Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Bendick
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759061
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hochgelaufen. Zusammen begrüßten wir ihn. Denn ich wollte, dass von Anfang all alles klar war. Als er uns zusammen sah, kam ihm eine Ahnung. Doch blieb er gelassen und letztlich verstanden wir zwei uns gut. Doch war mir wohler zumute, als er nach ein paar Tagen wieder abreiste…

      Die Ersatz(dienst)-Mutti

      Der große Tag rückte näher. „Heute kommt deine Schwiegermutter!“ neckten mich die Anderen, die mein Verhältnis zu Dora mitbekommen hatten. Damit hatten auch die Bemerkungen und Wetten ein baldiges Ende genommen. Ich, der nicht gewettet hatte, war als ‚Gewinner‘ hervorgegangen. Doch dieses Wort war nichts im Vergleich zu dem Glück, das wir gefunden hatten. Sie kamen mit dem Auto. Sie luden das Gepäck in die Seilbahn und stiegen dazu. Dora stand neben mir im Maschinenhaus. Ich drückte auf den Knopf. Summend setzte sich der Mechanismus in Bewegung. Und da waren sie. Der kleine, mopsige blonde Lockenkopf, der mich kritisch betrachtete, war also ihr Bruder! Schaute ziemlich aufgeweckt aus! Ob der sich schon was dachte? Und die Frau, der ich aus der Gondel half, sah ihrer Tochter so ähnlich, dass man die zwei verwechseln hätte können. Da muss ich im Dunkeln aufpassen, um nicht der Falschen zu nahe zu geraten!

      Wir führten sie beide zum Haus hinunter. Gleich von Anfang an hatten alle die Mutter ins Herz geschlossen. Wir nannten sie ‚unsere Ersatz(dienst)-Mutti‘, und bald schon duzten wir uns alle. Sie hatte keine Angst vor der Arbeit, und bald schon war sie Bestandteil unserer Mannschaft. Sie kümmerte sich vor allem um die gesamte Bettwäsche, die alle im Haus gewaschen wurde, und die Mangel. Reiner, der kleine Bruder, bald nannten wir ihn Obelix, weil etwas rundlich, war überall da zu finden, wo Unsinn ausgeheckt wurde, Streiche gespielt und Wassereimer über die Tür gehängt. Einmal geriet der Chef unter so einen, der für jemand anderen bestimmt war. Wir befürchteten Stunk, aber er nahm es mit einem Lachen.

      Mit Herbert, meinem Zimmerkollegen, verstand ich mich gut. Wir trafen uns oft alle im Zimmer von einem von uns, und es wurde gefeiert. Billy rauchte kein Gras, trank dafür aber gerne mal einen. Er hatte es zu einem seiner Erziehungsziele gemacht, uns davon abzubringen. Manchmal fragten wir uns, ob er überhaupt mitbekam, was da meistens geraucht wurde! In unseren Zimmern standen Blumentöpfe mit Hanfstauden. Da wir unsere Buden selber putzten, bekam niemand mit, was da wuchs. Auch wusste kaum jemand, wie eine Hanfpflanze aussah. Und wenn mal jemand nach dem Namen fragte, dann war das eine südafrikanische Dattelfeige, sehr schwierig zu halten! Bei Berührung oder dem kleinsten Stress werfen sie die Blätter ab. Somit war auch die nächste Frage im Voraus beantwortet, warum bisweilen wenig Blätter an den Zweigen hingen. Der Stress!

      Dafür waren wir umso entstresster, wir waren eine immer fröhliche Bande, die alles für das Haus hergab. Wir hörten Rock, Pink Floyd, Cat Stevens, Ravi Shankar, brannten Weihrauch (auch um den herben Grasgeruch zu verdecken), meditierten. Wir lasen den Herrn der Ringe, schrieben Gedichte, wanderten, fuhren Ski. Trotz der Arbeit machten wir uns eine gute Zeit. Manchmal war die Arbeit sogar eine angenehme Freizeitunterbrechung. Bisweilen besuchte Dora mich in unserem Zimmer. Aber das glich oft eher einem Saustall. Wir alle hatten die Betten und Möbel weitgehend auf den Dachboden geschafft und lebten auf Matratzen, die auf dem Fußboden lagen. An den Wänden stapelten sich Südtiroler Apfelkisten als Regale, zum Brechen voll mit Büchern, mit Wäsche und unseren Habseligkeiten. Dann lagen da die alten Klamotten rum, die Socken, die Bergschuhe. Kurz: Das Zimmer glich eher einer Räuberhöhle als einem Platz für ein Mädchen aus der Stadt. Deshalb besuchte ich sie lieber in ihrem Zimmer im Maschinenhaus. So konnten wir in Ruhe diskutieren und uns unseren Umarmungen hingeben. Und da wir danach immer einschliefen, ging ich jeden Morgen von da oben zu meiner Arbeit nach unten ins Hauptgebäude. Und da wir eh zusammenbleiben wollten, warum also nicht gleich?

      Es hatte wieder mal frisch geschneit. Ich stapfte durch die unberührte Schicht Pulverschnee nach unten und ergötzte mich an der morgendlichen Bergwelt. Es war wie ein neuer Schöpfungsmorgen. Die Welt lag noch in Unschuld. Im Speisesaal stand jemand vom Personal am offenen Fenster und rauchte scheint’s eine Zigarette. „Au scho in der Höh?“, rief er mir zu. „Logo!“ antwortete ich. „Schau mal hinter dich!“ Ich drehte mich um. „Ja, was soll da sein?“ „Sigschte nix?“ „Klar, meine Spuren!“ „Und wenn die ‚Schwiegermutter‘ die sigt?“ „Ich denk, die weiß eh mehr als wir denken!“ Für mich war klar, dass wir zusammenbleiben wollten. Außerdem würde sie bald 19 und ich fühlte, dass wir füreinander bestimmt waren. Die Schwesterseele sozusagen. Ich sah die Zukunft doppelt…

      Bernd hatte eine neue Meditationsmethode erfunden. Anstatt nur bei Kerzenschein zu sitzen, stellte er sich die Kerze auf den Kopf, nur gehalten von seinen wuseligen Haaren. Zum Glück kamen wir in sein Zimmer, bevor sie ganz runtergebrannt war. Wie sah der aus! Die Haare verklebt von Wachssträhnen, bis auf die Schultern war es gelaufen! Wären wir nicht gekommen, wäre er wohl zu einer Fackel geworden. Durch ihn hörten wir von Milarepa, einem tibetischen Heiligen. Der hatte jahrelang nur Brennnesseln gegessen, bis er selber ganz grün war. Dann hatte dieser gar nichts mehr gegessen und sich in einer Höhle einmauern lassen. Da zogen wir zwei die Yab-Yum Meditation vor, wo die zwei Gottheiten in Lotusposition miteinander kopulieren. Die Lotusstellung schafften wir nicht, dafür aber gab es unzählige andere, die wir versuchten. Wichtig ist dabei, den Orgasmus so weit wie möglich hinauszuschieben, oder zu absorbieren, ihn nicht stattfinden lassen. So quasi vor dem Höhepunkt der Welle zu surfen. Doch so oft wir es auch probierten und uns abmühten, wir schafften es nicht. Also versuchten wir es immer wieder von Neuem. Und das reichte uns vollauf als Belohnung! Gerne wären wir wie Buddha geworden. Aber der hat dafür fast ein ganzes Leben gebraucht. Man kann manche Dinge nicht beschleunigen, vor allem nicht die Weisheit. Wir waren eigentlich mit unserem einfachen Menschsein zufrieden…

      Die Ferien gingen zu Ende und mit ihnen eine tolle Zeit. Dora fuhr mit ihrer Mutter und ihrem Bruder wieder zurück nach Darmstadt. Doch der Abschied fiel uns leicht. Wir wussten, wir würden uns bald wiedersehen! „Wäre nicht das blöde Studium, ich würde gleich hierbleiben!“, meinte sie. Also zog ich wieder zu Herbert hinunter. Bald darauf kamen zwei neue Ersatzdienstler, die im früheren Zimmer von Dora untergebracht wurden.

      Don Krawallo

      Um zwei Uhr früh ging das Seilbahntelefon. Es war Ede, der Küchenhelfer. Er hatte seinen 800er Fiat in eine Felswand gerammt und in seinem Suff Glück gehabt. Nur musste das Auto irgendwie verschwinden, bevor es die Bullen bemerkten. Zwei von uns ließen sich runterfahren, bewaffnet mit Brecheisen und Vorschlaghammer, um die Kiste wieder flott zu machen. Und es klappte! Doch so ein ‚Akkordeon-Auto‘ muss aus dem öffentlichen Verkehr verschwinden. Und so fuhren sie es über den Almenweg hoch zum Haus. Dort ersetzte es dann den Motorschlitten, im Sommer, wenn kein Schnee war, um den Wagen mit den Einkäufen von der Seilbahn hinab zum Haus zu schaffen. Nach und nach schnitten wir die Karosserie weg und verwandelten es in einen Buggy. Damit rasten dann die Motornarren nachts auf den Pisten, die zu den Seilbahnbaustellen führten.

      Fast jede Woche gab es einen größeren Vorfall, der meist mit Arbeit für den Hausmeister endete. Irgendwer machte einen großen Scheiß. Manchmal waren das die Gäste, oft aber auch das Personal. Einmal war eine ganze Tür mit Füllung aus der Wand gebrochen. Ein abgewiesener Liebhaber? Oder ein Waschbecken war abgerissen. Hatte jemand versucht, darin zu baden? Der Mittelpunkt unserer Küche war ein riesiger Gasherd. Dieser hatte außer den vielen Platten obenauf ein riesiges Backrohr mit zwei Öffnungen, eine auf jeder Seite. So konnte man die Tiegel durchschieben oder es von beiden Seiten bestücken. Meist war dieser Herd nur mittags in Betrieb, abends gab es kalte Platte. Nach dem Essen, als wir die Küche putzten, meinte der Koch „wer traut sich, durch das heiße Backrohr zu kriechen?“ Wir schauten uns an. Es gab eigentlich interessantere Sachen zu tun! Es blieben nur der Koch und sein Gehilfe übrig. Wetten wurden abgeschlossen. Der Koch machte den Anfang, es war ja seine Idee gewesen. Er zog sich die Ärmel über die Hände, kroch in die Öffnung und robbte durch, nicht ohne Jammern, dass es da drin sauheiß sei. Einer hielt ihn am Fuß fest. „Das ist unfair!“ tönte es dumpf aus der Röhre. Dann kam er drüben an, krabbelte auf den Händen über den Küchenboden weiter, um seine Beine herauszubekommen. „15 Sekunden!“ Jemand