Nachspiel. Roland Reitmair. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Reitmair
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738096170
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war wenigstens schon dreiundachtzig.

      Onkel Michael war immer freundlich, erkundigte sich, wie der Gottfried über dies oder jenes denke. Er hatte nie gefragt: „Was machst du jetzt eigentlich?“ – Wer was „machte“, wer was arbeitete, das wusste die ganze Familie immer ziemlich genau.

      Die Frage wurde ihm vor zwanzig Jahren deswegen so oft gestellt, weil Gottfried damals nach einigen Alkoholexzessen die Arbeit bei der Rotax in Gunskirchen verloren hatte. Weil er dann von der Sozialhilfe lebte und in der Notschlafstelle wohnte.

      Onkel Michael war der einzige in der Familie, der sich nicht sonderlich daran stieß. Zumindest ließ er sich nie etwas anmerken. Wenn sich irgendwer in seiner Gegenwart über Gottfried „das Maul zerriss“, sagte der

      Michl nur, dass jeder für sein Leben selbst verantwortlich sei. Andere sollten nicht kritisieren, sondern es selbst besser machen … Der Gottfried ist ein gescheiter Bursch, nur weil er jetzt gerade einmal Probleme hat ... der schafft das schon.“ Vielleicht war es gerade dieses Vertrauen des Onkels, das ihm half, wieder auf die Beine zu kommen und mit der Sauferei aufzuhören. Und natürlich hat ihm der Gustl viel geholfen ...

      Gustl war nicht nur irgendein Cousin, er war Gottfried lange der einzige Freund. Er holte ihn aus der Versenkung. Gustl arbeitete damals noch als Betreuer in der Notschlafstelle. Als er Gottfried dort das erste Mal sah, war er einigermaßen überrascht. „Was machst denn du da?“, staunte er ihn ungläubig an. Er war wahrscheinlich der einzige der Verwandten, der noch nichts von der „Karriere des schwarzen Schafs“ gehört hatte. Mit Gustl hatte er sich früher, bei den obligaten Familienfeiern schon immer gut verstanden. Er war ja auch kein Kostverächter in Sachen Wein.

      Im November dann ist der Großvater gestorben. Noch im selben Jahr, schaffte Gottfried den Entzug. Seit diesem 17. Dezember rührte er nie wieder Alkohol an.

      Etwa ein halbes Jahr später vermittelte ihm Gustl den Job bei der Voest.

      II

      Der Pfarrer wenigstens hatte noch versucht zu vermitteln. Nahm sich Zeit für die Anhörung mit den Anrainern beim Bürgermeister.

      „Immer wieder einmal mit einem Kompromiss guten Willen demonstrieren“, hatte er gefordert, „vielleicht gibt es ja auch noch andere Lösungen.“

      Der Edtauer lachte daraufhin aber nur sein dämlich süffisantes Lächeln und bat, es sollten doch alle am Boden bleiben und der Realität ins Auge sehen.

      Fakt sei, dass Thalheim neue Wohnungen brauche. Das sei – wie er betonte – im Bauausschuss der Gemeinde so diskutiert und beschlossen worden. Hier biete sich eine Möglichkeit, bei der alle betroffenen Parteien zufrieden wären. Und die Anrainer hätten seit Jahren Bescheid gewusst, dass ihre Wohnbauten keinen Bauabschluss darstellen – sprich: dass die Nachbarflächen noch verbaut werden würden.

      Gustls Augen blitzten zornig. „Ich verstehe nicht, warum man das Bauamt ausgerechnet mit Ausschuss besetzt hat!“

      Da hatte plötzlich der Bürgermeister einen ungesund roten Kopf.

      „Fairerweise sollte man sagen, dass bei der entscheidenden Gemeinderatssitzung zur Umwidmung der Flächen alle Fraktionen dafür gestimmt haben. Und nicht nur für die Umwidmung, sondern auch für die Bebauung und für den geplanten Wohnkomplex, welcher durch die Firma Novum des Herrn Zellinger realisiert werden sollte…“

      Ursprünglich hätte gleich neben dem Friedhof eine neue Siedlung entstehen sollen – ein vergleichbarer Wohnkomplex“, führte er weiter aus, „Doch damit konnten Sie, Herr Pfarrer, sich nicht so richtig anfreunden. Die Kirche überlegte bereits seit langem wegen einer Friedhofserweiterung den Ankauf dieser Grundstücke in die Wege zu leiten. Nun war ihr die Gemeinde mit der neuen Flächenwidmung zuvor gekommen.

      Also versuchten Sie durch einen Grundstückstausch gegen gleichwertige Felder am Ortsrand die Interessen der Kirche zu wahren ...“

      Der Pfarrer nickte zwar, aber irgendwie beschlich einen das Gefühl, dass er sich vom Bürgermeister ausgebootet vorkam.

      Seitens der Gemeinde hatte es zu den Anfragen der Kirche natürlich keine Einwände gegeben, solange der geplante Wohnbau realisiert würde. Er hatte sich also mit dem Abt von Stift Kremsmünster, dem Besitzer

      besagter Felder, in Verbindung gesetzt und den Grundtausch organisiert – und nicht nur das: Weil die Zeiten nicht rosig waren und das Stift rote Zahlen schrieb, wurden auch gleich noch für weitere angrenzende Flächen, die zum Besitz des Stifts gehörten, Verkaufsoptionen herausgehandelt.

      Die Herren waren sich einig. Der Rest war Formsache.

      Dass dabei die Anrainer weder informiert noch befragt worden waren, davon hatte der Pfarrer allerdings nichts gewusst.

      *

      Gustl hatte als erster herausgefunden, was lief. „Da ist was faul“, ließ er Gottfried wissen, „angeblich wollen die da weitere Wohnblöcke hin bauen, anstatt Einfamilienhäuser ...“

      Aus der Gemeinde hieß es auf seine Anfrage lapidar: Jeder Anrainer hätte ein entsprechendes Informationsschreiben erhalten. Und nachdem kein Anrainer protestiert und sich dagegen ausgesprochen hatte, würde nun eben gebaut.

      Gustl fragte herum. Kein einziger Anrainer konnte sich an irgendein Gemeindeschreiben erinnern. „Hat wahrscheinlich die Post schlecht gearbeitet“, vermutete die Sekretärin in der Gemeinde.

      Doch Rückscheinbriefe gehen nicht verloren. Diese Briefe waren erst gar nicht ausgeschickt worden.

      Der Bürgermeister war bekannt dafür, dass er sich oft „großzügig“ über Amtswege hinwegsetzte, um unnötige Probleme zu vermeiden. Und er war vor allem aber auch dafür bekannt, dass er in Vorwahlzeiten allen möglichen Leuten alle möglichen Versprechungen machte – und mit seinem „Wort und Handschlag“ besiegelte.

      Drei Jahre zuvor, gleich nach Fertigstellung des ersten Wohnkomplexes – eine Bezeichnung, die Gottfried besonders passend fand – hatte ihnen der Bürgermeister sein Wort gegeben, auf dem angrenzenden Grundstück würden höchstens noch sechs Einfamilienhäuser gebaut: „Sie können sich hier getrost eine Wohnung kaufen – ich verspreche Ihnen, dass die schöne Aussicht erhalten bleibt. Diese sechs Einfamilienhäuser werden der Bauabschluss – das heißt: keine weitere Verbauung der angrenzenden Felder.“

      Da haben die meisten Wohnungsinteressenten, genau wie Gustl und Gottfried, beruhigt den Kaufvertrag unterschrieben.

      Jetzt sah die Geschichte plötzlich ganz anders aus. Genaues wusste man anfangs ja nicht, fix allerdings war, dass Novum schon den Zuschlag für vier oder fünf Wohnblöcke habe – zu debattieren gäbe es da nichts mehr. Die Einfamilienhäuser-Siedlung war damit vom Tisch.

      Einige Anrainer machten sich auf zum Bürgermeister. Der Herr war natürlich vielbeschäftigt und nicht gleich immer für jedermann zu sprechen. Völlig gestresst und mit den Vorwürfen konfrontiert, fiel er aus allen Wolken: „So etwas hab ich nie versprochen, könnte ich ja gar nicht ...“

      „Doch“, sagte Gustl, „hast du!“

      „Ich habe nie, ich betone, nie gesagt, dass dort Einfamilienhäuser gebaut würden. Im Flächenwidmungsplan waren zu der Zeit Einfamilienhäuser vorgesehen, davon werde ich wahrscheinlich gesprochen haben ...“

      Er blickte auf die Uhr, „Und ich muss mich entschuldigen, leider hab ich noch einen wichtigen Termin beim Herrn Landeshauptmann.“

      Gustl aber ließ nicht locker und folgte ihm in Richtung Auto.

      „Du bist mir so ein Bürgermeister! Nicht vorbereitet bist, Ausred’ fällt dir auch keine ein und jetzt scheißt dich an und musst plötzlich zum Landeshauptmann.“

      „Sparen Sie sich Ihre Unflätigkeiten, auf dem Niveau rede ich sowieso nicht mit Ihnen. Und ich wollte Sie nicht vertrösten. Im Gegenteil, ich hab mir extra die wenigen Minuten zwischen der Bauausschusssitzung und dem Termin beim Landeshauptmann