„Das hatte ich nicht vor.“ Der Pater zeigte nach oben. „Außerdem ist er zu weit weg. Aber ich bin da und höre Ihnen gerne zu. Übrigens: Ich bin Pater Jeremy.“
„Und wenn Sie der Papst persönlich wären, es ist mir scheißegal! Also kümmern Sie sich lieber um die Schäfchen, die an diesen Humbug glauben.“
Damit hatte er sein Handy aufgehoben und den Pater stehenlassen, der es sicher gut meinte. Doch Alec hatte nicht mehr klar denken können. Selbst jetzt fiel es ihm schwer, diese Nachricht einzuordnen. Eine, die surreal war. So unglaublich, dass er sich in einem schlechten Film wähnte. Bisher hatte diese schlimme Krankheit immer andere betroffen. Jetzt auf einmal sollte er selbst an Krebs leiden?
Dabei hatte alles mit harmlosem Nasenbluten angefangen. Zuerst dachte er sich nichts dabei, bis es ständig von neuem begann. Doktor McGarret überwies ihn schließlich ins Krankenhaus, wo man die Stelle verödete. Eigentlich wollte ihn der Oberarzt, der einen Blutschwamm in seiner Nase diagnostiziert hatte, nach Hause entlassen. Doch eine Ärztin veranlasste zur Vorsicht eine Biopsie. Schon zwei Tage später meldete sie sich mit der Nachricht, dass es Krebs wäre.
Alec war völlig vom Glauben abgefallen und brauchte eine Weile, um das zu verdauen. Auch um Kraft zu sammeln, denn nach Tagen der völligen Taubheit entschloss er sich, den Kampf gegen diese tückische Krankheit aufzunehmen. Immerhin war er jung und stark.
Was danach folgte, war ein Wechselbad der Gefühle. Mal hieß es, dass er eine verkürzte Lebenszeit habe und ihm nur noch zehn bis fünfzehn Jahre bleiben würden. Dann wiederum behandelten sie ihn so, als wäre er bereits dem Tod geweiht. Fest stand nur, dass er eine seltene Art von Blutkrebs hatte. Zu wenig erforscht, um konkrete Aussagen treffen zu können.
Nach der Knochenmarkuntersuchung wurden ihm eine mögliche Bestrahlung oder Chemotherapie erläutert. Beides hatten die Ärzte zu diesem Zeitpunkt noch in Betracht gezogen. Je nachdem, wie die weiteren Untersuchungen ausfallen würden. Zur völligen Abklärung musste er sich einer Szintigraphie unterziehen. Das war vor einigen Tagen gewesen. Nun hatte Doktor McGarret die nuklearmedizinischen Befunde mit den niederschmetternden Ergebnissen bekommen.
Ein halbes Jahr! Das war im Grunde nichts. Wahrscheinlich hatte Christin sogar bewusst eine längere Zeitspanne genannt, um ihn auf ihre Art zu trösten. Ahnungslos darüber, wie man sich im Körper eines Schwerkranken fühlte. Was einem durch den Kopf ging und wie entsetzt man dem Ganzen gegenüberstand. Ob ein Monat oder ein halbes Jahr, beides war eindeutig zu kurz, wenn man erst am Anfang seines Lebens stand.
Die Milch kochte inzwischen und lief beinahe über. Hastig zog Alec den Topf von der Platte und machte den Herd aus. Plötzlich hatte er das Gefühl zu ersticken und eilte zur Eingangstür. Der Schlüssel klemmte. Roh zerrte Alec daran, wurde immer panischer. Bis sich die Tür endlich aufsperren ließ. Keuchend stolperte er auf die Veranda hinaus und stützte sich mit beiden Händen auf der Brüstung ab. Nur langsam normalisierte sich sein Puls und der Ausblick tat ein Übriges, um ihn zu beruhigen.
Hoch stand der Vollmond am samtenen Nachthimmel und tauchte die Klippenlandschaft in milchiges Licht. Darüber spannte sich ein Meer aus Sternen. Manche schienen näher als andere. Heller und glühender. Untermalt wurde das beeindruckende Szenario vom Rauschen des Ozeans und dem leisen Ächzen des Windes, der den Korbsessel leicht schaukeln ließ. Auch Maggies liegengelassene Handelszeitung auf dem Tisch raschelte.
Was sie wohl sagen würde? Alec mochte gar nicht daran denken. Erst recht nicht an die Hochzeit. Bis dass der Tod euch scheidet. Wie könnte er ihr das zumuten? Im Gegensatz zu ihm hatte sie noch das ganze Leben vor sich und würde irgendwann eine neue Liebe finden. Obwohl es ihm beim Gedanken daran das Herz zerriss. Dennoch würde er sie unter diesen Umständen nicht heiraten. Er musste sie gehen lassen. Gerade, weil er sie liebte.
„Alec?“
Erschrocken wandte er sich um. Maggie stand im Türrahmen. Das Flurlicht umhüllte sie wie eine Lichtgestalt. Das war sie auch. Sein Licht, sein Atem und sein Leben.
„Habe ich dich geweckt?“, fragte Alec und lehnte sich mit dem Gesäß an die Brüstung.
„Na ja, die Nachttischlampe brannte.“
„Mist. Ich habe vergessen, sie auszuschalten. Entschuldige bitte.“
„Schon gut. Eigentlich riss mich ein schlechter Traum aus dem Schlaf. Ich konnte dich nicht mehr finden und als ich aufwachte, warst du tatsächlich weg.“ Wie ängstlich sie klang. Als würde sie ahnen, dass er in absehbarer Zeit wirklich fort sein würde. Für immer. Aber vielleicht war das die ausgleichende Gerechtigkeit oder die Strafe für sein … nein, damit konnte und wollte er sich jetzt nicht beschäftigen! „Warum bist du aufgestanden?“ Sie zog den Gürtel ihres roten Satin-Morgenmantels enger.
„Mich hat ein ähnlich schlechter Traum aus dem Schlaf gerissen“, erstickte er Maggies Wissbegierde im Keim und wandte ihr den Rücken zu. So zu tun, als wäre nichts, fiel ihm zunehmend schwerer und die ständigen Notlügen raubten ihm viel Energie. Doch er wollte diese wenigen Tage genießen. Mochte es egoistisch sein. Er brauchte das. Eine gewisse Normalität und vor allem Maggie. Nach dem Urlaub würde er weitersehen. „Schau mal“, Alec zeigte zum Meer. Ein heller Streifen am Horizont kündigte den kommenden Tag an. „Ist das nicht wundervoll?“ Er spürte, dass sie hinter ihn trat.
„Du bist wundervoll“, hauchte sie und umschlang ihn. Alec griff nach ihren Händen und hielt sie mit Tränen in den Augen fest an seine Brust gedrückt. Wie viele Erinnerungen nahm man mit in den Tod? Was erwartete ihn in dieser unbekannten Welt? Und vor allem: Würde er leiden müssen? Schmerzen haben? Zum Teufel! Er wollte nicht gehen. Nicht jetzt, da er und Maggie heiraten wollten. Eine Familie gründen. Warum musste das Schicksal so grausam sein?
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