Die in der deutschen Hymne besungene Idee, dass ein Staatsgebilde (aus doch sehr unterschiedlichen Regionen) nur dann stark, sicher und stabil ist, wenn es sich auf einen brüderlichen Trutzbund einschwört, hat etwas mit der Grundidee von Gewerkschaften oder überhaupt des Sozialismus gemeinsam: Während jedoch bei der sozialistischen Bewegung in der logisch ausufernden Weiterführung des Gedankens die Internationale angestimmt wird, gipfelte das Vereinigungsbestreben aller Deutschsprachigen (in ihrem „brüderlichen“ Schutzbedürfnis) im Nationalsozialismus – wo dann bis tief in die Ukraine hinein noch die Heimat verteidigt wurde…
Und – seien wir uns einig – was an all diesen „Arbeiterbewegungen“, diesen Gewerkschaftsideen oft unsympathisch wirkt, ist diese „Gleichmachermentalität“, die in einem übersteigerten „Klub-Zwang“ alle Mitglieder auf Linie bringen muss, um stark zu bleiben (nichts schwächt eine Bewegung mehr als Uneinigkeit). Genauso schwören sich die Anhänger deutscher Einigungsbewegungen ebenfalls auf den gemeinsamen Nenner „Vaterland“ ein und dulden kaum Abweichung: Deutschland, Deutschland über alles… deutscher Sang – und deutscher Wein.
Doch kein Wein der Mosel kann nach meinem Geschmack mit den Burgenländern oder Südsteirern mithalten – umgekehrt wird auch jeder Winzer an der Mosel seinen Wein für besser befinden, als den aus anderen Regionen. Objektiv „besser“ wird es da kaum geben. Manchem wird sogar ein Uhudler oder Heckenklescher besser schmecken, als jeder Moselwein. Deswegen ist man noch nicht gleich „deutschfeindlich“, oder umgekehrt „austrophob“.
Theoretiker tendieren allerdings eher dazu, dass das, was einem selber eigen ist, oder schmeckt, auch für den anderen taugen soll… Und schon ist man bei dieser unsympathischen „Gleichmacherei“… – oder, es geht sogar noch blöder und dann wird (nach Bedarf) auf der Alm Hans Albers gesungen, die „Großdeutsche Lösung“ diskutiert, oder festgestellt „…unterm Hitler woa net oiss schlecht…“
Die Staatsidee oder „Reichsidee“ der Vereinheitlichung deutscher Grafschaften in Mitteleuropa überging regionale Eigenheiten im Vertrauen darauf, dass die durch Luther geschaffene Hochsprache einend wirken würde: Wir sprechen doch alle eine Sprache… – vor allem die des Krieges.
Die Tugenden und Ideen des Volkes der Dichter und Denker wurden geflissentlich übergangen, vielmehr löste man die komplizierten Bünde unter den Grafschaften auf, zerstörte das Heilige Römische Reich (Deutscher Nation) und schuf statt der von den hellsten Köpfen geforderten „Nation gleicher und berechtigter Bürger“ in vielen üblen Scharmützeln 1871 ein deutsches Kaiserreich.
Im Gebirge war das allerdings nicht so einfach wie in den flacheren Regionen: ganze Regimenter hätten durch wenige, regionale Sturschädel in den Alpen aufgerieben werden können. So geschehen 1315 in Morgarten bei der Schlacht zwischen Schweizern und Habsburgern, ein weiterer Kampf unter „Deutschen“ – Deutsch-Schweizer gegen ein Deutsch-Österreichisches Heer, das ein aus der deutschen Schweiz stammender Deutsch-Österreicher befehligte.
Zwölf tote Schweizer standen in keinem Verhältnis zu 2000 toten Habsburg-Rittern.
Nach einer längeren Phase des Scheiterns und Lernens gingen also die Herrscher der südlichen Länder im Deutschen Bund einen anderen Weg: Bella gerant alii, tu felix austria nube (und quasi im Handumdrehen entstand – während der nächsten 5 wechselvollen Jahrhunderte – ein Vielvölkerstaat, der 1804 von Franz I zum Kaiserreich proklamiert wurde, um Napoleon zu imponieren).
Bis zu dem Zeitpunkt galt einzig und allein das Faustrecht, ab dem Zeitpunkt waren oft die Brautführer stärker als die Kriegsknechte – aber nicht im direkten Vergleich, selbst Maria Theresia konnte in den schlesischen Kriegen Mitte des 18. Jahrhunderts nicht, wie sie wollte. Friedrich II zeichnete dabei genauso wie später Otto v. Bismarck und noch später Hitler für „unehrenhafte“ Kriegstaktiken verantwortlich, nichtsdestotrotz hält sich die Mär vom nicht aufrechten Österreicher, der sich je nach eigenem Vorteil eben auf die ein- oder andere Seite schlagen würde und den Begriff „Ehre“ nur vom Hörensagen kennt.
Aber vielleicht ist es einfach auch nur eine verbale Retourkutsche dafür, dass das Heilige Römische Reich Deutscher Nation am Ende seiner Zeit Napoleon quasi machtlos gegenüberstand, weil sich die Habsburger auf dem römisch-deutschen Kaiserthron lieber um die eigene Hausmacht, statt um die Interessen des nördlichen Reichsteils gekümmert hatten…
Es gibt also eine Unmenge an (un)gleicher Geschichte und eine Unmenge an nur halb gelösten Konflikten… Welche Auswirkungen diese auch heute noch haben, wenn die Gastfreundschaft eines Lieblingsurlaubszieles auf die Ignoranz von Erholungssuchenden trifft, oder die Verschlagenheit Einheimischer auf die Weltoffenheit von Besuchern – davon handelt dieses Buch
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An einem sonnigen Frühsommertag 1986 wanderte ich mit meinen Eltern zur Radeck-Alm. Dieses Ausflugsziel war in den 80ern längst kein Geheimtipp mehr – wer seinen Sommerurlaub in Bad Gastein verbrachte, kam um einen Besuch der Alm nicht herum. Das Gebiet gehört auch heute immer noch der Familie Czernin – einem ehemaligen Grafengeschlecht der KuK-Monarchie. Gepachtet hatte die Alm zu der Zeit eine eingesessene Bauernfamilie aus dem Gasteinertal. Frau Meikel, die Bäuerin und zugleich lebenslange Sennerin der Alm, hatte einen besonderen Charme. Ihr Kaiserschmarren, ihre Bretteljause und der Selbstgebrannte waren legendär. Sie hatte immer eine Flasche „Selbstgebrannten“ in der Küche – Schnaps aus dieser Flasche wurde allerdings ausschließlich Einheimischen kredenzt, Touristen würden ohnehin viel lieber den Industriekorn trinken…
Nicht nur die Sennerin und ihr Schnaps, sondern auch die Tatsache, dass die Radeck-Alm quasi am Heimweg von einigen sehr anspruchsvollen und wunderschönen Bergtouren lag, zeichneten dafür verantwortlich, dass sich dort im Sommer fast jeden Tag Einheimische einfanden, die oft bis spät in die Nacht lachten, tranken und musizierten – was wiederrum als Touristenmagnet wirkte.
An besagtem Tag – es war Samstag, der 28. Juni 1986 – machten sich meine Eltern mit uns auf den Weg in die Alm. Schon bald holten wir deutsche Touristen ein, und wie das in Österreich am Land so der Brauch ist, grüßten wir die Leute. Diese erwiderten den Gruß – nicht ohne festzustellen, welch freundliches Volk die Österreicher wären, sogar der „Halbwüchsige“ würde Grüßen… - „wie alt biste denn überhaupt?“ „Dreizehn“, erwiderte ich schon viel weniger freundlich. Nichtsdestotrotz entwickelte sich zwischen meinen Eltern und den Touristen ein angeregtes Gespräch. Mutter kannte die Gegend in Deutschland, wo die Leute her waren, Vater wiederrum konnte als eingefleischter Bergsteiger alle Fragen nach den Bergen rundum beantworten.
Irgendwann kam es wie es kommen musste – der Deutsche fragte mich, ob ich Fußball spielen würde. Nein sagte ich, bin Schifahrer, gehe im Sommer auch ganz gern bergsteigen und manchmal klettern… Meine Ausführungen ignorierte er: „Aber interessieren für Fußball tuste dich schon oder?“
„Naja“, sagte ich, „ich weiß, dass gerade WM ist und ich weiß wie super der Maradona spielt, aber sonst nicht viel“.
„Ja der spielt morgen auch“, meinte er, und zwar würde Deutschland gegen Argentinien spielen.
„Maradona spielt? Ich dachte der wäre Italiener?“
„Nein, isser nich. Iss Argentinier“.
„Aha.“
„Und zu wem hältste morgen dann?“
„Na zu Argentinien natürlich.