»Wenn es dir zu viel wird, sag es uns. Niemand verlangt von dir, einer Neunzehnjährigen, all das allein zu bewerkstelligen.«
»Es ist nicht zu viel, ich muss nur ausgiebig darüber nachdenken.«
»Pass nur auf, dass du nicht ins Grübeln gerätst. Dazu neigen wir Damen. Und Grübeln schadet der Heiterkeit.«
»Gewiss, Mama.«
»Ich gehe. Elfriede Fürstenberg lädt zum Kaffee ein.«
Alvine sah verdutzt auf: »Nur ihr beide?«
Über Dorotheas Gesicht huschte ein stolzes Lächeln.
»Oha, wie hast du das geschafft?«
»Nun, du weißt das, Kind …«, und den zweiten Teil sprachen sie gleichzeitig, »man muss die Dinge vom Ende her planen.«
Darauf lachten sie, und Alvine erhob sich und folgte der Mutter durch die weiten Flure in den prunkvollen Eingangssaal vor den breiten Spiegel, wo bereits Alma, Dorotheas Dienstmädchen, stand. Diese half der gnädigen Frau, sich straßenfein zu machen.
Dorothea richtete ihren Blick in ihres und das Spiegelbild ihrer Tochter. Die zierliche und hochgewachsene Alvine wirkte in den hohen Räumen und vor der imposanten Treppe in den ersten Stock immer etwas verloren. Vermutlich mutete aber selbst ein vierschrötiger Stallbursche unterhalb dieser überwältigenden Deckenhöhe winzig an.
Während die Herrin sich von Alma das Haar richten ließ, sagte sie: »Frau Fürstenberg ist bei Weitem nicht so kauzig und verschroben wie ihr Gatte. In unserem Gewerbe ist es üblich, dass sich alle kennen, und somit gelang es mir, sie auf verschiedenen Damenveranstaltungen stückchenweise zu bezirzen. Auf Bällen freilich habe ich mich höflich zurückgehalten, denn ihr Mann lässt sie keine Sekunde aus den Augen, sobald andere Herren in der Nähe sind.«
»Vertraut er ihr nicht?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht ist er schlicht ein recht eifersüchtiger Narr. Seit ich ihn kenne, schien er mir sehr schüchtern gegenüber Frauen zu sein. Das war er wohl schon, bevor dein Vater und er befreundet waren. Und unsere Hochzeit hat es offenbar zusehends verschlimmert, da es ihm nach dem Krieg schwerfiel, sich in der Damenwelt einen guten Namen zu machen.«
»Und das brachte einen Keil zwischen die beiden? Papa hat mir darauf bisher nie eine rechte Antwort gegeben.«
»Soweit ich weiß, Alvine, war er eifersüchtig, weil ihn während des Krieges eine Kugel ins Bein traf und er seither gehbehindert ist. Er wurde daraufhin aber nicht nach Hause geschickt, sondern musste in der Küche dienen. Zwei Jahre Kartoffelnschälen zerrt wohl an jedermanns Nerven.«
»Was sollen denn die kaiserlichen Küchenhilfen sagen?«, protestierte Alvine und Dorothea lachte vergnügt.
»Das mag richtig sein, aber dergleichen Ausrufe halte bitte in diesen Wänden. Und Eifersucht, mein Kind, ist ein grünes Gespenst, das sich in den Nacken setzt und irgendwann dein Herz erreicht, um von dort aus in die Knochen zu kriechen.«
»Er ist also neidisch, weil Papa NUR ein Granatsplitter traf und er seither so gefährlich aussieht mit seiner Augenklappe?«
»Eifersucht benötigt keine Basis. Das sagt doch schon das Wort: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft«, reimte sie und Alma setzte ihr den riesigen hellen Rüschenhut auf, der wundervoll zu ihrem weinroten Kleid mit dem Glockenrock passte. »Soweit ich weiß, wurden von seinem Bruder damals einige Fehlinvestitionen getätigt, und als Heinrich Fürstenberg wieder das Ruder in die Hand nahm, standen die Gerbereien kurz vor dem Ruin. Bis er sich traute, um eine Frau zu werben, zogen Jahre ins Land. Er war schließlich um die 40, als er endlich heiratete.«
Alvine überkreuzte ihre Arme auf der hohen Kommode neben dem Spiegel und legte nachdenklich das Kinn darauf ab. »Und die Tatsache, dass er den chemischen Fortschritt der Gerbereitechnik nicht rechtzeitig anerkannte und deswegen horrende Einbußen erlebte, tat ihr Übriges?«
»Schlaues Kind!«
»Doch wie konntest du denn dann seine Frau für dich gewinnen?«
»Wie gesagt, sie ist bei Weitem nicht so streitsüchtig wie ihr Gatte. Ich habe eher das Gefühl, dass sie mein Werben genießt und sich gesellschaftlichen Aufstieg erhofft, wenn ich ihre Freundin bin. Ich werde sie heute erleben, wie sie sich ohne die anderen Damen um uns herum gibt. Soweit ich weiß, möchte sie mir auch ihren Sohn vorstellen. Er soll ein Schmucker sein.«
»Offenbar kommt er da nicht nach seinem alten Herrn«, stellte Alvine fest.
Dorothea lachte herzlich und tadelte danach ihre Tochter scherzhaft für ihr ungehaltenes Mundwerk, ehe sie sich mit einem flüchtigen Wangenkuss verabschiedete.
Kuppeleien
Elfriede hatte sich, seitdem sie den Familiennamen Fürstenberg trug, eine tägliche Tradition geschaffen: Sie sah auf ihren Besitz, auf ihre Reichtümer, die Kleider, die Einrichtung und dann auf sich in den Spiegel. Dort blickte sie von jeher ein hageres Geschöpf, mit dünnen blonden Haaren, mausgrauen Augen und mittlerweile vielen Sorgenfalten an. Und schließlich schaute sie auf ihren Mann Heinrich, dessen gebeugte Haltung, Hinken und schlohweißen Zotteln seine Griesgrämigkeit nur noch bestätigten.
Sodann atmete sie tief durch und sagte sich: »Ich hätte es schlimmer treffen können.«
Das ist viel mehr, als du verdienst!, flüsterten dann die geheimen Stimmen in ihrem Kopf.
Seit frühester Kindheit litt sie unter ihrer schwachen Lunge und es war für eine mäßig attraktive Dame, deren Bildung wahrscheinlich ausreichend gewesen wäre, um Lehrerin zu werden, nicht aber ihre körperliche Kraft, ein Glücksfall, als ihre Eltern ihr mitteilten, dass ein Heiratsantrag für sie vorläge. Erfreut hörte die Achtzehnjährige, dass der Herr ein großes bürgerliches Haus in der Innenstadt und einige Gerbereien um den Ort herum besaß. Doch ihre Freude mäßigte sich, als man sie wissen ließ, dass er fast 20 Jahre älter als sie wäre und auf einem Bein lahmte.
Er ist vermutlich genauso hässlich wie du, wisperten die Stimmen.
Dennoch sagte sie einem Treffen zu und nach einem halbwegs angenehmen Gespräch bei Tee und trockenem Gebäck, bei dem er ihr zusicherte, für die horrenden Kosten ihrer regelmäßigen Unterbringung in Sanatorien aufzukommen, willigte sie ein. Damit verpuffte ihr schlechtes Gewissen gegenüber ihren Eltern, die bis dahin keine Gelegenheit ausgelassen hatten, ihr zu verdeutlichen, wie sehr sie ihnen auf der Tasche lag.
Elfriede saß heute, über zwanzig Jahre später, mit ihren erwachsenen Söhnen am Mittagstisch, Heinrich Fürstenberg hatte sich wie so oft bis zum Abendbrot entschuldigen lassen. Das kam ihr allerdings durchaus gelegen, denn dass Dorothea Hoheloh zu Besuch käme, war ein wohlgehütetes Geheimnis zwischen ihr, ihrem ältesten Sohn Konrad, Dorothea selbst und dem gesamten Hauspersonal.
Voller Genugtuung sah sie ihre Söhne an. Der Ausdruck »Ich hätte es schlechter treffen können«, wäre ihnen gegenüber eine glatte Untertreibung gewesen. Natürlich hielt jede liebende Mutter ihre Kinder für die Krone der Schöpfung, doch was ihre Brut anging, so bestätigten ihr auch Außenstehende, dass ihr zwei prächtige Burschen geschenkt worden waren.
Konrad, der Ältere, von jeher pflichtbewusst, bescheiden und voll diplomatischen Geschicks, würde eines Tages die Gerbereien erben. Er war 25, hochgewachsen, schlank, sein Teint von einem vornehmen Blassrosa und er trug sein strohblondes Haar kurz.
Am hervorstechendsten sei wohl sein außergewöhnlich hübsches Gesicht zu nennen, mit dem ihm, wenn er Reden schwang, die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, insbesondere der Damen jeden Alters, sicher war. Auch ihr Gatte hielt mit seiner Überzeugung selten hinter den