INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas GAST
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783742774422
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Zeug war verdorben, ungenießbar. Bis zum 07. Juni war es jeden Tag dasselbe Spiel. Wecken vor Sonnenaufgang. Ein schneller Kaffee, etwas trockenes Brot mit Hartkäse in Dosen und schon waren sie wieder unterwegs. Signalisierten ihnen die vietnamesischen Fallschirmjäger ein Dorf, schwärmte die Kompanie sofort aus. Ein Zug umging im Laufschritt weitläufig den Ort und sicherte Zufahrtswege und Pisten, die dem Feind dazu dienen könnten, sich zu lösen. Innerhalb von Minuten wurden in diesen Abschnitten Hinterhalte angelegt. Ein weiterer Zug brachte sich in Schussweite zum Dorf in Stellung und der Rest der Kompanie drang in dieses ein. Alles geschah ohne Hektik, schnell und lautlos. Die Kompanie funktionierte wie ein Mann, wie eine gut geölte Maschine. Aber der Vietminh wusste Bescheid. Bestens über ihr Kommen informiert, spielte er Verstecken. Da, wo gerade eben noch ganze Banden von Vietminh gemeldet waren, fanden sich nur noch vage Spuren. Der Feind löste sich jedes Mal in Luft auf, sobald man sich den Dörfern näherte. Man fand Karten, schwere Waffen und ganze Kisten mit Munition, Material also, dass den Vietminh auf seiner Flucht nur behindert hätte, doch bis dato war die Operation ein Schlag ins Wasser. Erst spät, als die Nacht längst fortgeschritten war, kamen die Legionäre zur Ruhe.

Bild 8

       Legionäre des 2. BEP bei Kämpfen an der RC 6, (Kolonialstraße 6).

      Des Nachts wurden rund um das Biwak Sonettes, vorgezogene Alarmposten ausgelegt, die gespannt in die Dunkelheit lauschten. Es war eine nervenaufreibende Angelegenheit, weil der Feind immer und zu jeder Zeit plötzlich vor einem stehen konnte und weil nachts sich alles zu bewegen schien. Nur man selbst durfte sich kaum von der Stelle rühren. Dann plötzlich änderte der Vietminh seine Taktik, fiel Tag und Nacht wie ein gereizter Wasserbüffel über die Kolonnen der Legion her, nur um dann doch wieder auszuweichen. Bereits bei den ersten Kämpfen in der Gegend um Cay-Vong gab es Tote und Verwundete. Die Toten wurden noch vor Ort begraben, jedoch mussten für die Verwundeten Tragbahren angefertigt werden. Das Vorankommen in den Sumpfgebieten erwies sich als extrem schwierig. Teilweise reichten das Wasser und der braune Schlamm den Legionären bis über die Hüften. Im Nachhinein konnte niemand sagen, für wen die Strapazen größer waren. Für die Träger, die mühsam das Letzte aus sich heraus holten um keinen Kameraden zurückzulassen oder für die Verwundeten, die mit dem Schmerz, hervorgerufen durch die teils schrecklichen Verletzungen zu kämpfen hatten. Hinzu kam die Ausrüstung. Die musetten, das kleine Sturmgepäck, vollgepackt mit Munition, Gewehr- und Handgranaten, die Waffen, Stahlhelme und Wasserflaschen, Verbandszeug, Zeltplanen, Funkgeräte und, und, und. Alles musste getragen werden. Dazu war es drückend heiß und die Moskitos waren Tag und Nacht eine Plage. Ganze Kolonnen roter bissiger Ameisen fielen über die Legionäre her und überall wuchs Schilfrohr, überall war Morast und Wasser, Wasser, Wasser. Am besagten 07. Juni wandte sich das Blatt. Unweit von Cai-Lay und das spürte der drahtige sergent, der so viel von Montag hielt, dass er ihn zum Gewehrgranatenschützen auserkoren hatte, waren sie da. Zwischen dem Kanal Tong-Doc-Loc und dem Ort Cai-Lay dominierten Reisfelder die Landschaft bis zum Horizont. Sumpf, Kanäle, weites offenes Gelände. Es war eine Affenhitze. Schwül, feucht drückend brachte auch der ständig wehende Ostwind nicht die erhoffte Erleichterung. Die Legionäre, noch nicht richtig akklimatisiert, waren erschöpft müde und hungrig. Wenn alles gut ging, würde wohl bald eines der Schweine die es im Dorf sicherlich gab, ihre Töpfe und danach die Bäuche füllen. Dann konnte man auch etwas Schlaf bekommen.

      Der sergent stieß einen Pfiff aus, hob seine Hand und ließ sie im Bruchteil einer Sekunde wieder sinken.

      »Vorwärts. À l'assaut!«

      Karlheinz Montag riss am Abzug, während die beiden Scharfschützen nach jeder noch so kleinsten Bewegung Ausschau hielten und das MG losratterte. Gleichzeitig erhob sich der Sturmtrupp und sprang los. Caporal Koesiling hatte Pech. Sein Gewehrriemen verhedderte sich und noch während er versuchte, sich loszureißen, indem er an dem Strauch zerrte, an dem er hängengeblieben war, wurde er von einer Maschinengewehrsalve fast in zwei Teile zerrissen. Er war sofort tot, der Krieg, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, für ihn zu Ende. Noch im Laufen warf sergent Bouger eine Handgranate und schoss dann eine Garbe aus seiner Mat-49 genau auf die Stelle, von der ihm plötzlich Mündungsfeuer entgegenschlug. Die Legionäre stürmten von Deckung zu Deckung, drangen gewaltsam in die Hütten ein, wo sie von einer brüsk eingetretenen Stille empfangen wurden. Die Gebäude waren leer, nur am Boden der Zimmer direkt unter den Fenstern sah man leere Patronenhülsen, Zeugen, dass nicht alles nur ein Traum war. Und überall diese Blutspuren. Ein Schrei, dem ein trockenes Würgen folgte, ertönte vom Hinterhof. Man stürmte hinaus, wollte sehen, was geschehen war. Der belgische Legionär, der draußen stand, hatte einen Gummizug um seinen Stahlhelm US-M1, doch anstatt des üblichen Verbandpäckchens war dort eine blaue Schachtel Gauloises de troupe zu sehen – schwarzer, starker Tabak, gerollt in gelben Papier, nach der er nun mit zitternden Fingern griff.

      »Fuck it. Schaut mal da hin.«

      Er nickte in eine dunkle Ecke, die im Schatten hoher Bäume lag. An Pfählen, die der Vietminh in den Boden gerammt hatte, standen aufrecht zwei Soldaten. Die Arme weit über ihren Köpfen hatte man sie mit Lederriemen festgebunden. Sie waren nackt und blutüberströmt. Die weit aufgerissenen Augen, in denen kaum ein Funke Leben mehr zu erkennen war, sprachen von unmenschlichen Qualen, von einer Barbarei ohnegleichen. Ihre Füße bis hoch zu den Oberschenkeln waren eine einzige zerfleischte Wunde, aus der zerfetztes Fleisch, zerrissene Venen und scharfe Knochensplitter hervorragten. Nguyen deutete auf ein halbes Dutzend schwarz-gelb gefleckter Schweine, die etwas weiter entfernt standen und neugierig zu ihnen herüber äugten.

      Sergent Bouger dämmerte es.

      »Sie haben die Schweine an ihren Füssen fressen lassen?«

      Ein Legionär übergab sich ohne Scham, während der sergent seine Maschinenpistole auf die Tiere richtete und das Feuer eröffnete. Später sollten sie feststellen, dass zwei der gefleckten Vierbeiner jeweils eine Erkennungsmarke an einer Schnur um den Hals trugen. Wie zum Hohn.

      Bouger trat näher und erkannte an der Gravur, dass es sich bei den Opfern um Soldaten der französischen Marine handelte. Die beiden galten bereits seit einigen Tagen als vermisst, gefangen während einer anhaltenden blutigen Operation in der Nähe des Vaico Oriental Flusses, 25 Kilometer westlich von Saigon. Ihr Landungsboot hatte während der Kämpfe die Granate einer Bazooka abbekommen. Die beiden Soldaten, noch jung und relativ unerfahren, waren vor lauter Angst in den Fluss gesprungen, wo die Vietminh sie nur noch herausfischen mussten.

      Bouger rümpfte die Nase. »Dieser Krieg wird mir langsam unheimlich. Bindet sie los und begrabt sie.«

      Eine gutturale Stimme ließ Montag, der neben Bouger getreten war, herumfahren. Die MAS-36 im Anschlag, den Finger am Abzug, schlug sein Herz heftig in der Brust. Die Frau war halb nackt. Hinter ihr drängten andere Frauen und Kinder aus ihrem Versteck, einer überdeckten gut getarnten Kuhle im Boden. Aus großen Augen starrten sie den Legionären entgegen. Sie hatten Angst, zitterten am ganzen Leib.

      »Wo sind die Männer?«, fragte Bouger gereizt.

      Als der sergent keine Antwort erhielt, zeigte er auf ein Mädchen von höchstens fünfzehn Jahren und gestikulierte wild.

      »Du. Die Männer. Wo sind sie hin?«

      Er dachte an die beiden toten Marinesoldaten und verzog hasserfüllt sein Gesicht. An Montag gerichtet, sagte er.

      »Hey Boche, erschieß das Mädchen.«

      Er hatte, während er dies sagte, seine Stimme kaum erhoben, meinte es jedoch ernst. Montag war, als hätte ihm jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt. Er riss seine Augen weit auf und schüttelte schließlich ganz energisch den Kopf.

      »Augenblick, sergent. Ich führe keinen Krieg gegen Weiber. Lieber fünf Jahre Toiletten schrubben oder mit zentnerschweren Rucksäcken Kreise drehen, als jemals Hand an eine Frau legen.«

      Er wich keinen Zentimeter von seiner Position ab, auch dann nicht, als der sergent nach seinem Colt griff, diesen durchlud und sich damit vor den Saarländer aufbaute. Einige Legionäre hatten sich inzwischen genähert. Auch sie trauten ihren Augen und Ohren kaum. Schließlich war es Nguyen der die Lage entspannte.