3. Kapitel
Der Boden bebte und Schnee rieselte von den Blättern der Bäume, sobald sie auf der Erde aufsetzte. Es schien, als ob die Natur um sie herum mit ihr schimpfte, da sie es wagte, sie zu stören. Wachsame grüne Augen machten sich mit der Umgebung vertraut. Die weißen Flügel prangten an ihren Schultern, bis der Engel sie einfuhr. Die sternenklare Nacht war kalt und ein leichter Wind wehte zu ihr herüber. Die Kälte machte ihr nichts aus, sie spürte es nicht. Es geschah selten, dass die Himmelsgarde sich trennte und allein unterwegs war. Besonders wenn sie die Erde aufsuchten und sich unter die Menschen mischten. Die Geschehnisse in den letzten Stunden zwangen sie zu diesen Mitteln. Sariel, der Vollstrecker, hatte versagt. In ihren Augen hatte er die Aufgabe, die Auserwählte zu fangen oder ihre Verwandlung aufzuhalten, nicht erfüllt. Verletzt und zutiefst enttäuscht war der Vollstrecker zu ihnen gekommen. Sein Bericht über das, was in der Höhle der Gefallenen geschehen war, hatte die Himmelsgarde erzürnt. Von nun an würden sie die Zügel in den Händen halten. Der Vollstrecker heilte, aber es würde noch eine Weile dauern, bis er bei Kräften war. Seine nächste Aufgabe bestand darin, Arabas und die Gefallenen von der Himmelsgarde fernzuhalten. Sie durften ihnen nicht in die Quere kommen. Sie hoffte, dass der Vollstrecker dieses Mal erfolgreicher war. Zielstrebig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Es war nicht weit, bis sie ihr Ziel erreichte. Sie spürte den Nephilim bis in ihre Poren. Der Drang ihn aufzuspüren und zu vernichten, erwachte in ihr. Sie musste dagegen ankämpfen und strengte sich an. Tief atmete sie ein, schritt gemächlich voran und achtete darauf, dass niemand sie sah. Im Gegensatz zu den anderen Engeln konnte die Himmelsgarde sich nicht vor den Menschen tarnen. Das war ein Nachteil für ihr Vorhaben. Ihre langen blonden Haare wehten im Wind. Einzelne Schneeflocken legten sich auf ihr Gesicht und tanzten auf ihren Wangen. Unbeirrt ging sie weiter, bis sie vor dem Haus stand, welches sie suchte. Zu dieser Zeit schliefen die Menschen, sodass es nicht verwunderlich war, dass es im Inneren des Hauses dunkel war. Kurz überlegte sie, unbemerkt einzudringen und den Nephilim mit ihrer Anwesenheit zu überraschen. Es erschwerte ihre Aufgabe, dem Zwang nicht nachzugeben. Doch der Plan sah anders aus. Die Himmelsgarde wusste nicht, über welche speziellen Kräfte der Nephilim verfügte. Es war leichtsinnig direkt Kontakt zu ihm zu suchen oder ihn anzugreifen. Sobald sie vor der Eingangstür stand, blieb sie stehen und sah an dem Haus empor. Konzentriert schloss sie die Augen und breitete die Arme aus. Mit erhobenem Kopf wisperte sie und ließ ihre Fähigkeit wirken. Der Wind bauschte sich auf, sobald der Erfolg sich einstellte und die Magie sich mit der Luft um sie herum vermischte. Sie spürte es instinktiv. Die Kraft, die von ihrer Magie ausging, war allgegenwärtig. Sie hatte es auf einen Menschen abgesehen und ließ ihre Kraft auf diese Person wirken. Wie ein unsichtbarer Strahl schickte sie die Magie zu der Person und verstärkte mental den Druck. Kurz darauf ging die Haustür auf und ein blondes Mädchen kam zum Vorschein. Sie lächelte und winkte sie zu sich. Ihre grünen Augen bohrten sich in die blauen des Mädchens, sobald sie direkt vor ihr stand. Ohne zu zögern, begann sie das Mädchen zu beschwören. Zuerst widersetzte sie sich und kämpfte dagegen an. Sobald sie ihre Hände um ihr Gesicht legte und sie zwang, sie anzusehen, erlag sie dem Kampf. In einem tranceähnlichen Zustand schwankte das Mädchen vor ihr. Barfuß und im Schlafzeug vor ihr stehend, zitterte ihr Körper vor der Kälte. Sie war sich dessen nicht bewusst. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie die Beschwörung abgeschlossen hatte und sie das Mädchen zurück in ihr Bett schickte. Sie sah ihr noch eine Weile nach und lächelte bösartig. Ihre grünen Augen blitzten gefährlich, als sie zum Fenster sahen, hinter dem die Präsenz des Nephilim zu spüren war. Es kitzelte in ihren Fingern und der Drang zu dem Nephilim zu gehen, wurde intensiver. Es war Zeit zu gehen. Desto länger sie blieb, desto mehr würde sie den Nephilim sehen wollen. Mit geballten Fäusten drehte sie sich um und verließ die verlassene Straße. Die Lippen zusammengepresst, kämpfte sie sich in den angrenzenden Wald. Schweißperlen zeichneten sich auf ihrer Stirn ab, sobald sie es geschafft hatte und genug Abstand gewonnen hatte. Erschöpft lehnte sie sich mit einer Hand an einem dicken Baum ab und senkte den Kopf. Flach atmend beruhigte sich ihr Herz und der Puls normalisierte sich. Wenn sie nicht alles täuschte, ging es weitaus schneller, als beim letzten Mal. Einst, als die Himmelsgarde einen Nephilim verfolgt hatte, hielten sie länger in dessen Nähe aus. Dieses Mal war es schwieriger. Sie spürte es in ihren Poren. Sie musste die anderen beiden warnen. Sie durften nicht zu lange in der Nähe des Nephilim sein. Sie würden dem Drang nicht standhalten können, wusste sie. Sie waren nicht allein nicht stark genug. Nur zusammen konnten sie dem Drang widerstehen und gegen den Nephilim antreten. Sobald sie sich besser fühlte, sah sie noch einmal zurück zum Haus. Entschlossen breitete sie die Flügel aus und stieg empor. Mit einem Lächeln auf den Lippen flüsterte sie noch:
„Habe ich dich, Nephilim.“ Ihre weißen Flügel waren noch eine Weile zu sehen, bis die Nacht sie verschluckte und sie in den Wolken verschwand.
Am nächsten Morgen runzelte Kate verwundert die Stirn, als ihr Blick auf ihre beschmutzten Füße fiel. Der Gedanke an Schlafwandler breitete sich in ihr aus. Gehörte sie zu ihnen? Sie erinnerte sich nicht daran, das Bett in der Nacht verlassen zu haben. Fahrig schlug sie die Bettdecke beiseite und sah an sich herunter. Mit zittrigen Händen fuhr sie über ihren Körper, um festzustellen das ihr nichts fehlte und ihre Kleidung noch saß, wie es sollte. Kopfschüttelnd stand sie auf und verdrängte den Gedanken. Es war absurd. Sie schlafwandelte nicht. Sie hatte sicher vergessen, die Füße zu waschen. Die Erklärung klang selbst für sie unglaubwürdig, aber es beruhigte sie für den Moment. Kate öffnete die Vorhänge und starrte nach draußen, sobald das Tageslicht das Zimmer erhellte. Der Boden war schneebedeckt. Die Sonne strahlte und hinterließ