Libri Cogitati. Stefan Heidenreich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Heidenreich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847643081
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Kopf, die eigentlich nur seiner Fantasie entstammen konnten, sich aber gleichzeitig real anfühlten.

      So auch an jenem Tag, an dem der Verlag, den er inzwischen für sein Werk gewinnen konnte, den Versand seines ersten Musterbuchs bestätigte.

      Wieder einmal tauchte er gedanklich darin ein.

      In der Geschichte, die Stefan seinerzeit schrieb, versetzte er sich selbst in die Rolle der Hauptfigur, die eine komplette Handlung ausschließlich aus der eigenen Perspektive erzählte. (Wenn er schon eine Geschichte erfand und niederschrieb, dann wollte er selbstverständlich auch persönlich die Hauptrolle darin spielen.)

      Er erzählte die komplette Story aus der Sicht von jemandem, der mit seinen, für viele Menschen exotisch anmutenden esoterischen Ansichten eher zufällig in ein geheimes wissenschaftliches Forschungsprojekt unter den Straßen von Berlin geriet. In diesem Projekt ging es um die Erforschung von Gedanken und deren Einfluss auf unser Sein sowie um die Welt, so wie wir sie erleben und wahrnehmen.

      Zugegeben, so ganz frei erfunden kam ihm die ganze Story schon damals nicht vor.

      Tatsächlich glaubte er seinerzeit, dass unsere eigenen Gedanken unsere komplette Welt mit allem was dazugehört für uns entstehen lassen, was allerdings gegen jede bekannte Schöpfungstheorie sprach.

      Nachdem er als Romanfigur die verschiedensten paranormalen Phänomene betrachtet und für sich selbst ausgewertet hatte, stellte er fest, dass die Leiter des Projekts in Wahrheit nur ein Ziel verfolgten. Sie wollten die absolute Macht. Hierfür erschufen sie eine eigene Welt in einem eigens dafür entwickelten Computer, in der dann auch tatsächlich virtuelle Menschen lebten. Menschen, die von unserer Existenz und unserer Realität nicht die geringste Ahnung hatten.

      Es war die vollkommene Umsetzung der oft zitierten künstlichen Intelligenz. Bei Computerprogrammen bedarf es nur einer einzigen Veränderung an der richtigen Stelle, um den kompletten weiteren Ablauf zu beeinflussen. Diese besonderen Ansatzpunkte wollte man in einem Computermodell aufspüren und anschließend nach vorhandenen Parallelen zu unserer Welt suchen. Tatsächlich gelang es den Wissenschaftlern der Geschichte, diese Parallelen ausfindig zu machen. An den so entdeckten gedanklichen Knotenpunkten wäre, mittels telepathischer Eingriffe, eine direkte Beeinflussung vieler Menschen und vor allem ihrer Handlungen realisierbar gewesen. Als Auftraggeber dieses Projekts erdachte er sich die in unserer Welt existierenden Großkonzerne. Das Ziel dieser Konzerne war die emotionelle Massenbeeinflussung, um noch mehr Macht auf uns auszuüben, als unsere Politiker ihnen ohnehin schon gestatten. Eine mächtige Waffe, von der die Menschheit nie etwas erfahren würde.

      Wer unsere Gedanken beeinflusst, der macht uns zwangsläufig zu seinen Marionetten.

      Wir kaufen, was wir kaufen sollen und stärken so diejenigen, die uns manipulieren. Doch wie weit würde es noch führen? Letztendlich würden wir Kriege führen, weil wir einfach davon überzeugt wären. Eine Überzeugung, die andere in unsere Köpfe pflanzen. Wir wären nicht mehr frei in unseren Entscheidungen. Denn alles, was wir tun würden, hätte jemand anders für uns vorbestimmt.

      Eine weltweite geistige Versklavung wäre das Endresultat.

      Nachdem der Protagonist diese Absicht erkannt hatte, suchte und fand er im letzten Moment einen Weg, um das Projekt zu stoppen. Alles war vorhanden. Selbst eine dramatische Flucht gehörte zu seiner Geschichte, um die von vielen Lesern erwartete Spannung zu erzeugen.

      Fast schon im letzten Moment gelang es dem Helden ungeschehen zu machen, was niemals hätte passieren dürfen. Ausgerechnet etwas, das vom Projektleiter Reiner Schwarzenbeck und seinen Experten selbst erschaffen worden war, kam ihm gerade noch rechtzeitig zu Hilfe. Es war die erste virtuelle Intelligenz „WILLI“. Benannt nach dem Chefprogrammierer Williams. Ein körperloses Wesen, welches seine Leser sofort ins Herz schlossen. WILLI hatte einen eigenen Charakter und den Wissensdurst eines Kindes.

      Zusammen mit ihm, den der Erzähler via Internet kontaktierte, setzte er die komplette unterirdische Einrichtung unter Wasser, indem er die computergesteuerten Systeme lahmlegte, und somit jagten sie gemeinsam die Bösen dann letztendlich in die Flucht.

      Doch war diese Hauptfigur seines Romans tatsächlich ein Held?

      Völlig egal. Es gab ein paar Freunde, die seine Geschichte vorab lasen und ihn über dies nun auch noch ermutigten, sie zu veröffentlichen.

      Nie fragte ihn jemand, warum er die ganze Story in der ersten Person geschrieben hatte.

      Nie fragte er sich selbst, warum es dies tat. Es war wie ein innerer Zwang es so zu erzählen, als ob er alles selbst erlebt hätte.

      Eines Tages, nach endlosen Absagen der renommiertesten Verlage des Landes, und allen Widersachern zum Trotz war es also endlich so weit.

      Er holte das Paket nach einer schriftlichen Benachrichtigung, die er in seinem Briefkasten vorgefunden hatte, von der Post ab und eilte damit nach Hause. Noch bevor er sich seiner Jacke entledigt und seine Wohnungsschlüssel an ihren Platz gehängt hatte, wickelte er den Inhalt des Pakets aus und öffnete den darin befindlichen Karton.

      Da war es nun also. Nach vielen Monaten des Wartens und der Hoffnung lag es tatsächlich vor ihm auf dem Tisch.

      Sein Werk.

      Von Experten gebunden und in Hochglanzkarton gehüllt. Nun sollte er den Lohn seiner Bemühungen erhalten. Er traute sich kaum es anzufassen.

      Seinem Buch wurde sogar eine eigene ISBN-Nummer zugewiesen, unter der es ab sofort weltweit bestellbar sein sollte. ›Weltweit‹ Schon allein das Wort ließ ihn in Ehrfurcht erstarren und ab und zu auch schmunzeln. Immer wieder stellte er sich vor, wie ein Asiat sein Buch verkehrt herum vor sich halten würde und damit nichts anfangen könnte, nur, weil er sich während der Bestellung bei der ISBN-Nummer verschrieben hätte.

      Eine alte chinesische Weisheit sagt, dass ein Mann in seinem Leben drei Dinge tun muss.

      Ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen.

      Nun, da er sich nie so richtig entscheiden konnte, in welcher Reihenfolge man dabei vorgehen musste, verzichtete er einfach darauf, diese Weisheit in ihrem vollen Umfang zu erfüllen. Was das Kinderzeugen betrifft, da war er sich jedoch etwas unsicher. Schließlich war auch er einst ein junger Mann gewesen, der keinem Flirt aus dem Weg gegangen war. Stattdessen setzte er sich eines Tages vor ein eigens dafür ausgeliehenes Laptop und begann seine Geschichte zu schreiben.

      Noch bevor er auf die Idee kam, sein Werk einem Verlag vorzustellen, versuchte er sich sogar in der Kunst der Buchbinderei.

      Alles, was er dazu wissen musste, lernte er aus den verschiedensten Anleitungen, die er dem Internet entnahm und in eine für sich realisierbare Form abwandelte. Er nähte damals vier Exemplare, von denen er drei an Menschen verschenkte, die ihm besonders nahe standen. Wie gesagt, handgenäht, so, wie es von den alten Buchbindern früher einmal praktiziert wurde.

      Eine Ausgabe behielt er für sich selbst zur Erinnerung. Erstaunlicherweise wurden alle vier Bücher besonders vorsichtig behandelt. Es machte ihn glücklich zu erkennen, dass Menschen sie wie etwas behandelten, das man nicht in jeder Buchhandlung zu kaufen bekam. Zumindest nicht die von ihm handgebundene Version. Sie existieren alle vier heute noch und enthalten alle Fehler, die er sich während des Schreibens erlaubt hatte. Und das waren zu seiner Schande sehr viele. Aber wozu gibt es schließlich Lektoren? Ja! Seine Art zu schreiben unterstrich die Existenzberechtigung von Lektoren in besonderem Maße.

      Und er war stolz. Warum auch nicht? Wenn man ein Buch schreibt und weiß, dass dieses noch existieren würde, wenn man selbst irgendwann das Zeitliche gesegnet hätte, dann war dies nun mal ein ganz besonderes Gefühl. Allein die Tatsache, dass zwei Pflichtexemplare an die deutsche Staatsbibliothek gingen, gab ihm dieses Gefühl.

      Für ihn bedeutete es, dass er quasi seinen Steinmetz bereits zu Lebzeiten selbst beauftragt hatte. Er mietete sogar Speicherplatz bei einem Internetprovider, um sein Werk der Öffentlichkeit auf einer eigenen Internetseite vorzustellen. Genauso wie bei seiner ersten Fassung des Buchs legte er auch hierbei größten Wert darauf, die Internetseite alleine zu gestalten.

      Selbst eine Kontaktadresse