Der Sommereremit. Liesbeth Listig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liesbeth Listig
Издательство: Bookwire
Серия: Weltensichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738034400
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Aalen in der Bank erscheinen. Das gehörte sich nicht als seriöser Geschäftsmann.

      Also weiter. Vorbei an der mit windschiefen Bäumen, den Windflüchtern, bestückten Auffahrt zum Sternhof. Und vorbei an den hier seltenen, hohen Tannen, die den Vorgarten säumten. Immer in Richtung der Bank radelte Rigo. Dann, nachdem er über eine halbe Stunde auf dem kreischenden Esel unterwegs war, noch um mehrere Ecken und hinein in die Fußgängerzone des Kurbades.

      Sein freundlichstes Gesicht setzte Rigo auf als er in die Kurzone einfuhr. Alle Menschen sahen ihn an und sahen ihm nach als er freundlich grüßend, unter viel I A durch die bereitwillig Platz machende Menge fuhr. Besonders freundlich grüßte Rigo seinen Kunden vom Mittag, der ihn verblüfft anschaute und trotz des „geringen“ Wiedererkennungswerts sofort wusste, wer dort sein Fahrrad quälte.

      Vor der Bank angekommen, parkte Rigo sein Fortbewegungsmittel vorschriftsmäßig im Fahrradständer, jedoch ohne es anzuschließen. Wer sollte es auch stehlen? Der Drahtesel sah wirklich nicht einladend aus. Er wirkte eher so, als würde er jedem in den Hintern beißen, der versuchen würde, sein Gesäß auf den Sattel zu bringen. In der Bank wurde Rigo freundlich und zuvorkommend begrüßt und mit einer Tasse Kaffee bewirtet, welche er wie immer an und mit Genuss zu sich nahm. Man kannte ihn, sein Vermögen und seine gewinnende, freundliche Art.

      Nachdem Rigo die Gewinne der letzten Woche zu einem großen Teil auf seinem Konto eingezahlt hatte, verließ er die gastliche Stätte, um weiteren wichtigen Geschäften nachzugehen. Erst radelte er zum Amt, um seinen neuen Pass, den er vor sechs Wochen beantragt hatte, abzuholen. Kurz vor Dienstschluss staunte der ermüdete Amtmann nicht schlecht. Er kannte Rigo noch nicht und fragte sich, was dieser verwilderte Landstreicher wohl mit einem Reisepass anfangen wollte. Aber er beherrschte seine Neugier. Immerhin hatte Herr Walder genügend finanzielle Mittel, um den Verwaltungsakt zu bezahlen. Sein ganzes Leben hatte Rigo auf ausreichende Papiere, die ihn als deutschen Staatsbürger auswiesen Wert gelegt. Nur in der Gefangenschaft hatte er seine Herkunft und seinen Status verleugnen müssen.

      So nun noch schnell in den Supermarkt und alles für die kommende Woche besorgen. Dann bloß raus aus dem Trubel des Badeortes, dachte Rigo. Gedacht, getan. Rigo kaufte ausreichend von dem, was er für seine Grundnahrungsmittel hielt: Nudeln, Kartoffeln, Kaffee, gute Butter etc. Dann entschwand er wieder unter lautem I A durch die leicht schockierte Urlaubermenge.

      Zwischenzeitlich war die Zeit gekommen, zu der Bauer Lasswig auf seinem Hof zum Abendessen weilen sollte. Lasswig war nur Pächter, da das Gehöft durch Erbschaft an den alten Mohl vom Sternhof gefallen war und dieser ihm den Hof nebst Ländereien verpachtet hatte. Der alte Mohl selbst war zu krank, um noch selbst als Bauer zu wirtschaften, und dessen einziger Sohn war als Entwicklungshelfer in Afrika. Auch seine drei Töchter hatten anderes vor.

      Rigo schob sein lautes Rad leise am Rosenhof vorbei und legte es nebst seinen Einkäufen vorsichtig an den Grabenrand, wo es für Vorbeikommende kaum zu sehen war. Dann holte er einen Jutesack aus der Tasche und watete durch den dichten Schilfgürtel des Wehles bis zu der Stelle, wo er die Schnur seiner Grundangel befestigt hatte. Nun zog er die Schnur, an der sich zehn Haken mit ehemals zehn Wattwürmern befanden, langsam heraus. An fünf der Haken kamen Raubaale zum Vorschein, die wohl fast einen Meter maßen. Alle fünf verschwanden in seinem Jutesack, welchen er dann sorgsam zuband. Der sechste Aal war noch zu klein und hätte nicht mal für die Pfanne gereicht. Da Rigo sich nicht als „Kindermörder“ betätigen wollte, ließ er ihn wieder frei und der Aal verschwand umgehend im Schilfgürtel. Vorsichtig, den gefüllten, herum wuselnden Sack in der Hand, watete Rigo wieder in Richtung Fahrrad. Er nahm seine Sachen auf und wollte mit fröhlichem I A in Richtung Schafstall verschwinden als er hinter sich lautstark ein „Petri Heil!“ angeboten bekam. Sein Nackenhaar stellte sich auf und mit hochgezogenen Schultern und eingezogenem Kopf drehte er sich langsam zu dem glückwünschenden Rufer um.

      Vor ihm stand mit breitem Grinsen auf den Lippen Henning Williams, der Sohn des Bürgermeisters der kleinen Gemeinde. Henning war ein großer, blonder Hüne mit Muskeln, die einem Pferd alle Ehre gemacht hätten, und einer V-förmigen Figur. Vor ein paar Tagen noch hatte Rigo ihn beobachtet, als er einen festgefahrenen Traktor aus dem festgesaugten Marschboden gehoben hatte. Rücklings stand er dabei am linken Hinterrad und drückte mit beiden Händen, den Radkranz packend, das Vehikel nach oben, bis der Marschboden es schmatzend aus der Umklammerung entließ. Aber Henning war ein freundlicher Mensch, vor dem sich niemand zu fürchten brauchte.

      „Lass dich nicht vom Bauern oder von meinem Vater beim Fischwildern erwischen“, meint Henning. „Wenn du unbedingt Aale haben willst, dann helfe dem alten Mohl. Der will morgen seine eigenen Wehle abfischen und hat mich schon gebeten, zu helfen. Der kann sicher noch zwei weitere Hände zum Netzziehen gebrauchen. Treffen wir uns um 10.00 Uhr nach dem Frühstück auf dem Sternhof?“ Rigo sagte gern zu und war sehr erleichtert, dass nur Henning ihn erwischt hatte. Sie verabschiedeten sich freundlich und Rigo Walder entschwand auf seinem Zweirad gen heimatlichen Schafstall.

      In seinem Zuhause angekommen, wurden die Einkäufe verstaut, die Gefangenen geschlachtet und als sie aufhörten herum zu schlängeln, fädelte Rigo sie durch Kopf und Maul stechend auf die Metallteile eines alten Regenschirmes, die er für den kommenden Räuchervorgang zweckentfremdet hatte. Einen halben Sack mit Buchenspänen, welche er im letzten Jahr in der Tischlerei in der Kreisstadt günstig erworben hatte, holte er aus den Analen seiner Behausung hervor und das alte Ölfass wurde angeheizt. Das Fass hatte er schon vor Jahren am Strand gefunden und den Deckel und Boden entfernt. Ein paar alte Mauersteine aus dem zusammengefallenen hinteren Teil seines Domiziles waren zum unterbrochenen Kreis gestapelt und das Ölfass darauf gesetzt worden.

      Die Schirmspanten mit den bedauernswerten aber wohlschmeckenden Opfern seiner Freveltat wurden oben eingehängt und, als die Späne den ersten Rauch entwickelten, ein feuchter Jutesack darüber gedeckt damit der Rauch sein volles Aroma entwickeln konnte. Rigo saß versonnen, immer mal eine Handvoll Späne nachlegend, davor und genoss den Sommerabend.

      Ein fetter Aal frisch aus dem Rauch mit einem Stück Graubrot dazu waren zwei Stunden später sein wohlverdientes Abendmahl. Rigo wusste genau, was er sich mit diesem leckeren Vergnügen antat. Und prompt kamen seine Leber und seine Galle des Nachts überein, ihn mit allerlei Krämpfen zu beglücken. Morgens nach einem starken Kaffee und reichlich Stoffwechsel war dieser Alptraum aber schnell vergessen und das Wohlbefinden seines meist sonnigen Gemütes wiederhergestellt. Also, auf zur Arbeit zum Sternhof.

      Dort angekommen waren bereits „alle Hände an Deck“. Mehrere Urlauberinnen und Urlauber welche, auf dem zur Pension umgearbeiteten Sternhof Quartier genommen hatten, standen als Helfer bereit. Henning, der alte Mohl und sogar der junge Mohl, der zu Besuch gekommen war, waren bereit, den Fischzug zu beginnen. Das Schleppnetz und diverse Jutesäcke geschultert, ging es im Gänsemarsch los. Erst am Schuppen mit dem Hühnerstall vorbei, das unvermeidliche Räucherölfass, welches selbstverständlich auch auf dem Sternhof zu finden war, rechts liegen lassend, ging es schnurstracks hinein in ein Weizenfeld.

      Durch dieses Weizenfeld führte ein Trampelpfad zu den beiden in Angriff genommenen Wehlen. Die Weizengerten stachen allen Leichtbekleideten in Arme und Beine, aber diese konnten froh sein, dass dieses Jahr Weizen und nicht Raps ausgesät war. Dieser hätte ärgere Verletzungen hinterlassen. Der größere, langgestreckte Wehl gehörte nur zur Hälfte zum Grundbesitz des alten Mohl und musste, um die Schleppleine des Netzes auf die andere Seite zu befördern, durchschwommen werden. Um die Leine, ohne nass zu werden, dorthin zu befördern, hätte man mit dieser um das gesamte untere Ende des Wehles gehen müssen und der dichte Schilfgürtel hätte irgendwann die Leine fest im Griff gehabt, also musste jemand hinüber schwimmen.

      Eine Urlauberin, deren „psychische Andersartigkeit“ sie sowieso begeistert in jeden Tümpel springen ließ, war gern bereit, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Und so gelangte die Schleppleine unbeschadet ans andere Ufer, wo bereits die „Schlepper“ warteten. Das Netz wurde in der Mitte des Wehles platziert und, überspannte nun den Grund in voller Breite, um kaum Platz zum Entweichen der Beute zu lassen. Dann zogen alle Damen und Herren es bis zum Ende des Wehles und holten es ein, bis das trichterförmige Ende, welches mit reichlich Aalen gefüllt war, in Sicht kam.

      Mehrere Männer hielten den Jutesack