Und das kleine Eichhörnchen bleibt tatsächlich stehen. Den buschigen Schwanz hinter dem Rücken hochgestellt, richtet es sich auf und blickt sie erschrocken an. Danach kommt es zu ihr gesprungen, verdeckt etwas mit seinen Vorderpfoten am Boden und fragt: „Bist du schon lange hier?“ Weil sie ihm jedoch nicht gleich antwortet, sagt es noch: „Dann dreh´ dich bitte um!“
„Warum?“, fragt Isabella. „Möchtest du Verstecken spielen?“
„Nein“, sagt das kleine Eichhörnchen. „Ich möchte nur, dass du dich umdrehst.“
„Na schön!“, murrt Isabella und tut ihm den Gefallen. Doch weil sie wissen möchte, was das Kerlchen vorhat, blickt sie über ihre Schulter. Da sieht sie es wieder in den Wald hinein flitzen. Sogleich ruft sie: „Halt! Wo willst du denn hin?“ Sie bemerkt, wie es schnell etwas verscharren will, eilt ihm nach und findet im Loch eine Haselnuss.
„Willst du die etwa vergraben?“, fragt Isabella.
„Ja, ich lege einen Vorrat für den Winter an“, antwortet es und schaut sie misstrauisch an.
„Jetzt?“, fragt Isabella erstaunt.
Das kleine Eichhörnchen richtet sich keck vor sie auf und gibt ihr zur Antwort: „Man kann nicht früh genug damit anfangen, hat meine Mutter gesagt.“
„Und warum machst du das allein?“, möchte Isabella wissen. „Hast du keine Geschwister?“
„Doch ... doch“, stottert es. „Aber die schlafen alle noch.“
„Dann kann ich sie ja aufwecken!“, jubelt Isabella. „Darum bin ich ja hier. Ich habe nämlich mit der Sonne gewettet, dass ich alle viel schneller aufwecken kann als sie.“ Sie faltet die Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter und ruft laut: „He! Aufgewacht, ihr Eichhörnchen!“
„Pst! Nicht so laut!“, flüstert das kleine Eichhörnchen und zittert vor Aufregung.
„Wenn ich leiser rufe, hören sie mich doch nicht“, sagt Isabella verwundert. „Und dann verschlafen sie den schönen Morgen. Oder willst du das etwa?“ Sie schaut es fragend an.
Das kleine Eichhörnchen will aber keine Antwort geben und weicht ihrem Blick aus. Es springt einfach zu einem Tannenbaum und klettert ein Stück daran empor.
„Was hast du vor?“, fragt Isabella interessiert. „Willst du dir jetzt einen Tannenzapfen holen?“
„Nein!“, erwidert es und klettert flink zur Baumspitze weiter. „Ich will nur nach der Sonne sehen.“ Oben angelangt ruft es: „Du musst dich beeilen! Bald ist sie hier“, und hofft dadurch, unsere kleine Waldfee loszuwerden.
Doch Isabella hat es noch nicht so eilig. Sie muss erst die schlafenden Eichhörnchen wecken. Das sagt sie ihm auch. Da kann sie gar nicht so schnell schauen, wie das Kerlchen wieder vom Baum runter ist. Als es dann zitternd vor ihr steht, da ahnt sie etwas.
„Ich glaube“, sagt Isabella, "du willst gar nicht, dass deine Mutter und deine Geschwister aufwachen. Ich weiß auch warum, denn ich habe dich vorhin eine ganze Weile beobachtet. Du bist ein paarmal aus eurem Astloch gekommen und hast was im Waldboden verscharrt. Haselnüsse … nicht wahr?“
Das kleine Eichhörnchen sagt kein Wort.
„Du hast sie aus eurem Nest geholt“, sagt Isabella vorwurfsvoll. „Woher auch sonst! Hier steh´n ja keine Haselnusssträucher. Du willst alle Nüsse für dich allein. Darum bist du auch schon so früh auf den Beinen. Das finde ich nicht schön von dir.“ Sie sieht, wie das junge Eichhörnchen sich schämt, und hört es kleinlaut antworten: „Ich werde sie alle wieder ausgraben und zurückbringen.“
Da freut sich Isabella und streichelt das kleine Eichhörnchen zum Abschied. Als sie den Waldweg wieder erreicht hat, winkt sie ihm noch einmal zu und ruft: „Komm doch mal zur Waldlichtung, zur hohlen alten Eiche! Ich weiß, wo viele Haselnusssträucher steh´n. Dort kannst du genug Vorrat für den Winter sammeln. Und bring´ auch deine Geschwister mit!“
Seh´ einer sich den Igel an …
Seh´ einer sich den Igel an,
was der so alles machen kann!
Stück für Stück wird am Morgen die Dunkelheit aus dem Wald verbannt. Man bemerkt es kaum, so heimlich geschieht es, doch es geschieht. Schien das Gras noch vor einem Augenblick grau zu sein, ist es auf einmal dunkelgrün, wird heller und heller. Wenn man wie unsere kleine Waldfee nicht darauf achtet, besonders, wenn man mit der Sonne um die Wette läuft, kann man schon erschrocken sein, wenn man es dann feststellt.
Als Isabella bemerkt, dass es heller im Wald wird, blickt sie sich sofort nach allen Seiten um. Aber sie kann nicht feststellen, woher das Licht kommt. Es ist einfach da - und überall. Doch eines weiß sie, die Sonne ist ihr auf den Fersen. Und sie weiß, dass sie sich jetzt mit dem Aufwecken der Tiere beeilen muss. Darum verlässt sie den Waldweg, läuft in den dichteren Wald hinein, auch wenn die Tannennadeln am Boden in ihre Füße piken.
Plötzlich entdeckt Isabella etwas Merkwürdiges und bleibt wie angewurzelt stehen. Nicht weit von ihr entfernt, nur ein paar Bäume voraus, bewegt sich ein großer Pilz durchs Gras.
Nanu!, denkt Isabella, ein wandernder Pilz? Gibt es denn so etwas auch? Neugierig schleicht sie sich näher heran. Der Pilz wandert langsam weiter. Da tritt sie auf einen trockenen Ast. Es knackt. Sofort bleibt der Pilz stehen, und sie erblickt einen kleinen braunen, stachligen Hügel am Waldboden. Darauf muss sie laut über sich selbst lachen; denn nun weiß sie, wer der geheimnisvolle Pilzträger ist. Und sie sagt sich: „Seh´ einer sich den Igel an, was der so alles machen kann!“
Isabella tritt an die Stachelkugel heran, beugt sich runter und berührt vorsichtig mit den Fingern ihrer rechten Hand die Spitzen. Dann sagt sie liebevoll: „Ich tu´ dir ja nichts. Ich möchte dich nur fragen, wo du den schönen Pilz gefunden hast. Ich esse auch Pilze und würde gern welche sammeln, damit sie meine Mutter für mich kocht.“
„Am Birkenhügel“, nuschelt der Igel, streckt zögernd seinen Kopf hervor und schnuppert einen Moment mit der spitzen Nase. So peilt er die Lage. Und da er keine Gefahr mehr wittert, läuft er auf seinen kurzen Beinen davon.
Mit zwei Schritten hat Isabella ihn eingeholt. Doch schon liegt wieder die Stachelkugel mit dem aufgespießten Pilz vor ihr. „Na, du bist aber komisch“, sagt sie beleidigt. „Ich freue mich, dass ich dich getroffen habe, und du läufst einfach weg. Wenn du nett wärst, würdest du mich zu den Pilzen führen.“
„Hab´ keine Zeit“, hört sie aus der Stachelkugel. „Muss nach Hause … schlafen."
„Was? Du willst an diesem schönen Morgen schlafen?“, fragt sie verwundert.
„Ja! Ich bin müde, war die ganze Nacht auf den Beinen“, antwortet ihr der Igel. Einen Augenblick überlegt er noch, dann streckt er erneut den Kopf hervor und schaut sie an. „Ich hole mir nachts mein Futter“, erklärt er. „Ich kann sowieso am Tage nicht besonders gut sehen. Aber dafür höre und rieche ich gut. Pilze rieche ich schon von Weitem. Doch am besten schmecken mir die großen, fetten schwarzen Nacktschnecken.“
„I!“, Isabella schüttelt sich.
„In der feuchten Nachtkühle“, ergänzt er, „kommen sie aus ihrem Unterschlupf hervor. Dann kann ich genug von ihnen finden. Und was machst du hier so früh schon?“, fragt er noch und setzt sich wieder in Bewegung.
„Ich will die Bewohner dieses Waldes aufwecken!“, ruft Isabella ihm hinterher. „Damit sie nicht den schönen Morgen verschlafen. Ich laufe mit der Sonne um die Wette. Die Sonne … die Helle, kommt ja nicht von der Stelle!"
„Dann geh zum Dachs“, antwortet der Igel, bevor er unter einem Laubhaufen verschwindet.