Asien
Bis zum 15. Januar 1898 blieb ich zu Hause und musterte dann als Matrose auf der "GERDA" an. Diese Reise sollte mich nach China führen, d. h. China, Japan, Indien und zurück. Am 17. musste ich an Bord sein. Der Dampfer war 3.000 Tonnen groß, für Fracht und Passagiere eingerichtet, konnte 60 Passagiere erster Klasse mitnehmen, außerdem in den Zwischendecks noch 300 Personen. Diese Klasse war hauptsächlich für Kulis gedacht, die von Singapore nach Hongkong, Schanghai und zurück wollten.
Die Besatzung bestand aus 42 Mann, darunter 20 Chinesen, die als Heizer und Trimmer verwendet wurden und noch ihre Zöpfe trugen. In Hamburg wurden für die Reise Stückgüter geladen. Am 20. verließen wir ungern den Heimathafen. Das Wetter war gut, aber die Elbe hatte viel Eis. Im Kanal wehte frischer Ostwind, und so kamen wir gut vorwärts. Am 24. mittags kamen wir in Le Havre an, dort wurde der Rest der Ladung übernommen, und am 27. fuhren wir weiter.
Am 3. Februar passierten wir Gibraltar, und weiter ging es durch das Mittelmeer nach Port Said, wo wir am 12. ankamen. Hier wurden dann erst mal die Bunker wieder aufgefüllt, denn wir mussten ja Brennstoff für die weite Fahrt über den Indischen Ozean nach Indien haben. Die Fahrt durch den Suezkanal dauerte ungefähr 16 Stunden, und wenn andere Schiffe entgegenkamen, musste man erst noch - z. B. am Bittersee - warten, bis die entgegenkommenden Schiffe das Fahrwasser passiert hatten. Im Roten Meer gab es dann zur Abwechslung mal wieder einen Sturm von Windstärke 12. Der Sturm kam von der Sahara und unser Schiff war in kurzer Zeit von dem Wüstensand bedeckt. Wir hatten dort so um 50 Grad Hitze, und dabei mussten wir noch die Kohlen laden und die Kohlen, die z. T. noch an Deck untergebracht waren, in die Bunker schaufeln. Dass wir dabei gefroren haben, kann man nicht behaupten. Am nächsten Tag flaute der Sturm aber ab, und am 24. passierten wir Aden. Mit voller Fahrt ging es durch den indischen Ozean, und am 4. März kamen wir an Ceylon vorbei. Unseren ersten Hafen Penang liefen wir am 12. März 1898 an, wo dann ein Teil unserer Ladung gelöscht wurde. Singapore erreichten wir am 14., und auch dort wurde etwas Ladung zurückgelassen. Dann wurden die Zwischendecks zur Übernahme von etwa 400 Kulis in Ordnung gebracht. Viel Umstände wurden da aber nicht gemacht. Sie mussten sich selber ein Lager suchen, und auch um die Verpflegung mussten sie sich selber kümmern. Sie aßen aber auch nur ihren Reis.
Die Fahrt nach Hongkong wurde am 18. März fortgesetzt. Abends wurden die Luken zum Zwischendeck abgeschlossen, damit die Kulis keine Überfälle auf die Besatzung machen konnten, und wir wurden mit Gewehren ausgestattet. Die Dampfschläuche wurden an Deck angebracht, und wenn sich nun Zwischenfälle ereignet hätten, wären wir auf alles vorbereitet gewesen. In der damaligen Zeit kam es nämlich häufig vor, dass sich Seeräuber unter die Kulis mischten, die dann im geeigneten Moment die Besatzung überfielen und das Schiff kaperten. Wir hatten Angst genug, dass uns so etwas auch einmal passieren könnte und standen deshalb klar zum Gefecht. Morgens wurden die Luken wieder aufgemacht und erst mal nachgesehen, ob nicht während der Nacht Kulis gestorben waren. Das kam häufig vor. Wir fanden auch zwei Tote, aber von deren Sachen war nicht ein Stück mehr da, natürlich wusste niemand, wo die Sachen geblieben waren. Am nächsten Morgen gab es wieder Tote. Sie wurden dann in Segeltuch eingenäht und ins Meer versenkt. Wir kamen dann aber – Gott sei Dank - ohne weitere Zwischenfälle in Hongkong an, dort kümmerte sich die Polizei darum, dass die Kulis von Bord kamen. Diese Kulis waren Arbeiter, die sich für zwei Jahre nach Singapore verdungen hatten und nun in ihre Heimat zurück fuhren. Die Zwischendecks nachher sauber zu machen, war einfach ekelhaft, so viel Schmutz auf einmal gab es sonst nicht. Es ist einfach nicht zu beschreiben.
Shanghai liefen wir am 1.April 1898 an, eine richtige Chinesenstadt, sehr schmutzig, die Menschen zerlumpt gekleidet, für uns ein ungewohntes Bild. Wir blieben nicht lange, denn am 3. April ging es weiter nach Kobe (Japan). Dort kamen wir am 8.4. an, und die Beladung unseres Schiffes konnte sofort beginnen. Dieses Mal nahmen wir Reis über. Kobe ist eine schöne saubere Stadt, ganz das Gegenteil von Shanghai, aber leider blieben wir hier nur zwei Tage, zu wenig Zeit, um viel zu sehen, aber auch damals hieß es schon "Zeit ist Geld".
Nach einer Tagesreise landeten wir in Hiogo, dort war es aber auch nett, und besonders die hübschen Geishas hatten es uns angetan. Wirklich süß sind die. Aber wir mussten leider weiter, dieses Mal nach Jokohama. Diese Stadt ist wohl die schönste Japans, und wir deutschen Seeleute waren dort auch sehr willkommen. Kaum hatte das Schiff festgemacht, als auch schon die fliegenden Händler an Bord kamen. Sie packten gleich ihre Ware aus und fingen einen schwunghaften Handel an. Das ganze Deck sah wie ein Laden aus, man konnte rein alles bekommen: Teeservice, Vasen, Figuren etc... Wir wurden von unseren älteren Kollegen, die schon öfter hier waren, erst mal aufgeklärt, wie so ein Kauf zu handhaben sei, und dann ging der Handel los. Am ersten Tag muss man noch nicht kaufen, nur handeln. Erst kurz vor der Ausfahrt, wenn die Händler Angst bekommen, nichts mehr los zu werden, kann man kaufen, denn dann zahlt man höchstens noch den vierten Teil dessen, was sie am ersten Tag forderten. Ich kaufte mir ein Teeservice, ganz dünnes Porzellan, es sollte erst nach unseren Geld Hundert Mark kosten, aber ich bekam es für 9,50 Mark: 12 Tassen und Teller, Kannen, Milchkannen und verschiedene kleine Schalen. Das Service ist heute noch da, und z. Z. liebäugelt mein Sohn damit, aber... Außerdem erstand ich noch zwei große Vasen, die sollten erst 80 Mark kosten, aber ich zahlte dann 5 Mark dafür. Eine der Vasen existiert noch, die hat mein Sohn bekommen. Dass die Händler schrecklich lamentierten und behaupteten, die Käufer ruinierten sie, gehört zum Geschäft, sie verdienen sicher noch genug an der Ware.
Unser Schiff war inzwischen voll beladen, bis auf einen Raum, der für Bunkerkohle frei bleiben musste. Am 15.April 1898 morgens dampften wir weiter nach Moji. Die Fahrt dauerte nur vier Stunden, dort nahmen wir die Kohlen über, die wir für die Reederei nach Shanghai bringen mussten. Wir lichteten am 17. April die Anker, um Kurs auf die Heimat zu nehmen. In Singapore konnten wir noch einmal an Land gehen, und natürlich, wie sollte es auch anders sein, wurde dort noch einmal groß eingekauft. Der Kapitän hatte sich auf Schleierschwänze spezialisiert. Da musste auf Deck erst mal ein Aquarium gebaut werden, und dann kamen etwa 4.000 Schleierschwänze und 500 Teleskopfische hinein. Die Fische waren sehr wertvoll und in Hamburg ein begehrter Artikel, der einen großen Nebenverdienst versprach. Jeder an Bord kauft nun irgendein Viehzeug: Affen, Schlangen, kleine Wildtiere wie Leoparden etc. Das ganze Zwischendeck sah aus wie ein Zoo. Wir hatten unterwegs unseren Spaß an all den Tieren. Der Zimmermann fuhr diese Strecke schon seit zehn Jahren, und er gab uns die besten Ratschläge, besonders welche Tiere sich zum Verkauf in Hamburg am besten eigneten. So musste eine Schlange wenigstens zehn Fuß lang sein, sonst hatte sie keinen Wert für die Käufer, und man konnte sie dann nicht loswerden.
Die Hitze im Hafen war sehr groß, und wir waren heilfroh, als wir endlich in See stechen konnten. Am 16. Mai 1898 waren wir in Suez, es folgte die übliche Fahrt durch den Kanal nach Port Said. Weitere Stationen der Fahrt waren am 24. Mai Gibraltar, am 2. Juni Ouessant, und am 3. Juni kamen wir in Le Havre an, wo wir die für Le Havre bestimmte Ladung löschten. Hatten die Tierhändler erfahren, dass ein Schiff aus Singapore im Hafen lag, waren sie nicht mehr zu halten, sie stürmten das Schiff und wollten alles aufkaufen, was wir von dort mitgebracht hatten. Selbst Hamburger Händler waren dem Schiff entgegengefahren, um nur die ersten zu sein. Wir waren aber ja auch nicht von gestern, wir wussten genau, dass Hagenbeck besser bezahlte, und so hielten wir unsere Schätze zurück. Vor dem Aquarium hatte der Kapitän sogar eine Wache aufgestellt, denn die Händler wären in ihrer Wut fähig gewesen, das Wasser zu vergiften, denn sie ärgerten sich sehr, dass sie uns nicht übers Ohr hauen konnten. Wachmann für die Fische war ich dieses Mal und bekam vom Kapitän 10 Mark dafür. Das war damals ein Batzen Geld, und ich freute mich sehr darüber.
Am 6. Juni fuhren wir durch den englischen Kanal und durch die Nordsee der Heimat entgegen. Im Hamburger Hafen machten wir am 9. Juni 1898 die Leinen fest, die Heimat hatte uns wieder. Vier Monate und 24 Tage hatte die Reise gedauert. Ich hatte viel von der Welt gesehen, aber auch viel arbeiten müssen, denn vor 60 Jahren wurde es uns nicht so leicht gemacht wie heute. Die seefahrende Jugend glaubt