Der Dämon der Zarin. Josef Hahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Josef Hahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750228
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zugewandert. Wegen eines schlampigen Beamten in der Kreisverwaltung Tjumen wurde später daraus dann >Rasputin<. Das fiel aber niemandem auf. Die Kunst des Schreibens und Lesens war für die einfachen Bauern sowieso eine nutzlose. Also wozu, wie und vor allem wo, das erlernen?

      Das riesige Reich des Zaren war in diesen Jahren aus einem langen mittelalterlichen Schlaf erwacht und man bemühte sich nach Kräften, sich an den westlichen Staaten zu orientieren. Frankreich und Deutschland waren die großen Vorbilder der zaristischen Verwaltung. Die Kräfte dazu reichten aber nicht aus. Die Reformen erreichten nie das ganze weite Reich.

      Die Region Tjumen etwa – wo sich unser Dorf befindet - war etwa 2.100 Kilometer von der Hauptstadt St. Petersburg entfernt. Wie konnte Väterchen Zar also wissen, wie es da zuging und wie es sich da lebte?

      Wichtig für das Väterchen waren doch nur die eingetriebenen Abgaben, ob in Naturalien oder in Rubel. Einmal, als Jefim nichts abliefern konnte, sperrte man ihn für einige Tage sogar in den Schuldturm. Das ganze Dorf musste seine Frau damals anbetteln. Welch eine Schande!

      Auch waren die meisten Muschiks Leibeigene4 geblieben, ohne zu wissen, dass sie gar keine mehr waren. Niemand war da, es ihnen begreiflich zu machen und die adeligen Großgrundbesitzer hüteten sich davor, ihre Bauern aufzuklären. Sie würden sich doch nicht ins eigene Fleisch schneiden!

      So war es auch in Pokrovskoye.

      In den etwa zweihundert Häusern lebten damals ungefähr eintausend Menschen. Man hatte eine Kirche, einen Popen, sogar einen Laden, indem man einkaufte - wenn man die nötigen Rubel hatte - und ein Wirtshaus mit einigen Gästebetten. Aber Gäste kamen ohnehin fast nie.

      Was hätten sie auch in dem Kaff anstellen sollen? In den kurzen Sommern terrorisierten Myriaden von Mücken und Moskitos Mensch und Vieh und im Winter gefror sogar die Milch zu kalkig weißen Blöcken.

      Viermal im Jahr tauchte ein mürrischer Fuhrmann und Händler auf und versorgte den kleinen Dorfladen mit Nachschub.

      Grigorijs frühe Jahre verliefen ebenso wie die der anderen Bauernkinder: Mithilfe bei allen möglichen Tätigkeiten am Feld und im Stall. Willig erledigte er alles, was ihm Jefim, der Vater, auftrug. Nichts Besonderes zeichnete ihn damals aus.

      Die Bauern lebten mit ihren Familien in kleinen, einfachen Häusern aus Holz. Holz gab es in den Wäldern genug, so dass immer reichlich Material zum Bauen und Heizen vorhanden war. In die Zwischenräume der Häuser füllten sie geflochtene Birkenzweige und dichteten die Wände mit Lehm und Stroh ab. Meistens gab es im Haus nur einen einzigen Raum, in dem alle wohnten.

      Ein gemauerter Kamin aus Lehm stand in der Mitte des Raumes, auf dem gekocht und geheizt wurde. Die Dächer hatten keine Schornsteine, so dass der Rauch nur durch kleine Schlitze abziehen konnte. In den Häusern war es daher meist sehr rauchig und stickig.

      Für die Gesundheit war der dauernde Rauch auch nicht gerade förderlich.

      Rund um den Ofen schlief man im Winter, meist auf Stroh. Auch die Dächer waren mit Stroh gedeckt. Richtige Fußböden aus Stein oder Teppiche hatten die Menschen nicht zur Verfügung. Sie nutzten gestampfte Erde für ihre Fußböden, die sie mit Stroh bedeckten.

      Charakteristisch für diese Katen waren die sehr kleinen Fensteröffnungen, die im Winter mit Stroh oder Häuten verschlossen wurden. Glas konnte sich ein einfacher Bauer nicht leisten; das war nur der feinen Gesellschaft vorbehalten und in Sibirien auch für diese nur sehr schwer zu bekommen. In dem Kaff gab es aber ohnehin keine feine Gesellschaft.

      Möbel gab es sehr wenige. Ein rohgezimmerter Tisch, ein paar Hocker oder Schemel, vielleicht noch eine Bank und eine Truhe. Schränke kannte man nicht.

      In dieser einfachen und auch öden Umgebung verlebte Grigorij Rasputin die stumpfen ersten Jahre. Am Ort gab es keine Möglichkeiten zur Schulbildung. Wie schon erwähnt: wozu auch? Lesen und Schreiben brachte sich Rasputin ansatzweise später selbst bei.

      Neben den immer präsenten Kosaken gab es die verhassten Beamten, die in der Verwaltung tätig waren. Sie waren vor allem mit der Tributeinziehung betraut. Daneben hatten sie sich auch um Gesundheitspflege, Bildung und Rechtsprechung zu kümmern.

      Dieses >Kümmern< hielt sich aber in sehr engen Grenzen; neben dem Woiwoden und dessen Stellvertreter gab es einen Sekretär und zwei Kanzleiangestellte.

      Oft waren diese Beamten aus dem europäischen Russland wegen Disziplinarvergehen nach Sibirien strafversetzt. Dennoch galt der Dienst da als lukrativ; die bei allen übliche Korruption bot viele Bereicherungsmöglichkeiten.

      Wie konnte auch die Kontrolle der Zentralregierung effektiv seien, wenn ein Abgesandter des Zaren dorthin ein Jahr lang unterwegs war?

      Der Staat hielt sich aber ohnehin mit Investitionen im Bildungsbereich Sibiriens zurück. Lediglich Spenden sibirischer Unternehmer in das Schul- und Bibliothekswesen trugen zu einer kleinen Modernisierung des rückständigen Gebietes bei.

      Unter den Lehrerinnen, die in Sibirien in der Volksaufklärung tätig waren, befand sich auch eine gewisse Nadežda Krupskaja, die spätere Frau Lenins.

      Das Unglück war Hausgast bei den Rasputins: Die Mutter starb recht früh, die Schwester ertrank bei einem epileptischen Anfall im Fluss Tura, im Alter von etwa acht Jahren und im Jahr 1877 stürzten er und sein Bruder Michail beim Spielen in den Fluss. Michail fand dabei den Tod durch Ertrinken.

      Grigorij hingegen wurde gerettet und erkrankte an einer schweren Lungenentzündung. Im Fieberwahn erschien ihm eine schöne blonde Frau in einem weißblauen Kleid und befahl ihm, schleunigst wieder gesund zu werden. Solchen Erscheinungen maß man immer höchste Bedeutung zu. Grafik 3

      Der eilig herbeigerufene Dorfpope wertete das als Erscheinung der Gottesmutter. Für die abergläubischen und frommen Bauern war das ein deutlicher Hinweis, dass der Himmel seine schützende Hand über den Knaben gehalten hatte.

      Später erzählte auch Grigorij immer wieder, dass er nur durch die Fürbitten der Gottesmutter Maria am Leben geblieben war.

      Vermutlich waren es die Verlusterlebnisse und die überstandene schwere Krankheit, die bei ihm zu einer psychischen Instabilität führte, die mit den Jahren immer ausgeprägter wurde. Aus dem tiefgläubigen charismatischen Mann konnte im Handumdrehen ein brutaler Sexist, Säufer und Vergewaltiger werden und umgekehrt.

      Als Halbwüchsiger galt er als ausgesprochener Tunichtgut. Er hätte gut zu irgendeiner Rockerclique gepasst, wenn es eine solche damals schon gegeben hätte. Mehrere Anzeigen wegen Mädchenschändung und Diebstahl lagen gegen ihn vor. Verurteilt wurde er aber nie.

      Er hatte seiner Umgebung schon mit sechszehn Jahren seine ungewöhnlichen Fähigkeiten demonstriert: Er heilte die Wunde einer stark blutenden Frau nur durch Handauflegen und Gebete.

      Für die Muschiks und die Obrigkeit war das ein Wunder! Und wer wollte schon so einen, von Gott mit außergewöhnlichen Fähigkeiten bedachten, Übeltäter anklagen? Konnte man denn wissen, wie es einem verurteilenden Richter danach ergehen würde?

      Nein!

      Also legte man die Anklagen zu den Akten.

      Erhalten geblieben in den Tobolsker Polizeiakten ist seine Personenbeschreibung: Junger Mann, 1,82 Meter groß, helle strähnige Haare, längliches Gesicht und ein dunkelrötlicher Vollbart.

      1887 heiratete er Parskjewa Fjodorowna Dubrownina, die während seiner Reisen auf dem Bauernhof der Eltern zurückließ. Im Jahr 1895 wurde sein Sohn Dimitrij, 1897 seine Tochter Matrjona (Maria) und 1900 seine Tochter Warwara geboren.

      Er behielt aber trotz der Hochzeit seinen gewohnten liederlichen Lebenswandel bei, entwickelte aber gleichzeitig auch eine ungewöhnlich starke Religiosität.

      Diese gründete sich zu einem wesentlichen Teil auf die angeblich laufenden Erscheinungen der Gottesmutter, die Rasputin, vor allem laut Aussagen seiner Tochter Maria Rasputina, hatte.

      Nach einer weiteren