Von den Göttern verlassen II. Sabina S. Schneider. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabina S. Schneider
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738026115
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ihr ungeborenes Kind. Sanft wie das Schlagen eins Schmetterlingsflügels berührte Serenas Bewusstsein das ihres Kindes und schenkte ihm im Schlaf die liebenden Gedanken einer Mutter: „Danke Kleines. Ich freue mich auf dich, mein Kind.“

      Pulsierende Wärme umfing Serena und sie fiel, an Mikhaels Schulter gelehnt, in einen tiefen Schlaf. Mutter und Kind träumten von bunt gestreiften Einhörnern und Regenbögen.

      Sie wussten nicht mehr, wie lange sie im verwunschenen Wald herumgeirrt waren. Vielleicht war es Zufall, vielleicht waren sie von den Bäumen geleitet worden. Was es auch war, nach unzähligen Tagen in der Wildnis sahen sie endlich Häuser. Ein Dorf! Die Stämme der Bäume waren verbogen, bildeten Aushöhlungen, ließen durch ihr Geäst Licht einfallen und boten jedoch gleichzeitig Schutz vor Regen. Einige Häuser waren einfach in einen Baum eingearbeitet. Andere bildeten verwobene Geflechte aus Wurzel, Stamm und Krone. Teile der umliegenden Erde waren umgegraben und bereit für die baldige Saat.

      Wie in einem Traum näherten sich die Gefährten dem Dorf, ängstlich saugten sich ihre Augen an den Blumenbeeten fest, den Häusern und schmalen Straßen. Mit Freude im Herzen näherten sie sich ihrer Erlösung. Sie würden sich ausruhen können. In richtigen Betten schlafen, ihre Vorräte aufstocken, sich neu formieren und Reittiere besorgen können. Die Sonne neigte sich zum Horizont und tauchte das Dorf in rosarote Töne, ließ es aussehen wie Watte.

      Unwirklich, wie eine Fata Morgana.

      In ihrer Euphorie bemerkten sie die Stille zu spät. Weder Vogelgesang, noch Hundegebell waren zu hören. Kein Kinderlachen und auch nicht das Gezeter von Erwachsenen erreichten ihre Ohren.

      Weder verschwanden die Häuser, noch verblassten sie wie Illusionen, als die Gefährten näher kamen. Doch nirgends war eine Regung zu sehen. Wie ein Stillleben schien das Dorf einfach nur zu existieren, nicht zu leben.

      In Alarmbereitschaft schlichen sie durch die leeren, ausgestorbenen Straßen. Keiner wagte, etwas zu sagen, aus Angst den Sturm, der drohend in der Luft hing, heraufzubeschwören.

      Dann durchschnitt ein schriller Schrei die Stille.

      Ein Laut, geboren aus Angst und Entsetzen, zerriss das ruhige Bild. Aira war zu Boden gefallen und starte mit aufgerissenen Augen gebannt in eine Richtung.

      Noch bevor Serena ihrem Blick folgen konnte, erreichte sie der Geruch von geronnenem Blut, Verwesung und der Gestank von Tod.

      Widerwillig hoben sich ihre Augen, folgten der Straße zum zentralen Platz des Dorfes. Serenas Beine knickten ein, ihr Magen rebellierte.

      Dort, wo alle Straßen zusammenliefen, lagen Leichenteile übereinandergestapelt. Manchmal war es nur ein Arm, ein Bein oder ein Fuß mit riesigen Zahnabdrücken. An jedem Weg war ein Holzpflock aufgestellt, auf dem ein Kopf aufgespießt war. Größere, kleinere, Männer, Frauen und Kinder. Ihre Augen und Münder standen offen. Voller Entsetzen starrte die Gruppe auf das Grauen.

      Serena wurde schwarz vor Augen, die Welt drehte sich. Von weit entfernt hörte sie Aira mit zitternder Stimme fragen: „Wer könnte so etwas Fürchterliches getan haben?“ Tränen in Augen und Stimme.

      Dann durchbrach ein tiefes, bis in Knochen und Mark erschütterndes Gebrüll die unnatürliche Stille. Bleich, das pures Entsetzen im Gesicht, flüsterte Malhim: „Severen.“ Dann schrie er Befehle.

      Die Senjyou und Mikhael bildeten einen Kreis um Aira und Serena. Mit zitternden Beinen erhob sich Serena. Sie konnte kämpfen und musste nicht beschützt werden. Doch ihre Hände waren leer. Sie trug keine Waffe bei sich. Verzweifelt blickte sie auf die breiten Schultern, die sich schützend vor ihr aufgebaut hatten: Mikhael, Malhim, Mof, Aragar, Salmon sogar Haril. Ihre Fersen bohrten sich in die Erde, suchten Halt. Leicht nach vorne gebeugt, hielt jeder seine Waffe bereit.

      Haril erhob seine Stimme in einen leisen Singsang, der immer höher in den Himmel stieg, sich wie eine schützende Glocke um sie legte. Er hielt einen Stab in der Hand und eine runden Kugel, die an einem Lederband um seinen Hals hing. Der Stab bohrte sich in die Erde, bildete den Pfeiler des Schutzschildes. Seine Augen suchten Malhim, als seine Finger sich eng um die leuchtende Kugel, nicht größer als eine Walnuss, schlossen. Sein sonst so ausdrucksloses Gesicht zeigte einen inneren Kampf. Die Erde bebte, eine Staubwolke stieg auf.

      „Haril, halte den Schild solange aufrecht wie möglich!“, Malhims Stimme ließ keine Zweifel zu. Pure Kraft lag in dem Befehl, dem sich niemand hätte entziehen können, auch Haril nicht, selbst im Angesicht einer Horde Severen, die auf die kleine Gruppe zu rannte.

      Ihre hässlichen Fratzen waren verzerrt von Vorfreude und Blutgier. Die breiten Nasenlöcher waren aufgebläht, die Fangzähne entblößt und die Pupillen blutrot unterlaufen. Knochen ihrer vergangenen Eroberungen klapperten an Hals, Brust, Armen und Beinen. Kleine Schädel und große. Fingerknochen. Gebein, wohin das Auge reichte. Die Krallen ihrer Klauen bohrten sich in die Erde. Ihre Lendenschürze wehten, wie ihr ungebändigtes Haar, wild hinter ihnen her und ihr erwartungsvolles Gebrüll ließ die Bäume erzittern.

      „Wieder eine Illusion?“, fragte Mikhael hoffnungsvoll, unnatürlich blass im Gesicht.

      „Nein“, presste Malhim unter zusammengebissenen Zähnen hervor, „die hier sind echt. Ich weiß nicht, wie sie soweit in Senjyougebiet vordringen konnten, aber es sind Severen. Nordseveren. Die schlimmste Sorte. Ich habe noch nie gehört, dass sie in so großer Zahl gesehen wurden. Es müssen zwanzig oder dreißig sein.“

      „Viereinhalb für jeden”, scherzte Mof ohne ein Lächeln und umfasste den Griff seines Bogens fester.

      „Rechne nochmal nach!“, sagte Garif ernst, während Malhim sich umschaute.

      Mit so viel Tod und der negativen Energie der ermordeten Leichen war ein Transportzauber, der eine energetisch saubere Umgebung benötigte, unmöglich. Sie waren in eine Falle getappt.

      Die Severen stoppten vor dem Schild. Ihre hässlichen Fratzen, keine fünf Meter entfernt, waren aus Vorfreude auf ein Massaker zu widerwärtigen Grimassen verzerrt. Sie entblößten ihre Haifischzähne, zwischen denen noch Reste von Fleischstücken hingen. Ihr fauler Atem erreichte trotz der Entfernung die Lungen der kampfbereiten Gefährten, fraß sich in ihre Haut.

      Mikhaels Körper spannte sich an. Aira zitterte und auch Serena konnte die Schauder nicht kontrollieren, die ihren Leib ergriffen. ANGST bemächtigte sich ihrer Seele.

      „Für wie lange kann Haril den Schild aufrechthalten?“, fragte Mikhael, während er ihre Überlebenschancen errechnete. Es sah schlecht aus.

      „Nicht für lange“, erwiderte Malhim. Auch in seinem Kopf ratterte es, doch er konnte an kein Szenario denken, an dem auch nur einer von ihnen lebendig aus dieser Sache herauskommen würde. Er umgriff sein Schwert fester, stählerte seinen Willen. Entschlossenheit härtete sein Gesicht. Er würde so viele Severen mit sich nehmen wie möglich und bis zu seinem letzten Tropfen Blut diese Monster von Serena fernhalten.

      Er nickte den anderen zu. Sie verstanden. Ein grimmiger Ausdruck verzehrte ihre schönen Gesichter. Sie würden über den Tod hinaus kämpfen. Für ihren Prinzen. Solange Haril den Schild aufrechterhalten konnte, würden sie ohne Probleme die ersten Reihen niedermähen.

      Malhim wollte gerade das Zeichen zum Angriff geben, als sich die Reihen der Severen teilten und eine kleine Gestalt unbehelligt durch ihre Reihen schritt. Die wilden Severen verbeugten sich vor ihr, einer Frau. Zwischen den grobschlächtigen Riesen wirkte sie klein und zerbrechlich und strahlte doch eine Macht aus, der sich weder die Severen noch die Gefährten entziehen konnten. Ihr blondes Haar wehte sanft im Wind, wie auch ihr weißes Gewand. Mit Fell besäumt, schien es zu warm für diese Gegend. Ihre grauen Augen starrten ausdruckslos auf die Mitglieder der kleinen Gruppe.

      Malhim erkannte sie. Dieselbe Frau wie beim Angriff im Wald!

      Serena, ergriffen von der Ruhe ihres kalten Hasses, sprach laut und deutlich: „Mutter!“

      Alle Augen richten sich für einen Herzschlag auf sie.

      Alara schritt bis zu Harils Schild. Eine Handbewegung reichte aus und Haril wurde wie eine leblose Puppe durch