Was bleibt über das Aufzeigen einer geschichtskontinuierlichen Entwicklung des deutschsprachigen Heftromans in den ersten sieben Jahrzehnten unseres Jahrhunderts sowie eine bescheidene Wertanalyse hinaus zu sagen? Zunächst einmal, dass keineswegs alles Erwähnung finden konnte, was in dieser Zeit dem Leser angeboten wurde. Lediglich ein allgemeiner Überblick sollte aufgezeigt werden, der subjektive Fragen durchaus offenlassen kann. Wollte man Vollständigkeit erreichen, wären noch viele andere Namen zu nennen. Außerdem wird die Erinnerung dem einzelnen stets das bringen, was er in einem bestimmten Jugendabschnitt selbst kennengelernt hat. Die Generationsgebundenheit ist gerade auf dem Gebiet des Heftromans mit seinen sich ablösenden Titelgestalten sehr klar erkennbar. Ganz sicher gibt es Untersuchungsziele, die hier nicht einmal angedeutet werden konnten – sie mögen späteren, intensiveren Lotungen vorbehalten bleiben. Die Kontaktversuche von Heftverlagen zur Leserschaft, die in den dreißiger Jahren zum Beispiel zur Auslobung einer ‚Pongo-Anstecknadel‘ für treue Torring-Leser führten, gehören ebenso dazu wie das Angebot von „John Kling – Jones Burthe“-Bildern um 1930. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es weitere Versuche, mittels Preisausschreiben und durch Ansteckplaketten mit dem Heldenkonterfei engeren Kontakt zum meist jugendlichen Publikum zu finden. Diese Zeiten sind vorüber; auch die Heftverlage konnten eine Entwicklung nicht negieren, die straffe Betriebsführung mit Management und Marketing brachte. Anstelle dilettantisch wirkender Verbundenheitsgesten per Knopflochzeichen werden uns heute seitenweise artferne Reklameangebote in den Heften mitgeliefert. Jedoch auch das – es soll ja alles schon einmal dagewesen sein – konnte bereits der Leser von großformatigen Serien vor dem Ersten Weltkrieg in Teilen seiner Periodika finden. Wenn heutzutage noch ein gewisses Frage-Antwort-Spiel zwischen Lesern und Herausgebern in Heften des utopischen Sektors stattfindet, dann scheint mir das ein Relikt jener Verlegervorstellungen zu sein, die einen direkten Dialog mit dem Käufer für nützlich ansahen. Auf diese Weise sind in der Serie „Berühmte Indianerhäuptlinge“ schon im Jahre 1909 Fragen des Indianerkomplexes coram publico diskutiert worden. Um zum Abschluss noch einmal den Bogen zwischen den beiden Begrenzungsfiguren dieses Berichtes – Nicholas Carter und Jeremias Cotton – zu schlagen, seien die eigentümlichen Übereinstimmungen erwähnt, denen beide unterliegen: Carter wie Cotton kamen mit den Berichten ihrer fiktiven Erlebnisse aus den USA zu uns; dieser wie jener stellte sich dem deutschen Lesepublikum per Faksimileunterschrift vor; hier wie dort verzichteten die Verlage Eichler, Dresden, und Bastei, Bergisch-Gladbach, auf die Nennung von Autoren oder Pseudonymen. Die Veröffentlichung der interessantesten Fälle aus dem Tagebuch des Meisterdetektivs Carter sollte ebenso auf ihn selbst fixiert bleiben wie die Vision eines persönlich berichtenden FBI-Mannes und Gangsterjägers Cotton.
Nehmen wir dieses gewiss zufällige Zusammentreffen von Vorstellungen als symbolisches Synonym, als streiflichtartige Erkenntnis, dass trotz mannigfacher Veränderungen in den Jahrzehnten seines Bestehens der Heftroman die Grundkonzeption seines Wollens nie verließ: Entspannung durch Spannung! Mögen sich Wertvorstellungen und allgemeines Lebensgefühl gewandelt, mögen technische Errungenschaften oder humanitäre Erkenntnisse die Basissituationen der Serien beeinflusst, sie sogar verändert haben – im Grunde ist der Heftroman noch immer der nuancenreiche Unterhalter, als der er um die Jahrhundertwende zu seinen Lesern kam. Dass er inzwischen, nachdem in den
zwanziger Jahren der Rundfunk und nach dem Zweiten Weltkrieg das Fernsehen nicht mehr „Alleinunterhalter“ sein konnte, wollten manche Stimmen schon zu seinem Todesurteil ummünzen. Nun, noch lebt der Heftroman, auch wenn er möglicherweise in näherer oder fernerer Zukunft unter die Fittiche seines zwar jüngeren, dennoch größeren Bruders, des milieuidentischen Taschenbuches schlüpfen muss. Doch das ist zu nicht geringem Teil eine Frage der Kostenentwicklung, deren Beantwortung nicht allein bei den Herstellern von Heftlektüre liegen kann, da sie allgemeinen Charakters ist.
Wer also einem Lesestoff nicht gram sein kann, der oft in schlimmen Niederungen von Sprache und Habitus weilte und dennoch stets das Hohelied des Sieges der Vernunft, der Wohlanständigkeit sang, der nie müde wurde, einer Fata Morgana ewiger Gerechtigkeit nachzujagen in einer Welt, die in Wirklichkeit so weit von der Erfüllung dieses Ideals entfernt ist, der drücke dem Heftroman die Daumen. Vielleicht kann er tatsächlich, wenn man ihm etwas hinter die bizarre Fassade sieht, auch unter veränderten Vorzeichen ein Produzent von Träumen sein. Denn wird nicht auch in ihm, der endlich jedes Rätsel transparent werden ließ, der die schwingende Waage menschlichen Erlebens jedes Mal für eine kurze Weile auspendelte – bevor mit dem nächsten Heft das neue Geheimnis entstand – wird also nicht auch in ihm ein Zipfel jenes imaginären Zielglaubens sichtbar, der trotz allem hoffen lässt? Wenn diese Frage für einen Wimpernschlag den langen Weg erhellen kann, von Carter bis Cotton und damit vom Großvater zum Enkel, die sie als Hefte in Händen hielten, wenn für den Moment des Augenblickes die Fäden sichtbar würden, die Vordergründiges verstellt hält, bin ich guter Dinge…
Rudolf K. Unbescheid
Marco Polo in Preußen. Über den „ältesten“ deutschen Reisebericht.
Der mündig und selbstbewusst gewordene Bürger hatte begonnen, sein irdisches Leben nüchtern und tätig auszugestalten. Kein Wunder, dass er dem Unterhaltungsbedürfnis wenig Raum lassen mochte. Belehrung war ihm wichtiger. Die nächsten Realitäten, das hieß Erde und Welt, Enge und Weite, mussten erfahren werden. An jedem geschichtlichen Ereignis, an jeder neuen Welterkenntnis nahm er regen Anteil. Neben ein vielschichtiges Fachschrifttum und eine reiche Chronikliteratur rückte die Reisebeschreibung. Gerade sie erfreute sich rasch zunehmender Beliebtheit, denn sie verband exotische Phantastik mit wirklichen oder nachempfundenen Erlebnissen und kam daher in ihrer unterhaltsam didaktischen Tendenz den frühbürgerlichen Interessen am ehesten entgegen.
Vorausgegangen waren einander stets ähnelnde lateinische und auch schon deutsche Vers und Prosabeschreibungen von Pilgerfahrten, die im 14. Und 15. Jahrhundert manchen demütigen oder handelstüchtigen Wallfahrer ins Heilige Land, ins spanische Santiago de Compostela oder nach Rom führten. Eine der erfolgreichsten dieser trotz aller Mängel doch die Kenntnis von Mittelmeerraum und Vorderem Orient erweiternden Erzählungen war das zwischen 1356 und 1371 entstandene Palästinabuch des unserem Karl May an Phantasie und Fabulierkunst nahestehenden Lütticher Arztes Jean de Bourgoigne. Er nannte sich John Mandeville und galt mehr denn 500 Jahre als unerschrockener Weltenbummler, bis die Forschung Ende des 19. Jahrhunderts feststellen musste, dass seine Erlebnisse samt und sonders erdichtet waren.
Das Hauptgewicht all dieser „Erlebnis“-Berichte lag auf der meist recht langatmigen Beschreibung berühmter Reliquien und heiliger Stätten. Indes deuteten auch erwähnte Meeresungeheuer mit bewaldeten Rücken, Magnetberge, kopflose Zweibeiner, schwimmende Inseln und andere Wunderlichkeiten auf die Bekanntschaft mit orientalischem Märchen und Sagengut hin, die ja die vorausgegangenen Kreuzzüge vermittelt hatten.
Ausnahme und zugleich Höhepunkt dieser frühen Reiseberichterstattung über „die grossen wunder dieser Welt“ bildet das Werk des Venezianers Marco Polo, der in den Jahren 1271 bis 1295 als erster Europäer Asien kreuz und quer bereist hatte. Er diktierte die Erinnerungen an seine Reisen, die ihn bis an den Stillen Ozean geführt, 1298/99 in genuesischer Kriegsgefangenschaft seinem Mithäftling Rustichello de Pisa, seiner Zeit bekannt als Bearbeiter französischer Abenteuerromane. Diese Aufzeichnungen erregten im Laufe des folgenden 14. Jahrhunderts beim „Lesepublikum“ beträchtliches Aufsehen und wurden schließlich zur wichtigsten Quelle ungezählter späterer Reisewerke über das mittelalterliche Asien: an die 140 Übertragungen und Bearbeitungen in vielen Sprachen sind erhalten. Und bereits 1477 erschien in Nürnberg – nach einem bayerischen Text aus toskanischer Vorlage – die erste deutschsprachige Buchausgabe; sie wird fälschlich noch heute in renommierten Lexika als erste deutsche Übersetzung mitgeteilt. Diese aber entstand schon einhundert Jahre früher!
Die erste deutsche Bearbeitung des berühmten Polo’schen Reisebuchs – und zugleich den „ältesten deutsch geschriebenen Reisebericht“ (Helm Ziesemer) – verdanken wir dem Deutschen Ritterorden! Denn diese Arbeit entstand bald nach 1350 im fernen ruhelosen Nordosten des Reiches, wo Ordensritter und Bürger unter besonderen politischen und sozialen Bedingungen eine ganz eigenständige