prétendait arriver sans encombre à la ville.
Légère et court vêtue, elle allait à grands pas,
Ayant mis ce jour-là, pour être plus agile,
Cotillon simple et souliers plats.
Diese Fabel gehört zu denen, die Gleim übersetzt, oder vielmehr, so gut er es vermocht, nachzudichten versucht hat. Bei ihm fängt die Geschichte so an:
Auf leichten Füßen lief ein artig Bauernweib,
Geliebt von ihrem Mann, gesund an Seel' und Leib,
Frühmorgens nach der Stadt und trug auf ihrem Kopfe
Vier Stübchen süße Milch in einem großen Topfe.
So geht's weiter; immer dieselbe biedere Schwatzhaftigkeit, dieselbe hausbackene Reimschmiederei. Bei Dohm heißt es:
Vorsichtig trug Perette 'nen milchgefüllten Topf
Auf einem Kissen auf dem Kopf;
Sie hofft ohn' Hindernis glücklich zur Stadt zu eilen.
Ganz leicht und kurz geschürzt, geht schnellen Schritts sie zu.
An Kleidung trug sie heut, um sich nicht zu verweilen,
Nur einen Rock und flache Schuh.
Auch