Eigentlich hätte er den jungen Ärzten jeden Handgriff erklären sollen, doch stattdessen wollte er wissen, was passiert war.
Eine junge farbige Operationsschwester erzählte resigniert von den Übergriffen der Boko Haram oder den Mitgliedern der Terror Milizen. Dass sie nachts abgelegene Dörfer überfielen, um die jungen Männer, oft noch Kinder zu entführen. Sie brauchten Soldaten Nachschub. Kinder, die zu Soldaten ausgebildet wurden. Und dann kam der Menschenhandel mit jungen Mädchen als Sex-Sklavinnen und dem Verkauf von Babys noch hinzu. Die Kämpfer lebten seit Jahren in provisorischen Unterkünften, standen ständig unter Druck und hatten Bedürfnisse, die gestillt werden wollten. So kam es, dass junge, meist katholische Mädchen entführt und als Sex-Sklavinnen gehalten wurden. Wenn sie schwanger oder krank wurden, setzte man sie irgendwo aus oder brachte sie in sogenannte Babyfarmen, wo sie die Babys zur Welt brachten und die Babys danach an gut zahlende Kunden verkauften.
James operierte schweigend. Und er dachte, dass es vielleicht doch keine gute Idee war, nach Nigeria zu gehen.
Kapitel 5:
Lucy verbrachte viel Zeit im Bad, um sich für das erste Treffen der Internationalen Jugendbegegnung aufzuhübschen. Als sie endlich herauskam, hingen Sarah und Philip an ihren Armen.
„Nein, Lucy, geh nicht! Bitte bleib hier und spiel mit uns,“ bettelten sie.
Josie schritt lachend ein. „Also, jetzt lasst Lucy doch mal gehen. Sie hat sich ihren freien Abend mehr als verdient! Und wir machen uns jetzt einen schönen Abend. Ich habe eine Überraschung für Euch.“ Da ließen sie endlich von Lucy ab und standen neugierig vor Josie, so dass diese lachen musste.
„Euer Vater hat angerufen. Er hatte eine Notoperation in Abuja. Er wird in einer Stunde hier sein und dann machen wir uns einen schönen Abend, einverstanden?“
„Au ja. Können wir was spielen und dann gemeinsam fernsehen, so wie früher?“ fragte Sarah.
„Ja, so wie früher, sagte Josie wehmütig. „Aber zuerst werde ich etwas kochen, Euer Vater wird Hunger haben, wenn er nach Hause kommt. Wer hilft mir und wer deckt den Tisch?“
„Ich, ich will mit kochen helfen,“ schrie Sarah übermütig.
„Na, dann decke ich eben den Tisch,“ sagte Philip.
Lucy verabschiedete sich mit einem Winken, dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Kurz darauf kam James nach Hause.
Sie verbrachten einen fröhlichen Abend, doch James Gesicht war überschattet. Josie brachte die Kinder ins Bett, während James eine Flasche Wein öffnete.
Sie machten es sich auf dem Sofa bequem.
„Was ist los, James. Ich spüre doch, dass etwas nicht stimmt,“ sagte Josie leise.
James nahm einen großen Schluck Rotwein, aber er sah sie nicht an.
Josie griff nach seiner Hand.
„James, was ist los?“
„Man hat mich heute nach Abuja zurückbeordert, weil ich eine Notoperation an einer Frau durchführen musste, die vergewaltigt wurde und derart verletzt war, dass ich ihre Vagina rekonstruieren musste.“
Josie sah ihn erschrocken mit großen Augen an. Und James sprach mit gepresster Stimme weiter.
„Ich wollte dem Grauen, welches wir in Kairo erlebt haben entfliehen und hatte gehofft, dass ich hier die jungen Ärzte ausbilde und wir ein unbehelligtes ruhiges Leben führen können. Ich wollte wieder eine unbeschwerte und glückliche Familie.“
Josie schluckte hart. Das war auch ihr Herzenswunsch. Dennoch erwachte die Journalistin in ihr.
„Was ist passiert? Was weißt Du über die Frau und den Überfall?“
Männer haben sie mehrfach vergewaltigt, man hat ihr eine Flasche in die Vagina und den Anus gesteckt und sie damit schwer verletzt. Außerdem haben sie ihr eine Brustwarze fast abgebissen, sie hing nur noch an einem Zipfel. Ich konnte sie wieder annähen. Die Frau ist schwer traumatisiert. Die Polizei hat sie nackt und blutend zwischen den zerstörten Häusern gefunden.“
„Oh mein Gott, das ist ja schrecklich!“ Josie atmete tief und lange ein. „Ich werde morgen in die Redaktion fahren. Ich werde fragen, wie oft diese Vorfälle im letzten Jahr vorgekommen sind. Es gibt kaum Zeitungsartikel darüber. Ich weiß nur von den zweihundert entführten Mädchen aus Chibok, aber sonst dachte ich, gibt es keine weiteren Vorfälle.“
James sah sie gequält an. „Du willst wirklich weiter im Müll graben? Haben wir nicht genug durchgemacht? Sollten wir uns nicht auf die Familie und unsere Zukunft konzentrieren? Ich wünsche mir ein ruhiges Leben ohne Sorgen, Josie!“ Er sah sie ernst an.
„Vielleicht ist es unsere Aufgabe, den Menschen zu helfen und Missstände aufzudecken, James. Weil es sonst keiner tut! Wir sind stark! Und wir haben uns!“ Sie drückte seine Hand. Er sah sie an ohne ihr Lächeln zu erwidern. „Ich frage mich, ob es richtig war die Kinder in all diese Länder mitzunehmen. Vielleicht wäre ein Leben in Amerika besser für sie. Hier sind sie vielleicht in Gefahr!“ Josies Lächeln erstarb und sie senkte den Blick, als sie sprach: „Ich denke nicht, dass wir hier in Abuja in Gefahr sind und ich möchte meine Kinder nicht in einer pinkfarbenen Welt erziehen, wo sich Jugendliche höchstens um die neue Ausgabe ihres IPhone sorgen, oder welche Markenkleidung sie tragen. James, das Leben in Amerika ist für Menschen, die wegsehen möchten. Ich kann das nicht. Ich bin immer noch Journalistin. Ich möchte den Menschen mitteilen, dass es Missstände gibt, grausame Verbrechen und fast immer an der ärmsten Bevölkerung unseres Planeten. Wenn auch wir uns zurückziehen und wegsehen um ein bequemes Leben zu führen, was wird dann aus diesen Menschen? Es würde sich nie etwas ändern. Die Ärmsten werden ausgebeutet, ausgeschlachtet, benutzt und dann weggeworfen wie ein alter Putzlappen. Willst Du das wirklich? Kannst Du dann morgens noch in den Spiegel sehen?“
James war überrascht von Josies flammender Rede. Er drückte ihre Hand und stand müde und schwerfällig auf. „Lass uns ins Bett gehen, ja? Ich bin unendlich müde.“
Josie nickte und sagte leise: „Okay, ich räum noch schnell die Küche auf, dann komme ich.“
Als sie ins Schlafzimmer kam, schlief James bereits tief und fest. Sie kuschelte sich an seinen Rücken und hoffte für sie alle, dass sie nicht falsch lag mit ihrer Meinung, in Nigeria zu bleiben. Dann fiel auch sie in einen unruhigen Schlaf.
Kapitel 6:
Als sie im Mädchenlager ankamen, brachten sie Lisha mit den Anderen in eine Hütte. Man hatte ihnen die Handfesseln abgenommen und als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, nahmen sie sich die Augenbinden ab. Es gab nur einen Raum. Sie mussten auf dem blanken Fußboden schlafen, sanitäre Einrichtungen gab es nicht. In einer Ecke stand ein Eimer mit Wasser und einer Kelle darin und ein anderer leerer Eimer, mit einer Rolle Toilettenpapier daneben. Sie drängte sich dicht an ihre kleine Schwester Yola und legte beruhigend den Arm um sie. Sie wusste nicht wohin man ihren Bruder gebracht hatte. Er war auf einem anderen Truck mitgefahren. Hier in dem Raum waren nur Mädchen, keine Jungs. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Mädchen drängten sich ängstlich aneinander. Lisha begann wieder zu beten.
Zwei Männer kamen herein und holten die ältesten Mädchen heraus. Auch Lisha. Yola klammerte sich an Lishas Arm und weinte laut. Lisha strich ihr besänftigend über den Kopf und redete leise auf sie ein. Sie hatte unendliche Angst, dass man ihrer kleinen Schwester etwas antat, wenn sie nicht mit dem Weinen aufhören würde. Sie versprach ihr bald zurück zu kommen. Doch im Innersten taten ihr diese Worte weh. Es war ein unbestimmtes Versprechen, welches durchaus zu einer Lüge werden konnte. Vielleicht würde ihre Schwester sie nie mehr lebend sehen.
Der bullige Mann mit den Goldzähnen tauchte im Türrahmen auf. Als er Lisha sah, grinste er lüstern und voller Vorfreude. Er packte sie am