Adelsspross. Katharina Maier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Maier
Издательство: Bookwire
Серия: Die Erste Tochter
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752931006
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      DIE ERSTE TOCHTER

      Zukunftsepos von Katharina Maier

Die erste Tochter

      INHALT

       Widmung

       Prolog

       Familie

       Sturmzeit

       Abweichler

       Übertritt

       Splitter

       Kaffee

       Verquickungen

       Rauch

       Vipern

       Katastrophe

       Wer ist wer

       Was ist Was

       DIE ERSTE TOCHTER

       Impressum

      WIDMUNG

      Für Mama, mit den Sternen in ihrem Geist

      Für Lisa, mit den Drachen in ihrem Herzen

      Für Oma, die Myn ihre Stärke gab

      Diese Welt wäre nicht, was sie ist, ohne euch

      PROLOG

      Es heißt, ich bin das unausweichliche Ende einer jeden Geschichte, doch diese eine begann mit mir. Sie hat mich hierhergeführt, in diese vielgestaltige Stadt, recht unerwartet, möchte man meinen. Natürlich bin ich immer hier, überall, auch jetzt. Ich streife durch die Stadt, und der whiskeyselige Mann unter der Turmbrücke geht wie zufällig mit mir. Im Operationssaal, wo die Ärzte mit mir ringen wie Jakob einst mit seinem Herrn, ein alter Kampf, den ich mit weit weniger Leidenschaft zu führen pflege als sie, hält mich der Patient unter ihren Messern für einen Tunnel aus Licht. Das tun sie oft. Das großäugige Kind auf dem Rücksitz der Flugmaschine winkt einem Gerippe im schwarzen Mantel zu, das ein wenig aussieht wie sein Großvater. Das Kind lacht mich an. Das tun sie selten.

      Ich bin hier. Doch schon lange kam ich nicht mehr als die Alte, die Dunkle, die Mutter. Bis jetzt, da eine Frage gestellt wurde, die mich gerufen hat. Draußen vor den verspiegelten Fenstern zerteilt der Fluss gezeitenatmend die Stadt, und drinnen steht die Frage breit und schwer zwischen einem Mann und einer Frau und verlangt nach Antwort.

      »Sie wollen es wirklich wissen?«, fragt die Frau nach. Schon jetzt sieht sie müde aus. Vielleicht weiß er sogar, was er da von ihr verlangt. Doch gegen die erste Sünde der Menschheit ist auch er nicht gefeit. Die Angst vor den Worten sitzt ihr im Nacken, aber sie kann sich dem Drängen in den fremdartigen Augen nicht verschließen. Draußen singt der große Glockenturm sein immer wiederkehrendes Loblied auf die Zeit. Die beiden hören es nicht.

      »Bitte«, sagt er, als ihr Schweigen die Überhand zu gewinnen droht. »Erzählen Sie es mir.«

      Aber wie kann sie das? Sie weiß nicht, wie es begann. Denn am Anfang war der Tod – der Tod und eine plötzliche Anwandlung von Selbstsucht, wie sie mir zugegebenermaßen nicht gebührt. Aber da stand ich, am Anfang, und hielt ein kleines Seelenlicht in meinen Händen. Es war ein junges, unbekümmertes Lichtchen, kaum dem Mutterschoß entsprungen. Manche gehen, bevor sie richtig angekommen sind. Es liegt nicht an mir, dies zu entscheiden, ich lasse es nur geschehen. Doch das Seelenlicht strahlte mich an, warm und silberhell, und ich formte fest und klar das Nein. Ich konnte es nicht gehen lassen. Ich wollte es nicht gehen lassen. Und so schloss ich die Hände um das silberhelle Seelenlicht und beanspruchte es für mich. Dieser hier war mein. Einen Lidschlag nur stockte die Zeit in ihrem Fluss, und das Gewebe dehnte sich, ohne zu reißen. Ohne Chaos keine Ordnung. Jede Regel hat ihre Ausnahme. Selbst diese. Und so hauchte ich mein Seelenlicht zurück, und ein helles graues Augenpaar ging auf und blickte verwundert in die Welt.

      FAMILIE

      An dem Abend, da die Alte in mein Leben trat, las ich ein Buch, obwohl ich eigentlich hätte sticken sollen. Wie so oft im Herbst auf Singis, in der Sturmzeit, wie wir sagen, heulte der Wind um das Haus und ließ die Fensterschilde knistern. Meine Mutter und ich saßen am prasselnden Kamin und gaben ein Tableau gut-singisischer Häuslichkeit, zumindest bis zu dem Moment, da ich kapitulierte und meinen Stickrahmen gegen ein zerlesenes Buch austauschte, voller Legenden über Götter und Geistwesen und solche, die beides waren.

      Meine Mutter webte gerade an einem Teppich, auf dem in einem Tanz von Licht und Schatten der Triumph des allmächtigen Wy über den Göttlichen Gegner Form annahm, und tat so, als würde sie meinen kleinen Akt des Ungehorsams nicht bemerken. Auch von meinem Vater drohte mir im Moment keine Rüge. Er saß bei meinen beiden Brüdern an dem schweren, dunklen Holzsteintisch gegenüber dem Kamin und legte gerade letzte Hand an eine zierliche Figurine. Um ihn herum hätte also gerade das Singisische Reich untergehen können, ohne dass er mit der Wimper gezuckt hätte. Die Weigerung seiner Tochter, ihr Geschick in Handarbeiten zu vervollkommnen, wie es sich für ein Mädchen aus gutem Hause gehörte (ganz besonders, wenn es um dieses Geschick derart düster bestellt war wie um das meine), war sicher nicht dazu geeignet, die Aufmerksamkeit meines Vaters von seinem kleinen Kunstwerk abzulenken.

      Mein Vater, Eftnek Neoly, war Holzsteinschnitzer, und er war einer der besten. Davon zeugten die kleinen Statuen in den Winkeln des Zimmers, in jeder der acht Ecken zwei, je eine aus hellem und eine aus dunklem Holzstein. Unschwer war zu erkennen, dass die Liebe zu Legenden und Märchen in der Familie lag. An unseren Wänden wachten nicht hochgereckte Statuen von Gründervätern, sondern die sagenumwobenen Chyndrai: Neckische Wassergeister und flackernde Feuerfrauen verschlangen sich ineinander, Himmelstöchter hoben ihre ätherischen Arme gegen die Decke, als wollten sie nach den Sternen greifen, und Erdgeister formten sich selbst aus den Gebeinen der Welt. Zusammen mit Mutters zartgewebten Seidenteppichen verliehen die Figuren unserem kleinen Familienzimmer einen Hauch von Anderweltlichkeit, ganz so, als hätten die Chyndrai selbst es berührt – so zumindest sagte ich, wenn meine Fantasie einmal wieder Kapriolen schlug. Mein kleiner Bruder Mudmal pflegte dann die Augen zu verdrehen wegen seiner albernen Schwester, was er sehr oft tat und sehr theatralisch, damit auch ja niemand auf die Idee kam, er könnte mit meiner Torheit irgendetwas gemein haben. Aber damit konnte ich umgehen. Das war normal. Nicht normal war, dass mein großer Bruder mich bei solchen Gelegenheiten mit glitzernden Augen ansah, mich eine kleine Poetin nannte und mir heimlich eine Memofeder und Speicherpapier in die Hand drückte, damit ich aufschreiben konnte, was mir durch den wirren Kopf ging. Natürlich überforderte er mich damit heillos, aber das schien er nicht einzusehen.

      Vairrynn. Ich zählte damals neun Jahre, mehr als genug,