Ich glaubte, sie nun extrem flink zu sprechen hören.
„Wir verabredeten uns irgendwann wiederholt zu einer nächtlichen Stunde in der Scheune. Mutter meinte mich bei der Freundin, die mich samt ihren Eltern bei dieser Schwindelei unterstützten. Damals, die Stunden mit ihm, das waren die schönsten Stunden meines Lebens. Ich begann die Weichheit unserer Heuernte und vor allem seinen Körpergeruch darin zu lieben, ehe sein zärtlicher Blick mich mitnahm zu einem unendlichen Tanz.
Dann kam sein 2. Einberufungsbescheid. Er wurde infolge seiner Genesung gleich nach dem Weihnachtsfest an die Westfront abkommandiert. Seine letzte Nacht, eingerollt in seinen dicken Mantel und im Heu liegend, gehörte uns bis zum Morgengrauen, nachdem ich Mutters Blicke ignoriert hatte.
Die nachfolgende Zeit kannte ich nicht mehr beim Namen. Keine Minuten, keine Stunden, keine Tage und Wochen, erreichten mein Bewusstsein. Ich fühlte nur mehr eine nie davor so gekannte Leere in meinem Dasein. Mit seinem ersten Brief und der Feldpostnummer, bekam ich endlich die Gelegenheit, meine in mir aufgestauten Empfindungen in Briefe an ihn einzupacken.
Eine kleine Weile meinte ich, sie und ihre Erzählungen verloren zu haben, bis sie unvermittelt fort fuhr:
„Als sich danach irgendwann ein amerikanischer Tiefflieger in unser Woid-Tal verirrte und auf alles schoss, was sich auf der müde gewordenen Erde bewegte, da wussten die Mutter und ich, was Krieg wirklich bedeutet und dass er in der ihm zugeschriebenen Art auf uns zukommen würde, schneller, als wir uns das vorstellen konnten.“
Ich hatte das Bedürfnis zur Bewegung und blieb am Türrahmen stehen, betrachtete von drinnen die draußen ihr Licht abgebende Straßenlaterne in der Hoffnung, dass sie die Küche und den angrenzenden Wohnraum noch geraume Zeit etwas ausleuchten würde und merkte leise an: „In dieser Zeit, die Deutschen wussten es nur nicht, hatten sich die Alliierten schon mit der Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen beschäftigt. Mit der Jalta-Konferenz vom 04.02.1945 war dies beschlossene Sache, ebenso die Gründung der Vereinten Nationen.“
Dann nahm ich das wieder auf, was Mora fast ohne Unterbrechung in mir weiter erzählte:
„Ich war mit der Mutter wieder mal zum Arbeiten auf dem Feld und, wie es in diesen Zeiten nicht nur bei Kleinbauern so üblich war, hatten wir dem Pflug zwei Kühe vorgespannt. Ochsen und Pferde waren Mangelware und letztere gab es mittlerweile vorwiegend nur mehr an der Front und dort oft dann nur mehr als Kadaver. Wir konnten das Brummen des Tieffliegers noch gar nicht hören, als wir bereits am tiefblauen und wolkenlosen Himmel den ungewöhnlichen schwarzen Punkt am Horizont über den Woid-Hügeln ausmachten, der näher und näher kam und dabei immer größer zu werden schien. Diesen herannahenden Punkt im Auge behaltend zerrten die Mutter und ich mit großer Eile unser Gespann unter die nächsten schützenden Waldbäume. Gerade noch rechtzeitig drückten wir unsere Körper gegen den Stamm einer hochgewachsenen Tanne, bemüht, die aufgeregten Tiere dabei nicht loszulassen, als das Knattern von Maschinengewehren über den Wipfeln bewies, dass unsere Vorsicht gerechtfertigt war. Schiere Kraft und ausdauernde Mühe hat`s uns gekostet, die verstörten Kühe am Durchgehen zu hindern.
Bis dahin war uns die Geborgenheit der Heimat nicht unbedingt bewusst gewesen, selbst während der vorangegangenen Kriegsjahre war sie für uns selbstverständlich und nun spürten wir fast körperlich, dass diese Geborgenheit verloren zu gehen schien. Vor allem dann, als sich das Gerücht verbreitete, dass die amerikanischen Truppen schon in nächste Nähe vorgerückt sein sollten.
Die Mutter lamentierte verhalten darüber, aber doch so, dass ich sie deutlich hören konnte. So meinte sie, dass der klirrende Lärm der Panzer nun über die ganze Welt hereingebrochen sei, bis hin vor die Haustür und der Druck der schweren Panzerketten, die den Boden von Heimat hörbar vergewaltigen, bald zu spüren sei, alles kommt zurück, alles was ausgesandt worden ist, das Gute und das Böse, kommt alles zurück, mal kommt`s gleich, mal dauert`s, aber es kommt, der Herrgott lässt sich halt Zeit.
Dies konnte sie nicht oft genug wiederholen.
Irgendwann hatte es damit begonnen, dass jede Nacht versprengte deutsche Soldaten, von Osten her über Böhmen nach Deutschland fliehend, verhalten an unsere Haustür klopften, die Mutter schon seit einiger Zeit wieder nachts verschlossen hielt. Durch die verschlossene Haustür wies sie die vorsichtig heranschleichenden nächtlichen Besucher an, zum Scheunentor zu kommen. Von dort, das große Holz-Tor nur spaltbreit geöffnet, versorgte sie die erschöpften Männer, ob jung oder alt, nicht auf den jeweiligen Dienstgrad achtend, zwischen Tür und Angel mit einem Kanten des selbstgebackenen Brotes und händigte ihnen zusätzlich und flugs zivile Kleidungsstücke aus, die sie sich, nachdem der Kleiderschrank des abwesenden Ehemannes bereits beträchtliche Lücken aufzuweisen begann, von Bekannten und der weitläufigen Verwandtschaft hierfür beschafft hatte. Kurz und knapp informierte sie dabei auch über die bekannten Bewegungen der herumstreunenden Waffen- SS, sowie über die heranrückenden Amerikaner. Plötzlich kreiste erstmals ein amerikanischer Tiefflieger direkt und zielgenau über unser kleines Anwesen. Mutter, wie immer geistesgegenwärtig handelnd, hängte hastig ein großes und weißes Bettlaken über unseren Holzbalkon. Bald danach zog der amerikanische Flieger immer größere Kreise um uns herum um sich dann schließlich zurückzuziehen. Jetzt, unmittelbar danach, begann die SS vom naheliegenden Waldhügel das Haus zu beschießen. Unvorbereitet und schnellstens musste die Mutter mit mir und den jüngeren Geschwistern aus dem Haus, hin zum gegenüberliegenden und schützenden Wald. Dazwischen lag jedoch eine vom Waldhügel aus einsehbare Wiese. Während die Geschosse der SS durch die Scheune über den anschließenden glatten Flur bis in den Wohnbereich rasten, schafften wir es dennoch, auf die noch einigermaßen sichere einen Seite des Hauses zu gelangen und durch ein Fenster unversehrt ins Freie zu kommen. Dann rannten wir wie gejagte Hasen über diese einsehbare Wiese hin zum Wald, hörten die Schüsse und die Einschläge in das Haus hinter uns und kamen wie von Sinnen, aber unverletzt im Wald an. Ich hab mich dann in alle Richtungen entleert. Von den einsetzenden Blutungen erzählte ich nichts. Mutter war nur erstaunlicherweise besonders fürsorglich zu mir, meine körperliche Erschöpfung war ihr aber kein Wort wert.“
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