Heinrich Töpfer und die Jubelkugel. Detlef Köhne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Köhne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742757166
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nicht völlig auf dem Schlauch stehen, falls man mal einen trifft. Deshalb lernen wir da auch Mathe und Naturwissenschaften und solches Zeug. Hab nicht immer alles kapiert, muss ich sagen. Nicht, weil ich zu blöd wäre, oder so. War nur nicht immer ganz bei der Sache. Zaubern interessiert mich halt mehr. Du bist doch bei den Nupsis aufgewachsen. Wie ist das so?«

      »Normal, würde ich sagen«, meinte Heinrich und wickelte seinen Imbiss aus. »Oder das, was ich bisher für normal gehalten habe. Wenn wir ein Poster mit Shakira nackt im Blubberbad haben wollen, behelfen wir uns mit Computern und Bildbearbeitungssoftware. Abgesehen davon ist das Internet voll von derlei Material.«

      Nach beendetem Imbiss begannen sie, sich durch ihre Vorräte an Süßkram zu futtern. Heinrich betrachtete die fremdartigen Leckereien zunächst argwöhnisch, probierte aber alles aus und fand, es träfe genau seinen Geschmack. Nur Haribos ›Banale Billigbohnen ohne jede Geschmacksrichtung‹ fand er etwas fade und die kandierten Rosenköhlchen verschmähte er ebenfalls. Ein paarmal versuchte er noch, seine Eltern per Handy zu erreichen, aber es war zwecklos. Er bekam einfach kein Netz. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen, mit den Verantwortlichen in der Akademie zu sprechen und darauf zu vertrauen, dass sie ihren Irrtum erkennen und ihn wieder nach Hause schicken würden. Die Akademie öffnete ihre Pforten jedoch erst gegen Nachmittag, wie Rum erzählte. Also vertrieben sich die beiden die restliche Zeit damit, durch die Stadt zu schlendern und sich jeweils aus der ihnen bekannten Welt zu erzählen. Durch die launige Unterhaltung mit Rum hatte sich bei Heinrich längst ein ähnlicher Effekt eingestellt, wie beim Einkaufsbummel mit Hagweed, und seine Anspannung hatte sich in Luft aufgelöst. Außerdem war er wider Willen neugierig auf alles, was ihn erwarteten mochte und Rum erwies sich als wahre Fundgrube des Wissens über die magische Welt, durch die sie gingen. Abwechselnd trugen sie dabei Heinrichs schweren Rucksack.

      »Hast du eigentlich gar kein Gepäck?«, fragte Heinrich Rum.

      »Doch. Aber ich hab's im Bahnhof in ein Schließfach eingeschlossen. Wir müssen es nachher noch abholen, bevor wir zur Akademie rauffahren.«

      »Und wir fahren nachher wirklich zu einer Zauberschule, die voll ist mit Kindern, die dort zaubern lernen?«

      »Du sagst es, Alter. Sonschiet ist die Stadt der Vereinigten Zaubererakademien. Das führende Institut ist Hochwärts. Angeschlossen sind eine Orientierungsstufe, das Institut für angewandte Verwandlung und verwandelte Anwendung und noch ein paar Läden. Klingt komisch, ist aber so. Schwurbelbart schmeißt den ganzen Laden dort. Er ist der Direx. Hat angeblich schon mal ein Kaninchen aus einem Zylinder gezaubert.«

      »Krass. Eine Stadt der Zaubererakademien.«

      Als ihnen erneut ein Unformierter entgegenkam, änderten sie rasch die Richtung und bogen in eine Seitenstraße ab.

      »Warum sind hier überall so viele Uniformierte unterwegs?«, fragte Heinrich. »Haben die hier erhöhte Terrorwarnstufe?«

      »So was Ähnliches«, lachte Rum. »Der erste Sonntag im September ist traditionell Ferienende und Einschulungstag für die Neuen. Aus allen Landesteilen kommen die Schüler und Studenten an die Akademien zurück und decken sich in den Läden für das kommende Semester ein. Nach Semesterbeginn gibt es nämlich selbst für die höheren Jahrgänge nur noch wenige Gelegenheiten, in die Stadt zu gehen, für die Erstsemester gar nicht. Für die Geschäftsleute von Sonschiet bedeutet dieser Sonntag Sonderöffnungszeiten und jede Menge Umsatz, für die Ordnungskräfte bedeutet es Ausnahmezustand.

      In Hochwärts selbst sind die einzigen Erwachsenen die Lehrer und das Verwaltungspersonal. Zusätzlich gibt es ein ausgeklügeltes System von Marshalls und Deputys, die von den Schülern gestellt werden, und das den Lehrkörper und vor allem den Schul-Sicherheitsdienst unterstützt. Bei den Schülern sind die Marshalls ziemlich unbeliebt, weil sie als Denunzianten und Arschkriecher gelten. Es gibt nur zwei Gründe, warum sich Schüler aus freien Stücken für diesen Job hergeben. Der eine ist: Du versprichst dir persönliche Vorteile davon. Und der andere: Du bist dafür geboren. Und von der Sorte hast du bereits ein Prachtexemplar kennengelernt: meinen Bruder Nervi. Du tust gut daran, dich vor ihm etwas in acht zu nehmen. Bildet sich 'ne Menge ein auf seinen Sheriffstern, und die beiden anderen Typen waren offenbar vom gleichen Schlage.«

      »Na großartig. Mein erster Ausflug in die Welt der Elben und ich gerate direkt Saruman und den Orks in die Fänge.«

      »Häh?«

      »Nupsi-Literatur.«

      »Ach so. Über ›Die Kleine Hexe‹ sind wir da nicht hinausgekommen. – Und? Hast du auch Geschwister?«

      Heinrichs Gedanken sprangen nach Hause. Was dort nach seinem Verschwinden nur los sein mochte? »Eine Schwester«, antwortete er. »Sie heißt Lena.«

      »Wie alt? Ist sie hübsch?«

      »Auf jeden Fall zu jung, Mann«, lachte Heinrich. »Sie ist sieben.«

      »Stimmt«, meinte Rum. »Das ist zu jung. Und wie steht's bei dir? Hast du ein Mädchen?«

      »Näh«, sagte Heinrich und schüttelte den Kopf. Verwundert stellte er fest, dass er Rum gerade einmal ein paar Stunden kannte und bereits vertraulichere Gespräche mit ihm führte, als jemals mit den meisten seiner Freunde am Gymnasium. »Und du?«

      »Nicht mal eine«, sagte Rum mit Weltuntergangsmiene. »Meine Mum meint, es sei noch zu früh und ich sei noch zu jung, um wirklich zu kapieren, was so abgeht.«

      »Das habe ich von meinem Dad ebenfalls gehört. Und was denkst du

      »Ich denke, dass das Quark ist und dass ich nichts gegen ein wenig mehr Glamour in meinem Leben einzuwenden hätte.« Der gleiche Satz, der auch Heinrich vor ein paar Tagen durch den Kopf gegangen war. »Bin gespannt, wie das mit den Mädels wirklich so läuft. Meine Eltern haben mir da nie sonderlich weitergeholfen. Selbstständige Erziehung schön und gut, aber ab und zu könnten sie mich in den Dingen des täglichen Lebens ein bisschen mehr unterstützen. Wenn ich alles immer selbst rausfinden muss, verliere ich nur Zeit. Ist doch wahr. Ruckzuck bist du dreizehn und fragst dich, ob das schon alles war. – Oder du kommst auf krumme Gedanken und fängst an, Feldherrenallüren zu entwickeln, wie mein lieber Bruder.«

      »Was dürfen die überhaupt? Die Marshalls und Deputys, meine ich. Ich dachte vorhin, die buchten uns direkt ein.«

      »Sie sind mit allen möglichen Vollmachten ausgestattet. Was das im Einzelnen heißt, kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß nur so viel, dass man sich besser nicht mit ihnen einlässt und die offene Konfrontation mit ihnen meidet. Der Kampf zwischen Schülerbewegung und Schulsicherheit findet mehr im Untergrund statt. Aber wir wissen jetzt, dass sich ihre Befugnisse anscheinend auch auf das Verhalten der Schüler außerhalb der Schule erstrecken und nicht an den Toren von Hochwärts haltmachen.«

      »Wo liegt eigentlich Hochwärts?«, fragte Heinrich.

      »Die Akademien sind über das ganze Stadtgebiet verstreut. Hochwärts liegt, soviel ich weiß, an den Hügeln am Stadtrand.«

      »Und wie kommen wir dahin? Mit Pferdekutschen?« Heinrich hatte die ganze Zeit in der Stadt noch nicht ein einziges Auto gesehen.

      »Pferdekutschen? Auf welcher Seite des Mondes bist du denn aufgewachsen? Wir fahren natürlich mit der U-Bahn. Stand doch in deiner Einladung. Allmählich müssen wir uns sputen, damit wir nicht zu spät kommen. Die 42 fährt sonntags nur jede Stunde und die letzte 666 ist um diese Zeit schon durch.«

      So machten sie sich auf den Rückweg zum Bahnhof, um Rums Gepäck abzuholen. Auch viele andere Schüler waren offenbar bestrebt, nicht zu früh, aber auch keinesfalls zu spät abzufahren: der Bahnsteig der U-Bahn-Station am Bahnhof quoll förmlich über. Die Schüler verteilten sich nach und nach auf die eintreffenden Züge anderer Linien, um zu ihren jeweiligen Akademien zu kommen, aber die meisten warteten, wie Heinrich und Rum, auf die 42. Die U-Bahn-Station sah aus wie daheim, fand Heinrich. Auch die Züge wirkten keineswegs so bizarr, wie er das nach den bisher in dieser Welt gemachten Erfahrungen vermutet hätte, sondern völlig normal.

      Als ihr Zug einrollte, begann ein heilloses Gedränge und Geschiebe, bis alle Schüler,