Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738064353
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betrachteten die auswehende Fahne mit wachsender Ehrfurcht. Das war also die Flagge jenes Landes, welches ihre neue Heimat werden sollte. Ein blaues Feld, mit etlichen in Reihen angeordneten Sternen, und rote und weiße Streifen. Sieben rote und sechs weiße Streifen.

      „Hübsch“, kommentierte Hans. „Kommt, lasst uns hingehen. Vielleicht können wir mitfahren.“

      Karl hielt ihn am Arm fest. „Bist du verrückt? Das da ist ein Kriegsschiff. Die nehmen keine Passagiere mit. Willst du etwa wieder Soldat werden?“

      Hans schüttelte den Kopf. Nein, dazu hatte er keine Lust.

      Friedrich betrachtete ein größeres Postschiff, dass vor dem Hafen auf Reede lag. Eine Reise mit solch einem Schiff würden sie sich nicht leisten können. Selbst wenn sie im Unterdeck fuhren, würden sie sehr lange arbeiten müssen, um das notwendige Geld zusammenzubekommen. Er kratzte sich nachdenklich am Vollbart. „Wir sollten schauen, ob wir ein Schiff finden, das nach Amerika fährt und auf dem wir uns verdingen können.“

      Bernd Kahlmann blickte über den geschäftigen Hafen. „Gehen wir zu den Kneipen. Da hängen bestimmt genug Matrosen herum, die uns Auskunft geben können.“

      Sie schoben sich durch das Gedränge und achteten darauf, zusammen zu bleiben. Friedrich hielt eine Hand fest verschlossen in seiner Jackentasche. Dort befand sich das wenige Geld, über das sie noch verfügten. Etwas davon würden sie nun wohl ausgeben müssen. Der Hafen war weitläufig. Zwischen den Handelshäusern, Lagerschuppen und sonstigen Gebäuden fanden sich auch Gasthäuser und Kneipen. Eine von letzteren betraten sie schließlich zögernd.

      Neben dem üblichen französischen Wein gab es hier auch Bier. Sie wussten nicht, ob es wirklich deutsches Bier war, wie der Wirt versicherte. Jedenfalls schien ihm der Transport nicht gut bekommen zu sein. Es schmeckte schal und hatte einen merkwürdigen Nachgeschmack. So froh sie waren, endlich wieder ein Bier trinken zu können, so reizte sie die Aussicht auf ein weiteres dieser Getränke doch nicht besonders.

      Hans war fasziniert von einem hübschen Mädchen, welches ihn aufreizend anlächelte, bis der Wirt es verscheuchte. Kahlmann lachte leise und schlug ihm auf die Schulter. „Vergiss es. Das ist nicht seine Tochter, sondern eine seiner Huren. Na ja, vielleicht trotzdem seine Tochter. Ist auch egal. Er hat gleich gesehen, dass bei uns nichts zu holen ist und sie zurückgepfiffen.“

      Kahlmann sprach als einziger fließend Französisch. Er sprach den einen oder anderen Mann an, den sie für einen Matrosen hielten. Im Grunde waren sie nicht schwer zu erkennen. Zwar waren die meisten Männer hier braungebrannt, kräftig und vom Wetter gegerbt, doch die Seeleute hatten einen typischen und merkwürdig wirkenden Gang. Sie schienen ein wenig zu Schaukeln, so, als trauten sie der Festigkeit des Bodens nicht. Viele der Männer waren Barfuss und hatten hornige Füße.

      Nach einer Weile kam Bernd Kahlmann mit einem hageren Mann zurück. Dieser trug gestreifte Hosen und geschnürte Stiefel, dazu eine blaue Jacke. Unter der Jacke erkannte man das bei Seeleuten wohl übliche Messer. Doch hinter der roten Schärpe des Mannes steckte zusätzlich eine doppelläufige Pistole.

      „Das ist Pierre Lerousse“, stellte Bernd vor. „Er ist erster Maat auf der Marbelle und sagt, er könne uns helfen.“

      Der Mann hatte ein schmal geschnittenes Gesicht. Ein wenig schaudernd erkannte Hans eine weißliche Narbe, die sich von der rechten Augenbraue bis zum Kinn erstreckte und dazu führte, dass Lerousse ständig schief zu grinsen schien. Lerousse zog einen Schemel heran und setzte sich. „Allors, meine Freunde“, sagte er freundlich, „euer Kompagnon sagt mir, ihr sucht eine Passage nach Amerikas, oui?“

      Die drei nickten und das Grinsen des Maats verstärkte sich noch. „Ihr habt nicht viel Geld, n´est ce pas?“

      „Nein“, bekannte Friedrich als Wortführer. „Aber wir sind kräftig und können arbeiten. Wir würden uns die Überfahrt schon verdienen.“

      Pierre Lerousse lachte herzlich auf. „Natürlich, meine Freunde, natürlich.“ Er wandte sich dem Wirt zu und winkte ihn heran. „Bring eine Runde von deinem besten, mein Freund.“ Während der Wirt verschwand, sah Lerousse sie der Reihe nach an. „Die Marbelle geht nach Amerika, meine Freunde. Genau dorthin, wohin ihr wollt. Wir werden noch einen kleinen Abstecher machen, um Ladung aufzunehmen, aber das macht euch sicher nichts aus, oui?“

      „Äh, nein“, sagte Friedrich unsicher. „Hauptsache, wir komme nach Amerika.“

      „Aber sicher, das werdet ihr, meine Freunde, das werdet ihr.“ Die Krüge kamen und Pierre Lerousse verteilte sie.

      Während sie sich zuprosteten musterte Friedrich den Mann und was er sah, gefiel ihm immer weniger. Er begann sich zu fragen, ob es richtig sein würde, an Bord der Marbelle zu gehen. Doch immerhin waren sie zu Viert, da sollten sie sich schon ihrer Haut wehren können. So wie Lerousse das Schiff beschrieb, schien es relativ klein und sehr schnell zu sein. Kaum dreißig Mann Besatzung. Friedrich hatte gehört, dass die großen Linienschiffe, wie jenes im Hafen, bis zu tausend Mann Besatzung besaßen.

      Sie tranken noch eine zweite Runde und Friedrich bemerkte, dass Lerousse eine sehr geschwätzige Art hatte. Er war ständig am plaudern. Stets freundlich. Aber Friedrich schien der einzige zu sein, der bemerkte, dass all das Gerede nicht viel Substanz hatte. Der Mann schwärmte von dem Schiff, aber welchen Geschäften man nachging, darüber schwieg er sich eigentlich aus. Der Älteste der Baumgarts bekam das Gefühl, das die Marbelle ein Schmugglerschiff war. Doch bevor er mit seinen Brüdern und Kahlmann beraten konnte, zahlte Lerousse und blickte sie auffordernd an.

      „Nun denn, meine Freunde, ich zeige euch das Schiff und stelle euch dem Kapitän vor.“

      Mechanisch erhob Friedrich Baumgart sich und folgte den anderen. Er bemerkte einen französischen Gendarmen, der Lerousse beobachtete und dieser Blick gefiel ihm nicht. Aber der Polizist machte keinerlei Anstalten, sich zu erheben und ihnen zu folgen.

      Die Marbelle lag an keiner der Anlegestellen, sondern ankerte auf der Reede des Hafens. Lerousse winkte ein Boot heran, ließ die vier einsteigen und wies die Kutterbesatzung an, sie zum Schiff zu rudern. Die Ruderblätter hoben und senkten sich im Gleichmaß und Hans wunderte sich, wie wenig Geräusch sie machten, wenn sie ins Wasser eintauchten. Lerousse schnappte seine Bemerkung auf und lachte. „Bist nur auf einem Lustboot mit deiner Liebsten gepaddelt, oui? Es kommt auf die Technik an, mein Freund. Maximale Wirkung bei geringstem Kraftaufwand. Doch das lernst du noch, mein Freund.“

      Allmählich begann sich der Tag zu neigen und als sie sich dem Schiff näherten, hob es sich seltsam schimmernd gegen den beginnenden Sonnenuntergang ab.

      Die Marbelle mochte um die dreißig Meter lang sein und lag hoch im Wasser, was darauf hinwies, dass sie kaum Ladung hatte. Der Rumpf war graugrün gestrichen, mit einem rot gestrichenen Unterwasserschiff. Sie besaß zwei Masten. Der vordere, größere Mast, war Rahgetakelt. Das bedeutete, dass vom Mast hölzerne Ausleger quer zur Fahrtrichtung verliefen, von denen die Segel herabgelassen wurden. Der hintere Mast hatte Lateinerbesegelung. Der dortige Segelbaum lief parallel zur Fahrtrichtung. Zwischen den Masten ragte der Schornstein einer kleinen Dampfmaschine auf.

      Der Kutter ruderte, unter dem weiß gestrichenen Bugspriet der Marbelle hindurch, auf die andere Seite des Schiffes. Die Brüder erkannten über sich eine Galionsfigur. Sie stellte den Kopf eines Einhorns dar, dessen Horn in Fahrrichtung gerichtet war.

      „Boot ahoi“, rief es von oben herunter.

      „Schiff ahoi. Marbelle“, erwiderte Lerousse und die Männer an Deck des Schiffes erkannten ihn und seine Stimme.

      In der umlaufenden Reling des Schiffes stand eine Einstiegspforte offen. Friedrich betrachtete misstrauisch die hölzernen Stufen, die in die Bordwand eingearbeitet waren. Sie schienen ihm schmal und wenig vertrauenerweckend. Doch Lerousse warf der Kutterbesatzung eine Münze zu, schwang sich ohne zu Zögern auf die Stufen und erklomm sie zum Oberdeck. Friedrich zuckte die Achseln, ergriff die merkwürdige Leiter und stellte fest, wie sehr das Schiff schaukelte. Zumindest erschien es ihm, denn wenn er den Fuß auf den unteren Tritt setzen