Ohne es geplant zu haben, meldete Britney sich zu Wort. Nach dem Motto: jetzt oder nie.
„Dad, wäre es in Ordnung, wenn ich heute nicht mitgehe?“
Wie sie es geahnt hatte, klebten sechs Augenpaare an ihrem Gesicht, durchsuchten es nach irgendeiner Erkärung. Sicherlich fragten sie sich, ob sie krank war oder ob sie einfach keine Lust hatte. „I … ich habe gestern ein nettes Mädchen kennengelernt … Sie heißt … Shanae“, log Britney und wartete auf eine Reaktion. Als keine kam und niemand etwas sagte, fuhr sie fort. „Naja, Shanae hat mir angeboten mir die Gegend zu zeigen. Wisst ihr, sie ist in meinem Alter und kennt sich hier bestimmt gut aus.“ Was von Vorteil ist, für jemanden der hier wohnt. Sie musste unterschwellig lachen. Was ihr aber gleich verging. Hoffentlich würde ihr Vater nichts gegen ein irisches „Mädchen“ haben, das sie herumführte. Überfordert rührte Joan in seinem Kaffee, tauschte fragende Blicke mit seiner neuen Frau und steckte sich den heißen Löffel prüfend in den Mund. „Also, wenn du willst. Sie kann dir bestimmt mehr sagen, als so ein dämlicher Reiseführer.“ „Schatz bitte! Der Reiseführer ist gar nicht dämlich!“ „Natürlich ist er das, Evia. Er hat keinen Stadtplan integriert und lotzt uns dauernd in die falsche Richtung.“ „Nur weil du ihn nicht lesen kannst.“ „Was soll das heißen?“ Somit war das Gespräch beendet. Und Britney aus der Schuld um Erlaubnis zu bitten entlassen worden. Soweit sie es verstanden hatte, hatte sie diese sogar erhalten. Schneller als sie es erwartet hatte. Ihr Vater musste gut gelaunt sein. „Also, ich geh dann mal.“ „Mach’s gut.“, sagte ihr Vater kurz und wandte sich wieder zu seiner Frau. „Dann kauf du doch einen anderen Plan!“ Kopfschüttelnd rutschte sie den Stuhl an den Tisch und verließ den Rest ihrer Familie. Sollten sie ruhig weiter diskutieren. Beschwingt betrat sie die große Empfangshalle und lehnte sich frech an einen der Schalter. Eine rundliche Frau kam zu ihr, sie hatte ein freundliches Lächeln und eine misslungene Hochsteckfrisur. „Was kann ich für Sie tun?“ „Wie komme ich bitte zum „Black Castle“ ?“
Der Tag war noch jung, das konnte man sehen und förmlich riechen. Zwar stand die Sonne schon hoch am Himmel, doch empfand sie Britney längst nicht so stark und intensiv als einen Tag zuvor. Hier schien die Luft reiner zu sein, unberührter. So als könne man sie hier ohne Bedenken atmen. In sich aufsaugen. Aufgeregt drehte sie sich nach Osten und folgte einer wenig befahrenen Seitenstraße. Eigentlich war der Weg gar nicht schwer, sodass sie zuversichtlich war ihn allein zu finden und zur Not auch zurückzufinden. Fröhliche Menschen strömten ihr entgegen, eine Frau begrüßte sie sogar, etwas, dass sie von sich zuhause gar nicht kannte. Vögel kreisten am Himmel und erfüllten ihren Weg mit lautem Gezwitscher. So wie sie sich einen sonnigen Sommertag vorstellte. Jetzt fehlten ihr nur noch ein Eis in der einen und ein Handventilator in der anderen Hand und ihr perfektes Bild vom Sommer wäre vollkommen.
„Black Castle“Der Pfeil auf dem Schild zeigte weiter geradeaus. Einfach. Bald wäre sie da. Zehn Minuten zu früh. Was sollte sie ihm sagen, wenn sie sich trafen? Unmöglich konnte sie ihre Unterhaltung von gestern fortführen. Er hasst Iren. Nein, wie taktvoll sie das gesagt hatte. Nervös gelangte sie auf den Parkplatz, ging von dort den dünnen Erdweg entlang, hinauf zur Klippe. Sie konnte schon die hohen Gemäuer des zerfallenen Schlosses erkennen, als ihr Blick auf das Geländer fiel. Eine einsame Gestalt saß darauf. Es war er.
Er
Zaghaft bahnte sie sich ihren Weg zu ihm. In der Hoffnung er würde sie nicht zu früh bemerken rückte sie mehrmals ihre Frisur und ihre Kleidung zurecht. Das Top durfte auf keinen Fall rutschten.
Immer noch keine Regung von ihm. Die Aussicht schien ihn sehr zu fesseln. Vermutlich da er ihren langen Schatten gesehen hatte, drehte er sich ziemlich rasch zu ihr um. Nicht erschrocken, sondern fröhlich und erleichtert sie endlich zu sehen, lächelte er ihr entgegen und reichte ihr seine Hand. „Hi, ich dachte du kommst gar nicht.“
Entrüstet steckte sie ihr Haar hinter ihre Ohren. „Was? Bin ich zu spät?“
„Nein, nein. Aber ich dachte du hast mich schon wieder vergessen.“, sagte Shane und zog seine Hand wieder an sich. Sein Blick musterte sie von oben bis unten, das konnte Britney sehen. Er selbst trug knielange schwarze Jeans, weiße Chucks und ein ebenfalls weißes T – Shirt. Zusammen mit seinen haselnussbraunen Haaren ergab seine Erscheinung ein schönes Bild. Zu schön. Nach einem Moment, den sie brauchte um sich wieder zu fassen, ergriff sie das Wort. „Also? Wo solls als erstes hingehen?“
„Ich dachte, ich zeige dir einmal die Kirchen hier in der Gegend, sie sind einfach klasse, ich denke …“
„Nein“
Überrascht hielt Shane inne und blinzelte verdattert gegen die Sonne. „Was, warum?“
„Naja, meine Familie hat heute vor sich alle Kirchen anzusehen.“
„Achso, dein Vater hasst die Iren ja.“, antwortete Shane und klatschte in die Hände. „Es war ein Scherz. Wir könnten durch den Park nicht weit von hier spazieren. Dort stehen soweit ich weiß auch ein paar Denkmäler und so weiter. Das Wetter ist auch schön.“
Sie nickte zufrieden.
„Also, wie gefällt es dir in Wicklow?“
Der Park war schön. Schön grün. Von überall hörte man die Vögel, das Plätschern eines Brunnens und das Kreischen spielender Kinder. Hier fühlte sie sich wohl. Auch wenn sie nicht viel über die Geschichte des Landes kennenlernte, war Britney froh ihre Zeit nicht in stickigen Kirchen verbringen zu müssen. „Ganz gut. Bis jetzt.“
Er lachte auf. „Ey, was heißt bis jetzt? Cill Mhantáin ist toll.“
„Cill was?“
Wieder lachte er. „Cill Mhantáin. Das bedeutet „Kirche des Zahnlosen“.“
Überfordert schüttelte sie den Kopf und zog ihr Top wie so viele Male davor nach oben. Wieder beobachtete er sie aus den Augenwinkeln. Sah er ihr in den Ausschnitt? Insgeheim hoffte sie es. Es schmeichelte ihr.
Gemeinsam passierten sie ein kleines eisernes Tor und folgten von dort einem kleinen Kiesweg. „Kirche des was?“
„Vergiss es.“, erklärte Shane und räusperte sich vernehmlich. „Das sagen wir hier. Wegen der Sage. Du weißt schon.“
Ahnungslos hob sie eine Augenbraue. „Nein tue ich nicht.“
„Wegen St. Patrick.“
Als sie nichts sagte, wurde er kreidebleich. „Du kennst doch St. Patrick?!“
„Aber nicht was es mit dieser „Geschichte“ von euch auf sich hat.“
Sanft nahm er sie an der Hand und zog sie mit sich. „Komm‘ wir setzten uns ins Café.“
Die Berührung ließ sie schaudern. So sehr, dass sie für einen Augenblick gebannt auf seine Hand schielen musste, so als würde sie es sonst nicht glauben können.
„Was möchtest du?“
„Die Geschichte.“
Er lachte. „Für mich bitte eine Cola. Und für dich?“
„Die Geschichte.“
„Zwei Cola.“
Die Bedienung ging.
„Die Geschichte“, bohrte Britney weiter.
Shane hatte ihre Hand schnell wieder losgelassen, was sie sehr bedauerte. Stattdessen hatte er sich breitbeinig auf den Stuhl ihr gegenüber gesetzt und spielte mit einem Untersetzter herum. Begeistert baute er damit ein wackliges Kartenhaus. „Es heißt, St. Patrick habe versucht am Travelahawk Strand anzulegen.“, wissend, dass Britney keine Ahnung hatte, wovon er sprach, lenkte er schnell ein. „Das ist im Süden. Nun ja, sie wurden angegriffen, von Einheimischen und einer verlor dabei seine Zähne.“
Prustend nahm sie ihre Cola entgegen, stellte sie aber gleich wieder von sich fort. „Was? Seine Zähne?“
Anders als sie leerte Shane sein Glas in einem kräftigen Zug. „Ja, warum