Der Philosophenzirkel traf sich stets allein im Gasthaus Zur lustigen Kuh, und außerhalb dieser wöchentlichen Treffen pflegten die Mitglieder einander selten bis nie zu sehen. Einmal hatte der Philosophenzirkel probiert, ein Picknick mit Barbecue im Freien zu organisieren. Dabei saßen die Mitglieder des Philosophenzirkels relativ verstreut um die Feuerstelle, lasen jedes für sich in einem Buch, und sprachen fast gar nichts. Einmal ergab sich eine nervenzerfetzende Diskussion darüber, wie der Senf richtig aus der Tube gedrückt zu werden habe, die über eine Stunde in Anspruch nahm, weil es sonst nichts zu reden gab. Als der Geschmeidige Philosoph zu Linda sagte, ob sie auf die Glut an der Feuerstelle etwas aufpassen könne, da sie ja gleich daneben sitze, sagte Linda, ohne von ihrem Buch aufzublicken, er solle es doch selber machen.
Hin und wieder zerstritt sich der Philosophenzirkel natürlich ordentlich. Als Yorick einmal bemerkte, dass es doch schwul sei, sich immer nur mit Wirtschaftsthemen zu beschäftigen und nie mit Umweltthemen, entgegnete der Geschmeidige Philosoph geistesgegenwärtig, dass doch genau das Gegenteil richtig sei und die Umweltthemen schwul seien und nicht die Wirtschaftsthemen. Da stürzten sich Linda, Olga und Pampa auf die beiden und herrschten sie an, was das denn solle, was – doch bevor die drei ausreden konnten, beeilte sich schon der Geschmeidige Philosoph zu entgegnen, dass die Verwendung dieses Ausdrucks natürlich unverzeihlich sei, er aber in dem Moment von sich selbst überrumpelt worden sei, was zeige, wie tief die Phallokratie und der Phallogozentrismus in alle hineinreichen würde, er schäme sich so, er schäme sich so, doch der Phallogozentrismus sei eben so mächtig und vielleicht sei es letztlich gar nicht möglich, dem Phallogozentrismus zu entkommen, aufgrund des phallokratischen Charakters der Gesellschaft, wobei er bei der Aussprache des Begriffes Phallogozentrismus ständig mit dem Oberkörper nach vorne wippte. Yorick hingegen witzelte bloß, dass das das Schwulste sei, was er überhaupt jemals gehört habe, auf das hinauf explodierten Linda, Olga und Pampa und forderten daraufhin ständig einen Diskurs über Frauenphilosophie ein. Nach einigen Monaten explodierte dann ebenso unerwarteterweise die Stimme der Vernunft, die zum ersten Mal ohne vom Blatt abzulesen und in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung etwas vorbrachte, nämlich dass er es nicht mehr aushalten würde, wie Linda, Olga und Pampa die Zusammenkünfte des Philosophenzirkels dazu missbrauchen würden, ständig ihre Frauendiskurse in den Vordergrund zu stellen, er würde auch gerne einmal was sagen, könne aber nicht, aufgrund der ständigen Frauendiskurse, die Linda, Olga und Pampa allen aufzwängen würden, dringend sei außerdem zu diskutieren, wie der Philosophenzirkel im nächsten Jahr finanziell überleben wolle und dergleichen mehr, was auch alle wissen würden, und was auch Linda, Olga und Pampa wissen würden – dass man finanziell praktisch auf einen Eisberg zusteuere, trotzdem würden sie aber nichts unternehmen, und es vorziehen, ständig ihre Frauendiskurse allen aufzuzwängen. Da bekam Olga einen Schreikrampf und forderte den Ausschluss der Stimme der Vernunft aus dem Philosophenzirkel und schließlich fing sie zu weinen an, was Linda und Pampa etwas peinlich berührte, da das Verhalten ihrer Freundin ihre Frauenphilosophie auf ebenso etwas peinliche Weise konterkarierte. Schließlich einigten sich Linda, Olga und Pampa darauf, dass die nächsten 35 Treffen einem Diskurs über die patriarchalen Strukturen innerhalb des Philosophenzirkels gewidmet zu sein hätten. Der Geschmeidige Philosoph schloss sich mit Verve an, um über das Vehikel jenes Diskurses die Machtverhältnisse innerhalb des Philosophenzirkels zu seinen Gunsten zu ändern, und seine eigene Agenda durchzusetzen. Der Geschmeidige Philosoph gab Linda, Olga und Pampa immer recht und erging sich selbst stets in komplizierten Ausführungen über den Phallogozentrismus; er sprach sehr schön und auch sehr viel, allerdings nur, wenn Linda, Olga und Pampa da waren. Sobald Linda, Olga und Pampa nicht mehr da waren, hörte man vom Geschmeidigen Philosophen plötzlich nichts mehr über den Phallogozentrismus und Ähnliches, er redete ganz normal, als hätte man einen Schalter umgelegt. Die Agenda des Geschmeidigen Philosophen sah im Geheimen vor, möglichst viele Frauen zu ficken und ein bisschen angenehm über Poststrukturalismus, Diskursanalyse und Medientheorie zu plaudern. Linda, Olga und Pampa ließen sich aber nicht ins Boxhorn jagen, woraufhin die Ausführungen des Geschmeidigen Philosophen immer aufgedonnerter wurden. Schließlich unterbrach ihn der Andere Philosoph, der das eigentliche und gegenseitige besondere Hassobjekt des Geschmeidigen Philosophen darstellte, mit einem schiefen Lächeln und der Bemerkung, dass die Ausführungen des Geschmeidigen Philosophen gar keinen Wert hätten, da es phänomenologisch gar nicht als gesichert gelten könnte, dass es den Geschmeidigen Philosophen überhaupt gebe. Der Geschmeidige Philosoph brachte erschreckt ein paar poststrukturalistische Argumente für die Tatsache seiner Existenz an, die der Andere Philosoph schnell zerpflückte, und dem Geschmeidigen Philosophen vorwarf, dass seine Argumentationen gar keinen Wert hätten, da es ihn in Wirklichkeit gar nicht geben würde. Schließlich wusste der Geschmeidige Philosoph nicht mehr, was er sagen sollte, und war ganz verunsichert. Auf das hinauf wiederholte sich dann immer wieder dasselbe, und wenn der Geschmeidige Philosoph zu sprechen anfing, konfrontierte der Andere Philosoph den Geschmeidigen Philosophen mit der Behauptung, dass es ihn gar nicht geben würde. Sonderbarerweise ließ sich der Geschmeidige Philosoph stets darauf ein und ebenso sonderbarerweise verlor er stets und recht zügig dabei das Gleichgewicht und argumentierte zum Schluss nur mehr in flehentlichem, bittendem Ton, dass tatsächlich kein Beweis dafür existiere, dass es ihn gebe, sondern lediglich Wahrscheinlichkeitsgründe von allerdings sehr hohem Grade wie zum Beispiel die Einheitlichkeit seines Wahrnehmungsverlaufs oder – doch der Andere Philosoph brauchte dem nur ein spöttisches Pffft entgegenzusetzen, und der Geschmeidige Philosoph wirkte tatsächlich nur mehr wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte, klein, bewegungsunfähig und stumm. Mit großer Konsterniertheit blickte der Rest des Philosophenzirkels auf die Chose, in der der Andere Philosoph mit der haarsträubenden, wenngleich syllogistisch stets sauber ausgeführten Argumentation, dass es ihn gar nicht geben würde, den sonst so eloquenten und wortreichen Geschmeidigen Philosophen ganz einfach zusammenklappte, so wie einen Liegestuhl. Der Grund dafür lag darin, dass es den Geschmeidigen Philosophen tatsächlich gar nicht gab. Der Geschmeidige Philosoph war ein von der Natur ersonnener Scherzmechanismus, dessen Zweck darin aufging, möglichst viele Frauen zu ficken und ein bisschen angenehm über philosophische Modethemen zu plaudern. Ansonsten, im eigentlichen, substanziellen Sinn, gab es den Geschmeidigen Philosophen jedoch gar nicht. Yorick sagte zu alldem gar nichts, sondern ließ sich lächelnd den Gedanken durch den Kopf gehen, dass er allein durch seine Anwesenheit, seine Yorick-Anwesenheit, und ansonsten ohne irgendetwas zu sagen, eine ganze Gesellschaft beherrsche. In dem Moment beugte sich der völlig angetrunkene Andere Philosoph zu ihm, um ihm in seinem Ausnahmezustand das bemerkenswerte Eingeständnis zu machen, dass er alle Menschen hasse und allein mit völliger Verachtung auf die gesamte Menschheit blicke und die Philosophie für ihn allein ein Mittel, einen Behelf, darstelle, seine absolute Überlegenheit gegenüber dem Rest der so genannten Menschheit wenigstens in irgendeine Form zu bringen, da seine Überlegenheit ansonsten formlos sei. Wie auf Würmer, wie auf Pünktchen, wie auf Amöben blicke er aus seinem einsamen Adlerblick auf den Rest der Menschen und sein schönstes Vergnügen sei, auf diese Pünktchen und Amöben zu treten und sie dabei laut und fatal zerknirschen zu hören und dieses Zerknirschen unter seinen Füßen angenehm zu spüren. Die Philosophie und die Philosophen seien für ihn auch allein Amöben; Stirner sei der einzige Philosoph, den er halbwegs schätzen würde, Stirner, wenngleich auch der weit unter ihm stehen würde, klarerweise. Überhaupt wisse er gar nicht, wohin mit seinem ganzen Ekel auf alles. An der gesamten Musik schätze er allein die ersten beiden Alben der