Ich sah hier ein schlagendes Beispiel von der wilden Energie, mit der gegen eine dem Untergang geweihte und in den letzten Todeszuckungen liegende Menschenrasse der vernichtende Stoß geführt wird. Ich konnte vor Grauen nicht essen, trotz des Hungers, den ich gefühlt hatte“ (S. 269). Eine solche Anmerkung ist jedoch in diesen frühen Indianererzählungen Karl Mays, wie bereits erwähnt, sehr selten.
Erwähnenswert wäre noch die Gestalt eines Mannes, der der „Shatter“ genannt wurde, was mit „Zertrümmerer“ übersetzt wird. Dieser Westmann hatte seinen Namen von seiner Kampfweise erhalten. „Er schlug nicht mit der Schneide, sondern mit dem Kopf seiner fürchterlichen Waffe; (Anmerkung: Es handelt sich um ein Beil) jeder Hieb zerschmetterte den Schädel des Getroffenen unfehlbar in knirschende Stücke“ (S. 272). Es ist möglich, dass Karl May, als er an die „Formung“ seines Helden Old Shatterhand ging, dieses Vorbild wieder aufgegriffen und gemäß der inzwischen erfolgten Wandlung des Old Shatterhand auch seine Waffen änderte. Wie bekannt, schlug Shatterhand mit der bloßen Faust seine Gegner bewusstlos und erhielt auf diese Weise seinen Kriegsnamen. Diese Kampfweise passt auch besser zu dem späteren „Erzähler“, zu der Figur des Old Shatterhand, der eher zum Verzeihen denn zum Töten bereit ist. Im Ganzen betrachtet ist die Erzählung von den beiden „Both Shatters“ nur eine Abwandlung des Firehand-Themas. Man sollte vielleicht noch erwähnen, dass der Anführer dieser Westmänner mit „Cornel“ bezeichnet wird. Man erinnert sich an den „Cornel“ aus dem „Schatz im Silbersee“, der im Gegensatz zu diesem eine Verbrecherbande anführte, die Tramps.
Auch die im Band 71 enthaltene Erzählung „Ein Selfmademan“ spielt in Amerika, hat jedoch einen anderen Inhalt als die bisher erwähnten Geschichten. 1878 wurde sie in den „Frohen Stunden“ abgedruckt. Vom Stil her unterscheidet sie sich schon von den vorher erwähnten insofern, dass der Erzähler den Leser mit einbezieht, als würde er sich direkt mit ihm unterhalten. Das heißt, er spricht den Leser zwischendurch „an“. Erstmalig wird der Name des Erzählers erwähnt: Timm Summerland. Dieser Mann kann jedoch nicht mit den anderen Erzählerfiguren verglichen werden, er ist sozusagen eine „einmalige Schöpfung“ Karl Mays. Summerland trifft Abraham Lincoln und erlebt zwei Abenteuer mit ihm, wobei er sich besonders für seine frühere Freundin, einen Mischling, einsetzt. Von der Veröffentlichung dieser Geschichte bis zum dreiteiligen „Winnetou“ sollten noch rund 16 Jahre vergehen, in denen Karl May hin und wieder die alten Motive aufgriff und umarbeitete, so z.B. das Ölbrand-Thema im Jahre 1883, das Ölprinz-Thema (Der Ölprinz, 1877) für die Jugenderzählung „Der Ölprinz“ 1893. Auch die Erzählung „Der Scout“ (1888) greift einige der alten Themen wieder auf und wird schließlich von May selbst für die erste Hälfte des Bandes „Winnetou II“ umgearbeitet. Auch in dieser Erzählung standen sich der Erzähler und Winnetou anfangs feindlich gegenüber. Nach einem Kampf jedoch wurde daraus echte Freundschaft, und der hier geschilderte Winnetou kommt dem späteren „Edelmenschen“ schon sehr nahe. Zwar ist er auch noch hier ein „richtiger Indianer“, der kämpft und tötet. Der spätere Winnetou hätte Mittel gefunden, das Blutvergießen zu verhindern, doch so erscheint er dem Leser auch noch in der eingearbeiteten Fassung im „Winnetou II, S. 310. Die Wandlung Winnetous zum Christen vollzieht sich für den Leser kaum spürbar mehr im „Hintergrund“ und im Unterschwelligen der Erzählung „Winnetou III“. Für manchen Leser mag daher auch das Bekenntnis des sterbenden Apachen: „Winnetou ist ein Christ“ überraschend gekommen sein. Karl May hat die Wandlung des wilden Kriegers, also des Gewaltmenschen, wie er es später nannte, nicht mit aller Konsequenz durchgeführt. Umso mehr hat er versucht, dies in den späteren Erzählungen, in denen Winnetou wieder erscheint, nachzuholen. May schrieb in einem Brief an seinen Verleger Fehsenfeid (bei: Raddatz, Das abenteuerliche Leben Karl Mays) vom 15.10.1892: „Das, was bis jetzt über Winnetou erschienen ist, könnte später in irgendwelchem Gewand erscheinen; es ist wirklich nicht leicht, diese zusammenhanglosen Einzelerzählungen, die nur für den Mausschatz ‘ berechnet waren, so zusammenzufassen, dass sie als einziger Guss und Fluss erscheinen…“ Aus dem bisher dargestellten kann man schließen, dass May nach Beendigung des Winnetou Komplexes vorerst nicht an weitere Abenteuer mit dem edlen Häuptling gedacht hat, der Leser muss Abschied nehmen, wie schon früher bei den Einzelerzählungen. Dass er (nach der heutigen Ausgabe gemessen) noch in rund 15 Bänden wieder auftaucht (die Bände mit Einzelerzählungen wurden mitgezählt), hatte sich Karl May wohl zur Zeit der Bearbeitung des Romanstoffes (1892) trotz der zitierten Briefstelle nicht gedacht. Eine besonders ausführliche Beschreibung des Apachenhäuptlings finden wir in der Erzählung „Weihnacht“, Bd. 24 (Radebeul, 5970. Tsd.), S. 276 ff.
„Er trug, wie auch ich stets… einen aus Elkkeder gefertigten Jagdanzug von indianischem Schnitt, an den Füßen leichte Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten und seltengeformten Nuggets geschmückt waren… Sein reiches, dichtes, bläulich schwarzes Haar war auf dem Kopfe zu einem hohen, helmartigen Schopf geordnet und fiel von da aus, wenn er im Sattel saß, wie eine Mähne oder ein dichter Schleier fast bis auf den Rücken des Pferdes herab… Einen Bart trug er nicht; in dieser Beziehung war er ganz Indianer. Darum war der sanfte, liebreich milde und doch so energische Schwung seiner Lippen stets zu sehen, dieser halbvollen, ich möchte sagen, küßlichen Lippen…“
In der Erzählung „Am Jenseits“ (Bd. 25) schließlich wird Winnetou als Mensch mit übersinnlichen Veranlagungen dargestellt: „Winnetou, der nüchternste, der hell und scharf denkende rote Mann, war gewiss kein Phantast, aber zuweilen, wenn wir miteinander im nächtlichen Dunkel lagen, rings von Gefahren umgeben, da geschah es, dass er die Hand hob, um grüßend rundum zu winken, und als ich ihn einst fragte, warum er das tue, antwortete er: ‚Mein weißer Bruder frage nicht! Wir sind beschützt, das mag dir genügen!'„ (S. 340) Der Leser wird sich erinnern, wie schwermütig Winnetou vor der letzten Schlacht (W.III) angesichts düsterer Vorahnungen wurde.
Auch muss hier unbedingt Band 33 der Gesammelten Werke, „Winnetous Erben“ erwähnt werden, der früher unter der Bezeichnung „Winnetou IV“ herausgegeben wurde. In diesem Band schildert Karl May, wie er gemeinsam mit seiner zweiten Frau die „alten Stätten“ aufsucht, die „Old Shatterhand“ damals durchstreift hatte und auf das Denkmal stößt, das zu Ehren Winnetous errichtet wurde. Entsetzt musste er feststellen, dass das Denkmal den kriegerischen Winnetou darstellte, so, wie er den meisten Lesern aus den früheren Erzählungen bekannt war. Man hatte also nicht verstanden, was Karl May mit dieser Gestalt wollte! Zum einen sollte der heldenmütige Kampf der Roten Rasse dargestellt werden, die dem Untergang nicht entgehen konnte. Aber zum anderen sollte in den späteren Erzählungen gezeigt werden, wie der Gewaltmensch, der seinen Feind ohne Bedenken tötete, sich mit den blutigen Skalps schmückte, wie dieser Mensch sich zur „Liebe und Barmherzigkeit“ des Christentums bekannte und zum Edelmenschen reifte. Ein Thema, das Karl May besonders in seinem allegorischen