Cornelia Rückriegel
Csárdás im Schlosshotel
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Er steht im Licht eines freundlichen Mondes am Rand der Waldlichtung, die Hände in den Taschen seiner bequemen Hose vergraben. Weit schweift sein Blick hinüber zu den dunklen Wipfeln der Bäume, die sich wie ein Scherenschnitt vor dem hellen Sommerhimmel abheben. Gedämpft nur klingen Stimmen, Gelächter und einige Musikfetzen an sein Ohr. Dort hinter ihm ist das Hotel. Sein Hotel. Sein Traum. Dort amüsieren sich seine Gäste. So hat er es sich gewünscht. Das war sein Ziel, als er vor vielen Jahren dieses Anwesen erwarb. Hier sollte ein Hotel entstehen, das eine Oase der Entspannung, des Wohlfühlens für seine Gäste sein würde. Und es sollte eine Heimat sein für seine Familie. Hier würden sie alle leben. Hier würde ihr Zuhause sein.
In einem plötzlichen Wutanfall tritt er hart nach einem unschuldigen Ast, der harmlos vor ihm am Boden liegt. „Verdammt, warum? Warum wir?“ Er schreit es fast in den hellen Sommerhimmel. Doch nur das aufdringliche Zirpen der Grillen antwortet ihm. Er scheint allein auf dieser Welt zu sein. Er nimmt eine Bewegung schräg hinter sich wahr und wendet sich um. Dort steht sie, in dem gleichen leichten Sommerkleid, das sie heute Abend schon zum Dinner getragen hat. Offenbar hatte auch sie keinen Gedanken daran verschwendet, sich umzuziehen. Lediglich eine gehäkelte Stola hat sie sich aus ihrem Zimmer geholt, hat sie locker um die zarten Schultern geschlungen.
Es kann jetzt Ende des Sommers nachts schon empfindlich kalt werden hier in der Puszta, wenn die Sonne untergegangen ist und die sommerliche Hitze der Kühle der Nacht weichen muss. Schweigend kommt sie näher. Sie tritt zögernd neben ihn, berührt leise seinen Arm. Er will sich ihr verweigern, will stur geradeaus schauen. Er will jetzt nicht reden. Aber sie verlangt gar nicht, dass er reden soll. Sie steht einfach stumm neben ihm. „Es ist so unfair“, bricht es aus ihm heraus. Eigentlich wollte er das gar nicht sagen. Eigentlich wollte er gar nichts sagen. Aufstöhnend schlingt er seine Arme um sie und hält sie fest. Hält sich an ihr fest. Er, der Starke. Er, der Macher. Jetzt plötzlich braucht er ihre Stärke. Ihre Hilfe. Und dabei ist sie selbst doch auch so verletzlich, so weich. Wer weiß es besser als er. Sie haben in ihrer langen Ehe viele Höhen und Tiefen durchschritten. Haben zusammen gelacht und geweint. Haben Pläne geschmiedet und gemeinsam für ihre Träume gekämpft, Seite an Seite. Und jetzt, am dunkelsten Punkt seines Lebens, ist sie bei ihm. Obwohl es auch für sie der dunkelste Tag sein muss. Aber sie ist zu ihm gekommen. Um ihm zu helfen. Das weiß er sehr wohl. Er bewundert ihren Mut, ihre Stärke. Er weiß nicht, ob er in der Lage wäre, in dieser Situation einem anderen Menschen zu helfen. Nicht irgendeinem Menschen. Dem Menschen, der ihm am vertrautesten, am nächsten von allen ist. Er weiß es nicht. In ihm ist nichts als Schmerz. Aber sie muss den gleichen Schmerz fühlen. Es ist schließlich auch ihr Kind. Und doch kann sie zu ihm kommen, um ihm zu helfen. Was für eine Frau hat er da an seiner Seite.
Endlich, das Gesicht in ihren Haaren vergraben, kann er weinen. Sie hält ihn fest. Sie hat schon geweint. Allein auf ihrem Zimmer. Dann hat sie sich aufgerafft. Er wird damit nicht fertig ohne sie. Sie muss ihm helfen. Sie suchte ihn. Sie fand ihn an seinem Lieblingsplatz am Waldrand unter den schlanken Akazien. Nun hält sie ihn, während sein Kummer, sein Leid aus ihm herausströmen. Ohne sie hätte er nicht weinen können, das weiß sie.
Sie haben heute die Diagnose bekommen. Leukämie. Das Todesurteil für ihre Tochter.
1945
„Wir müssen fort, Großmutter, sieh es ein“, fleht die junge Frau mit den dunkelblonden Locken. Doch die alte Dame presst die Lippen zusammen. „Niemals. Dieses Haus ist das Haus unserer Familie. Seit Generationen haben wir hier gelebt. Ich sehe nicht ein, mich jetzt fortzustehlen wie ein Dieb in der Nacht!“ „Großmutter, sie werden kommen. Sie werden uns holen. Sie werden uns