Irgendwie schafften sie es, auf allen vieren ans Ufer zu kriechen. Sirrah ließ sich auf einem Baumstumpf nieder und japste nach Luft.
Tihal legte zaghaft seine Hand auf ihre. „Weißt du eigentlich, wovor ich in letzter Zeit immer Angst hatte?“
Sirrah grinste. „Dass du dich in ein Schlammmonster verwandelst?“
„Quatsch. Dass du dich in einen anderen verliebst, natürlich“, gestand Tihal. „Oder dass deine Eltern versuchen, dich mit irgendeinem geschniegelten Heini zu verkuppeln!“
„Glaubst du etwa, so einer würde mir gefallen?“ Sirrah kicherte. „Aber stell dir vor, so etwas ist tatsächlich schon passiert! Letztes Jahr haben wir eine Freundin meiner Mutter besucht. Die hat einen Sohn, der ist noch langweiliger als Arneb, und das will was heißen! Während der ganzen Heimfahrt hat mir meine Mutter vorgeschwärmt, was für ein netter und wohlerzogener Junge das doch sei!“
„Und, was hast du gesagt?“
„Dass sie selbst mit ihm ausgehen soll, wenn er ihr so gut gefällt. Seitdem hat sie weitere Versuche in der Art gelassen!“
Als Sirrahs Kleider trocken waren, verschwanden die beiden Sonnen hinter den Bäumen, und der Himmel brannte in leuchtendem Orange.
„Ist das nicht romantisch?“, flüsterte Tihal. „Wir zwei allein im Sonnenuntergang!“
„Das ist so was von kitschig, dass mir gleich schlecht wird“, log Sirrah.
„Also, mir gefällt es!“, widersprach Tihal lächelnd.
Was sollte sie darauf nur erwidern? Zugeben, dass sie die Stimmung zwar mochte, ihr das gleichzeitig aber auch irgendwie peinlich war? Am besten, sie zog sich mit einer Ausrede aus der Affäre.
„Ich muss jetzt los!“, sagte Sirrah. „Mein Vater hat bestimmt schon das Abendessen fertig.“
„Sehen wir uns morgen?“ Tihal machte ein erwartungsvolles Gesicht.
„Ich weiß noch nicht. Isa kommt morgen zu Besuch. Und Arneb habe ich versprochen, dass wir abends alle zusammen die Sternschnuppen beobachten. Allerdings habe ich keine rechte Lust dazu. Mit Sicherheit wird es schrecklich peinlich werden, wenn Arneb und Isa sich anschmachten!“
„Warum kommst du nicht zu mir? Wir setzen uns mit meinem Vater auf die Veranda, und er wird wieder einige von deinen Kinderstreichen zum Besten geben. Das wird sicher lustig!“
„Mal sehen!“ Sirrah sammelte Teller und Becher zusammen und verstaute alles in ihrer Tasche. „Bis dann!“
„Bekomme ich kein Abschiedsküsschen?“, fragte Tihal.
„Ein gut erzogener Junge fragt so was nicht!“
„Ich bin nicht gut erzogen!“
„Das nächste Mal!“, versprach Sirrah und machte sich auf den Heimweg.
Als sie zu Hause ankam, deckte Arneb gerade den Tisch. „Wo kommst du denn her?“
Menkar eilte aus der Küche und starrte sie erschrocken an. „Du liebe Zeit, wie siehst du bloß aus!“
„Bin in den Teich gefallen“, murmelte Sirrah. Das passte ja wieder wunderbar. Die halbe Familie war versammelt und glotzte sie an wie eine Sensation auf dem Jahrmarkt.
„Mitsamt den Kleidern?“ Menkar runzelte die Stirn. „Und was war mit Tihal?“
„Irgendwie sind wir beide reingefallen. Wir versuchten, uns gegenseitig herauszuziehen. Aber du weißt ja, wie schlammig das Ufer ist!“
„Zieh bloß das schmutzige Zeug aus, bevor hier alles dreckig wird!“
Sirrah spurtete die Wendeltreppe hinauf und verschwand im Bad. Sie stopfte ihre Kleider in den Wäscheschacht und drehte das warme Wasser auf. Nichts brauchte sie jetzt nötiger als eine lange, entspannende Dusche.
5. Sternschnuppen
Sirrah erwachte von den üblichen Geräuschen im Haus: Geschirrgeklapper und Stimmen, die sich etwas zuriefen.
Seufzend schwang sie ihre Beine über den Bettrand. Irgendetwas war doch heute los. Natürlich, Isa kam zu Besuch. Und am Abend würde es Sternschnuppen regnen!
„Guten Morgen, Arneb!“ Sirrah setzte sich an den Frühstückstisch und nahm sich ein Stück Früchtebrot. „Würde es dir etwas ausmachen, Isa von der Haltestelle abzuholen?“
„Wenn du möchtest.“ Arneb warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. Die Sache musste einen Haken haben.
„Wenn du keine Zeit hast, gehe ich selbst!“
„Kein Problem, ich bin fast fertig!“ Flink wie ein Pfeifhase verschwand Arneb in der Küche.
Menkar unterdrückte ein Grinsen.
„Ist Mutter schon wieder unterwegs?“, fragte Sirrah ihren Vater.
„Sie wollte zur Landwirtschaftsvereinigung, wegen der Helfer für die Obsternte. Vielleicht hast du Glück und sie schicken uns ein paar hübsche junge Männer!“
„Könnt ihr nicht endlich damit aufhören, mich zu verkuppeln?“
„Ich vergaß, dein Herz ist ja schon vergeben!“
„Da ist gar nichts vergeben. Ich möchte zur Raumflotte, oder hast du das schon vergessen?“
„Ich hatte gehofft, das legt sich wieder!“
Sirrah seufzte. Ihr Vater konnte sich vermutlich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sehr sie sich nach einem anderen Leben sehnte. Sie kam sich vor wie der Vogel ihrer Großmutter. Er lebte zwar in einer riesigen Voliere, in der sogar Platz zum Fliegen war. Trotzdem kam er nie hinaus.
„Ihr habt doch alle keine Ahnung“, sagte sie trotzig. „Ich könnte dort eine glanzvolle Karriere machen!“
„Meinst du nicht, das könnte ein wenig einsam werden?“, fragte Menkar. „Und Tihal wäre bestimmt auch nicht begeistert, wenn du von hier weggehst.“
„Was versteht der schon davon“, brummte Sirrah.
Die Haustür fiel rumpelnd ins Schloss. Arneb und Isa betraten kichernd das Wohnzimmer. Zweifellos war Isa die Einzige, die Arnebs Scherze witzig fand.
„Hallo Sirrah!“, rief Isa. „Na, wie geht’s dir?“
„Mir graust es jetzt schon vor der Büffelei!“ Sirrah zog die Nase kraus. „Möchtest du vorher noch eine Tasse Tee?“
Isa schüttelte den Kopf. „Bringen wir es so schnell wie möglich hinter uns!“
Sirrah schaltete ihren Bildschirm an. „Womit fangen wir an, Mathe oder Physik?“
Isa verzog das Gesicht. „Das ist wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera!“ Schließlich entschied sie sich für Physik. Die Differentialgleichungen zur Berechnung von Fallgeschwindigkeiten waren etwas, das Isa sich partout nicht merken konnte.
Am Nachmittag konnte Isa mit ihrem Wissen glänzen. Angestrengt versuchte Sirrah, Isas Vortrag über die berühmten Anführerinnen vergangener Tage zu folgen. Wie konnte sich Isa diesen ganzen Quatsch nur merken?
Nur mühsam unterdrückte Sirrah ein Gähnen. „Sag mal, was weißt du eigentlich über die Bewohner von Nardo?“
Isa sah ihre Freundin irritiert an. „Hörst du mir überhaupt zu?“
„Schon, das ist mir nur gerade so eingefallen!“
„Besonders viel geben die Datenbanken dazu nicht her. Wie du hoffentlich selbst weißt, stammen sie von denselben Vorfahren ab wie wir. Allerdings sind sie im Gegensatz zu uns fürchterliche Barbaren. Stell dir nur vor, sie züchten Tiere, um sie zu essen! Außerdem sind sie nicht gerade friedlich. Vor einem halben Jahrhundert haben sie wegen einiger Grenzstreitigkeiten