Vater Goriot. Honore de Balzac. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187227
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der Tafelnden noch übertönte, »finden Sie etwa das Brot nicht gut?« »O nein, im Gegenteil,« erwiderte er, »es ist aus Mehl von Étampes bereitet, erste Qualität.« »Woran erkennen Sie das?«, fragte ihn Eugen. »An der Weiße und an dem Geschmack.« »Am Geschmack der Nase, da Sie daran riechen«, sagte Frau Vauquer. »Sie werden so sparsam, daß Sie noch ein Mittel ausfindig machen werden, sich vom Küchendunst zu nähren.« »Versäumen Sie nur ja nicht, sich diese Erfindung patentieren zu lassen«, rief der Museumsbeamte; »Sie können damit ein schönes Stück Geld verdienen.« »Still doch! Er will uns nur beweisen, daß er Nudelfabrikant gewesen ist«, sagte der Maler. »Ihre Nase ist also wohl eine Retorte?« ließ der Museumsbeamte nicht ab. »Re-was?« machte Bianchon. »Re-tusche.« »Re-doute.« »Re-klame.« »Re-vanche.« »Re-liquie.« »Re-mise.« »Re-norama.«

      Diese acht Antworten schossen von allen Seiten herbei und erweckten um so stärkeres Gelächter, als der arme Vater Goriot die Tischgenossen mit blöder Miene anstarrte, wie einer, der sich müht, eine fremde Sprache zu verstehen.

      »Re … ?« fragte er Vautrin, der neben ihm saß. »Realinjurie, mein Alter!« sagte Vautrin und versetzte dem Vater Goriot einen so kräftigen Schlag auf den Hut, daß dieser ihm bis über die Augen ins Gesicht hinabgetrieben wurde.

      Der arme Greis, den der rohe Angriff erschreckt hatte, blieb einen Augenblick regungslos. Christoph nahm ihm den Teller weg in der Meinung, er sei mit der Suppe fertig, so daß Goriot, als er den Hut wieder emporgeschoben hatte und weiterlöffeln wollte, mit dem Löffel auf den Tisch aufschlug. Alles brach in Lachen aus.

      »Herr,« sagte der Greis, »Sie sind ein übler Spaßmacher, und wenn Sie sich fernerhin derartige Angriffe gegen mich erlauben … « »Nun, was dann?« unterbrach ihn Vautrin. »So werden Sie das eines Tages schwer bezahlen müssen … « »In der Hölle, nicht wahr?« sagte der Maler, »in dem kleinen schwarzen Winkel, wohin die unartigen Kinder kommen.« »Nun, Fräulein,« sagte Vautrin zu Viktorine, »Sie essen nicht? Hat sich der Papa noch immer widerspenstig gezeigt?« »Oh, entsetzlich!« sagte Frau Couture. »Man muß ihm Vernunft beibringen«, sagte Vautrin. »Aber«, meinte Rastignac, der nahe bei Bianchon saß, »das Fräulein könnte doch einen Prozeß anstrengen auf Zahlung von Alimenten. – Hoho! Sehen Sie nur, wie Vater Goriot Fräulein Viktorine anstarrt!«

      Der Greis vergaß zu essen, um das arme junge Mädchen zu betrachten, auf dessen Zügen ein wahrer Schmerz zu lesen war, der Schmerz des verkannten Kindes, das seinen Vater liebt.

      »Lieber Freund,« sagte Eugen leise zu Bianchon, »wir haben uns in Vater Goriot geirrt. Er ist weder ein Dummkopf noch ein kraftloser Mann. Wende dein Gallsches System bei ihm an und sage mir, was du von ihm denkst. Ich habe ihn heute nacht eine Silberplatte wie Wachs zusammendrücken sehen, und jetzt eben prägt sich auf seinem Gesicht ein starkes Empfinden aus. Sein Leben erscheint mir geheimnisvoll genug, eines Studiums wert zu sein. Ja, Bianchon, lache nur, ich scherze nicht.« »Der Mann ist ein medizinischer Fall; abgemacht? Wenn er will, seziere ich ihn.« »Nein, vermiß ihm den Schädel!« »Werde mich hüten! Seine Dummheit könnte ansteckend sein.«

      Am folgenden Tage kleidete Rastignac sich möglichst elegant und begab sich gegen drei Uhr nachmittags zu Frau von Restaud, indem er sich unterwegs all den tollen Hoffnungen hingab, die in das Leben eines jungen Mannes soviel köstliche Aufregung bringen Da sieht er denn weder Hindernisse noch Gefahren, sondern überall nichts als Erfolge, weiß sein Dasein durch das Spiel der Einbildungskraft zu erheben und ist unglücklich oder traurig, wenn seine Pläne zusammenstürzen, die doch nur in seinen zügellosen Wünschen lebten. Wäre solch junger Mann nicht unwissend und schüchtern, das soziale Leben würde unmöglich sein. Eugen nahm sich unglaublich in acht, um seine Schuhe nicht zu beschmutzen; aber er mußte nachsinnen über all das, was er Frau von Restaud sagen wollte; er stapelte Geist in sich auf, er erfand eine Unterhaltung, er legte sich sinnige Äußerungen zurecht, sammelte Redensarten à la Talleyrand und erhoffte tausend kleine günstige Gelegenheiten, um die Erklärung anzubringen, auf die er seine Zukunft gründete. Natürlich machte er sich arg schmutzig, der arme Student, und war genötigt, am Palais-Royal seine Schuhe putzen und seine Beinkleider bürsten zu lassen.

      ›Wenn ich reich wäre,‹ sagte er sich, als er ein Hundertsousstück wechselte, das er für den Notfall eingesteckt hatte, ›so hätte ich einen Wagen genommen; da hätte ich nach Herzenslust nachdenken können.‹

      Endlich kam er also in der Rue du Helder an und fragte nach der Gräfin von Restaud. Mit der Beherrschung eines Mannes, der gewiß ist, eines Tages zu triumphieren, nahm er die verächtlichen Blicke der Bedienten hin, die ihn den Hof durchqueren sahen, ohne daß doch am Portal ein Wagen vorgefahren wäre. Diese Blicke trafen ihn um so empfindlicher, als er schon beim Betreten des Hofes seine eigene Armseligkeit erkannt hatte; denn hier stampfte ein prächtig aufgezäumtes Roß vor einem zierlichen Kabriolett, das von verschwenderischem Luxus und gewohnheitsgemäßem Genießen aller Pariser Glückseligkeiten zeugte. Er wurde übellaunig, grollte mit sich selbst. Die offenen Schubladen seines Hirnkastens, die er mit Geist angefüllt wähnte, schlossen sich, er fühlte sich dumm und unbeholfen. Während er im Vorzimmer die Antwort der Gräfin erwartete, der ein Kammerdiener die Namen der jeweiligen Besucher zu melden hatte, stellte Eugen sich an eines der Fenster, stützte den Ellbogen auf den Drehriegel und blickte gedankenlos in den Hof hinab. Die Zeit wurde ihm sehr lang, und er wäre weggegangen, hätte er nicht die Ausdauer des Südländers besessen, die Wunder hervorbringt, wenn sie ihren geraden Weg geht.

      »Mein Herr,« sagte der Kammerdiener, »die gnädige Frau befindet sich in ihrem Boudoir und ist sehr beschäftigt, sie hat mir gar nicht geantwortet; wenn der Herr aber in den Salon gehen wollen … ? Dort wartet schon jemand.«

      In stiller Bewunderung der furchtbaren Macht jener Leute, die mit einem einzigen Wort ihre Herrschaft anklagen oder richten, öffnete Rastignac entschlossen die Tür, durch die der Kammerdiener vorhin hinausgegangen war; er wollte den anmaßenden Bedientenseelen zeigen, daß er hier im Hause bekannt sei. Aber zu seiner großen Bestürzung geriet er in einen Raum, wo er nur ein paar Tische und Lampen, Wannen und Badetücher gewahrte und der geradeswegs auf einen dunklen Gang und eine Geheimtreppe führte. Das unterdrückte Gelächter, das aus dem Vorzimmer drang, steigerte seine Verwirrung aufs höchste.

      »Mein Herr, der Salon ist hier«, sagte der Kammerdiener mit jener betonten Höflichkeit, die wie Spott wirkt.

      Eugen kehrte so eilig um, daß er gegen eine Badewanne rannte; aber er hatte noch Zeit genug, seinen Hut festzuhalten, der ins Badewasser zu stürzen drohte. Im selben Augenblick öffnete sich am Ende des langen Ganges, den ein Lämpchen erhellte, eine Tür, und Rastignac vernahm die Stimme der Frau von Restaud und Vater Goriots und das Geräusch eines Kusses. Er folgte dem Kammerdiener durch den Speisesaal und kam in einen ersten Salon, wo er sofort ans Fenster trat, das auf den Hof führte. Er wollte sehen, ob dieser Vater Goriot wirklich und leibhaftig sein Vater Goriot sei. Sein Herz schlug wild, er entsann sich der gräßlichen Äußerungen Vautrins. Der Kammerdiener erwartete Eugen an der Tür des Salons; diese öffnete sich plötzlich, ein eleganter junger Mann trat heraus und sagte ungeduldig: »Ich gehe, Maurice. Sie werden der Frau Gräfin sagen, daß ich länger als eine halbe Stunde gewartet habe.«

      Der Unverschämte, der zweifellos das Recht hatte, es zu sein, trällerte ein paar italienische Triller und begab sich an das Fenster, an dem Eugen stand, sowohl um dessen Gesicht zu sehen, wie auch um in den Hof hinabzublicken.

      »Aber der Herr Graf täten besser, noch einen Augenblick zu warten; die gnädige Frau ist fertig«, sagte Maurice, ins Vorzimmer zurückkehrend.

      Jetzt trat unten am Ausgang der kleinen Treppe Vater Goriot heraus. Der Alte hob seinen Regenschirm und machte sich daran, ihn aufzuspannen, ohne darauf zu achten, daß das große Tor geöffnet war, um einen ordengeschmückten jungen Mann einzulassen, der einen Tilbury lenkte. Vater Goriot hatte nur Zeit, sich zurückzuwerfen, um nicht überfahren zu werden. Der geöffnete Regenschirm hatte das Pferd erschreckt, das einen kleinen Satz nach der Freitreppe hin machte. Der junge Mann wendete zornig den Kopf, gewahrte Vater Goriot und grüßte ihn, ehe er draußen war. Es war ein Gruß voll erzwungener Achtung, wie man ihn etwa einem Wucherer bietet, dessen man bedarf, oder einem übel beleumundeten Manne, ein Gruß, über den man hinterher errötet.