Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738064353
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„Nachher, wenn keine Gefahr mehr ist, da werden sich alle aus den Fenstern lehnen und die preußischen Farben schwenken, damit nur ja jeder sieht, das sie schon immer loyale Königstreue waren.“

      Karl spuckte verächtlich auf das Kopfsteinpflaster.

      Minuten später erreichten sie die enge, verwinkelte Gasse und Friedrich klopfte mehrmals an die Tür, bevor sie undeutliche Schritte hörten. Er drängte die ältere Frau zur Seite, schob sich an ihr vorbei in den Flur. „Friederike! Friederike!“

      Als sie oben am Treppenabsatz erschien, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. „Du musst packen, Liebste. Uns bleibt nicht viel Zeit.“

      Friedrich hatte erwartet, seine Verlobte werden nun rasch ihre Sachen packen und ihm bereitwillig folgen. Mit zart geröteten Wangen dem Geliebten aufgeregt ins neue Land folgen. Doch Friederike stand oben auf dem Treppenabsatz und wirkte merkwürdig unentschlossen. „Friederike“, drängte er, „du musst dich eilen.“

      Friederike Ganzweiler biss sich unbewusst auf die Unterlippe, bevor sie zögernd den Kopf schüttelte. „Ich… es geht nicht, Friedrich.“

      „Um des Herrgottes Willen, warum nicht?“ Er sah sie fassungslos an, während Karl herein kam und drängend an seinem Ärmel zupfte. „Aber, Friederike, wir… wir lieben uns.“

      „Ja, wir lieben uns“, sagte sie merkwürdig tonlos. Unsicher schlug sie die Hände vors Gesicht. „Friedrich, ich kann nicht. Nicht jetzt.“

      Nicht jetzt. Später. Oh wie er dieses Wort verabscheute, wenn es aus ihrem Mund kam. Friedrich versteifte sich. „Warum nicht?“

      „Ich kann doch jetzt meine Eltern nicht im Stich lassen.“ Sie kam ein paar Stufen die Treppe hinab und sah ihn bittend an. „Friedrich, das musst du verstehen. Ich kann jetzt einfach nicht mit dir kommen.“

      Friedrich spürte Trauer und Enttäuschung, die in ihm aufstiegen.

      Erneut zog Karl an seinem Ärmel. „Wir müssen los, verdammt“, knurrte der Bruder erregt. „Die Preußen werden bald da sein.“

      „Ich… ich werde nachkommen“, sagte Friederike hastig und kam noch ein paar Stufen herunter. „Meine Eltern wollen auch nach Amerika. Mit dem Karl Schurz. Aber sie müssen noch vieles vorbereiten. Den Besitz auflösen und transferieren. Das verstehst du doch, nicht wahr?“

      Nein, das verstand Friedrich überhaupt nicht, doch er nickte. „Ja, sicher.“

      „Vater sagte, wir würden nach New York gehen. Dort… dort werden wir uns wiedersehen, ja?“

      Es war halb Hoffnung und halb Versprechen, die ihn wortlos nicken ließ. Für einen flüchtigen Moment umarmten sie einander und fanden sich ihre Lippen. Friedrich schmeckte salzige Tränen und wusste nicht zu sagen, ob es die seinen oder die von Friederike waren.

      Karl packte seine Schulter. „Kommt, Brüder. Wir müssen gehen. Ich kann das Königsbanner sehen.“

      Friedrich wandte sich von Friederike ab. Die anderen glaubten Spuren von Feuchtigkeit auf Wangen und Bart zu erkennen. Während sie durch die Gasse hasteten, sah Friedrich das Bild seiner Verlobten vor Augen. Wie sie mit tränenüberströmtem Gesicht auf der Treppe stand. So endete für die Brüder Baumgart, Anfang August 1849, der Kampf um Freiheit und Demokratie.

      Kapitel 2 Der lange Marsch

      Obwohl Gottfried Wenzel ihnen davon abgeraten hatte, wollten die Brüder sich von ihren Eltern verabschieden. Auch wenn einer von ihnen in der nächsten Zeit ohnehin den Hof hätte verlassen müssen, da dieser nicht genug Ertrag brachte, so fiel es ihnen doch gleichermaßen schwer, Hof und Heimat aufzugeben. Friedrich wäre es leichter gefallen, wenn Friederike ihn begleitet hätte, doch so erschien es den drei Brüdern, als sollten sie nun die letzte Brücke zur Heimat hinter sich abschlagen. Ihren Eltern würde es sicher nicht anders ergehen. Daher mussten sie zu diesen, um zu beweisen, dass es ihnen gut ging, und dass die Brüder halt in die ungewisse Fremde mussten, damit es aller Wahrscheinlichkeit nach auch so blieb.

      Die Brüder Baumgart machten sich keine besonderen Sorgen um die eigene Zukunft, denn sie sagten sich, ein paar kräftige Arme werde man halt überall brauchen können. Auf dem Hof der Eltern wollten sie ein paar Sachen packen. Ein wenig Wäsche zum Wechseln, etwas für den Schnappsack, vielleicht hatte ihr Vater sogar ein paar Pfennige für sie. Letzteres glaubten sie kaum, denn vom Ertrag des kargen Bodens fraß die Steuer den größten Teil. Dabei hatte ihr Vater noch Glück gehabt kein Pachtbauer zu sein. Nach dem großen Krieg gegen den Kaiser der Franzosen war er mit einer Auszeichnung und der Besitzurkunde für das Land heimgekehrt.

      Doch aus ihrem Vorhaben wurde nichts.

      Schon von Weitem sahen sie ungewöhnliches Blitzen auf dem Hof. Als sie vorsichtig näher ritten, erkannten sie eine kleine Patrouille preußischer Kürassiere, die hier ein Biwak aufgeschlagen hatten. Sie konnten die langen Rosshaarschweife der Helme und die metallenen Brustpanzer der Reiter deutlich sehen.

      „Wir sollten warten, bis sie abgezogen sind“, schlug Karl vor. „Sie können ja nicht lange bleiben.“

      Friedrich erkannte ihren Vater, der mit einem Kürassier sprach. Der Anblick schmerzte ihn. Zu gerne wäre er einfach hinüber gegangen und hätte seinen Vater in die Arme genommen. Der Reiter schien Offizier zu sein.

      „Sie werden nicht abziehen“, sagte Hans. Er hatte seine Augen beschattet und blickte angestrengt zu dem ärmlichen Haus, wo ein anderer Soldat an der Tür hantierte.

      „Wie kommst du darauf?“ Karl nahm seinen Zweispitz ab und wischte Schweiß von der Stirn.

      „Sie machen Quartier“, sagte Hans seufzend. „Der Kürassier an der Tür macht Zeichen mit Kreide.“

      Das kannten sie noch von ihrem Dienst in Hauptmann Wenzels Kompagnie. Auch da hatte der Quartiermeister mit Kreide an die Türpfosten geschrieben, wie viele ihrer Männer ein Haus aufzunehmen hatte. Die Leute, die ihnen mehr oder minder freiwillig Quartier boten, waren oft genug mit Wechselscheinen der Republik abgegolten worden. Solchen, die nun keinen Wert mehr hatten.

      „Dann erwarten sie eine größere Abteilung. Der Teufel soll sie holen. Warum machen sie das ausgerechnet bei uns?“ Karl fluchte ausgiebig, bis Friedrich ihn mahnend anstieß.

      „Du sollst dich nicht versündigen gegen den Herrn.“ Friedrich wies zum Hof hinüber. „Vielleicht wollen die Reiter von hier aus patrouillieren. Sind bestimmt auf der Hatz nach den unserigen.“

      „Und nach uns.“

      So wandten sie dem elterlichen Hof und der alten Heimat den Rücken.

      Sie ritten abseits der Straßen zwischen den Weinbergen hindurch nach Frauenstein. Es lag nur rund sieben Kilometer südwestlich von Wiesbaden. Oben, auf dem Hohenstein, der sich über den Ort erhob, machten sie Rast. Von hier hatten sie einen guten Ausblick über den Ort und die Straße, die sich durch Frauenstein hindurch in den Rheingau erstreckte. Sie sahen die Ruine der Burg unter sich. Auf der anderen Seite lag der Rhein und am gegenüberliegenden Ufer konnten sie gerade noch Mainz erkennen.

      Sie sattelten ab und die Pferde fanden genug Grün, um es auszuzupfen und genüsslich zu kauen. Hans sah ihnen neidisch zu und der knurrende Magen ließ ihn selbst ein paar Halme probieren, bevor er sie mit einem missmutigen Laut ausspuckte.

      „Wie sollen wir es halten?“, fragte Karl ächzend. Er hockte sich auf einen Stein und zog einen der Schuhe aus. Mit erleichtertem Gesichtsausdruck fischte er einen kleinen Stein hervor und warf ihn achtlos hinter sich. „Wir müssen rüber. Sollen wir es hier versuchen oder nach Koblenz hinüber? Wir könnten uns bei Bingen übersetzen lassen.“

      Friedrich kratzte sich am Vollbart. „Von was sollen wir die Fährleute bezahlen? Und in Koblenz sind die Truppen des Großherzogs. Die werden sich jedes Gesicht genau ansehen.“ Er blickte Karl ironisch an. „Und jeden Hut.“

      „Es gibt viele wie uns. Gerade jetzt“, sagte Karl verdrießlich. „Leute