Jedenfalls konnte Plektrud sich jetzt wieder etwas entspannen, wieder etwas mehr in sich selbst ruhen und über die wirklichen Probleme nachdenken. Es gab nämlich viel zu tun, die Machtfrage musste neu gestellt werden. Klar, der Merowinger war formal König, aber was bedeutete das in diesen Zeiten schon. Pippin hatte es vorgemacht, er hatte es bis zu den wirklich Großen geschafft und war am Ende deren Führer und praktisch deren Ansprechpartner geworden.
Nach Pippins Tod hatte sie wenigstens Theudoald als Hausmeier einsetzen können, was nicht gerade leicht war. Aber argumentieren konnte sie. Sie hatte damals einfach die ganzen Schlagwörter heraus gelassen: Legitimer Erbe..., Anspruch..., niemals Bastard einsetzen..., Enkelgeneration..., und so weiter. Und am Ende hatte dann Theudoald das Hausmeieramt ausgeübt. Aber dieser Versager konnte ja noch nicht einmal gegen die Neustrier gewinnen.
Erstmals seit der Wende von Tertry, als ihr Pippin durch einen Sieg gegen die Neustrierer endlich selbst Hausmeier geworden war, hatten sie gegen die doofen Neustrier verloren, eine Schande war das. Sie hatte versucht, nachdem sie sich auf Pippins letzten Willen berufen hatte, mit den Enkeln zusammen zu regieren und anfangs klappte es auch ganz gut, aber Karl war ihr stets, wie ein böser Geist, im Weg gestanden und so hatte sie eine Lösung finden müssen. Sie hatte Theudoald bald scheitern sehen und Drogos Sohn Arnulf war auch nicht die hellste Leuchte am Himmel, der andere, Hugo, war zwar Bischof von Rouen geworden, aber sein Einfluss war geradezu mickrig – einfach lächerlich.
Die Situation war wieder einmal zum Verzweifeln. Plektrud sah sich schon scheitern vor ihrem geistigen Auge, hatte dazu oft Albträume davon, wie sie irgendwelchen Merowingern oder anderen Neustriern oder wem auch immer ihren Schatz, ihr Vermögen aushändigen musste, sollte das alles weiterhin schlecht für sie laufen. Blöd war sie aber trotz allem nicht. Es musste doch eine Lösung für ihr Problem geben und das konnte nicht so weit sein. Sie hatte doch immer noch ein paar mächtige Bekannte; da musste doch irgendwie etwas zu machen sein. Zumindest nahm sie etwas in der Art an, wollte sich dabei jedoch nicht so recht eingestehen, dass Pippins Einfluss am Ende doch ein Stück größer gewesen war als ihr eigener. Jäh brach der Gedanke ab.
Karl, Karl, Karl hämmerte es ihr wieder durch den Kopf. Der musste weg. Irgendwie weg. Irgendwohin. Sie selbst wollte nach all den Geschehnissen ihre Ruhe haben und eine klare Sicht bekommen, aber das konnte sie nicht – nicht solange Karl da war. Nur wie sollte sie ihn beseitigen? Oh! Jetzt hatte sie sich dabei ertappt, wie sie über das böse Wort beseitigen nachdachte, dabei war sie doch keine Mörderin! Sie hatte doch noch nie jemanden umgebracht! Und so sehr Karl, der Bengel, verschwinden musste, so wenig wollte sie ihn eigentlich umbringen, oder? Nein, wollte sie nicht, wirklich nicht, keinen Mord wegen so etwas in der eigenen Familie, auch wenn andere das anders sahen oder in der Vergangenheit anders gesehen hatten. Die Leute würden später dann dazu komische Fragen stellen und vielleicht würde sie sich eines Tages verplappert. In ihrem derzeitigen Geisteszustand würde sie sich sogar auf jeden Fall selbst belasten. Spätestens wenn wieder eine Festivität wäre und sie zu tief in den Weinkelch schauen würde, wäre es unumgänglich. Sie würde sich im Rausch selbst verraten. Definitiv. Unter Tränen würde sie alles zugeben und dann vielleicht selbst für immer verschwinden, in einem tiefen Kerker. Oder sie würde dem Scharfrichter vorgeführt und bestünde dann aus zwei Teilen: Kopf und Rest – kein schöner Gedanke jedenfalls.
Nein, Karl sollte leben, aber sich nicht in die politischen Dinge einmischen. Sie dachte noch eine Weile darüber nach, bis ihr plötzlich der erleuchtende Gedanke kam. Ja genau, sie wusste jetzt, was zu tun wäre. Sie hatte auch schon ein konkretes Bild vor Augen. So würde alles gut werden und sie hätte danach keine schmutzigen Finger, zumindest nicht besonders stark verschmutzte. Ihre Weste würde so gut wie sauber bleiben.
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