Nacht ohne Wiederkehr - Band 1. Stephen Red. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stephen Red
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738021523
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mittlerweile von oben wie ein Militärlager mit einem großen Internierungslager. Dort standen zahlreiche Baracken, ein Teich war angelegt worden zum Baden, und jegliche Gegenstände, welche ein Verletzungsrisiko bargen, wurden ihnen abgenommen, teilweise auch die Uhren, Brillen, Hörgeräte und Zahnprothesen.

      Die Versuche glückten, der Virus wurde zum ersten Mal besiegt. Als feststand, dass dies möglich war, starteten die Flugzeuge. Mittels B-52-Bombern wurde das AB-17 über den Menschen abgeworfen. Mehr und mehr stellte sich die Normalität wieder ein. Das Militär entsorgte die Leichen und verbrannte sie in den Lagern, die ja nun nicht mehr nötig waren. Die Straßen wurden gereinigt von all dem Blut, den herumliegen Augen, Zähnen und Extremitäten. Es kehrte wieder Ordnung ein.

      Am achten Tag war alles wie zuvor. Hank und die Kinder spielten im Garten, als Erika völlig entkräftet vom Lesen des Buches in den Garten kam und sagte: „Ach Hank, du musst mal das Buch lesen, es wird dich in seinen Bann ziehen, glaub‘s mir!“ Und so warf Hank einen Blick in das Buch – und es begann von vorne.

      Zu vermieten

      Wie an jedem 1. eines Monats fuhr Timothy auch heute wieder hinaus zu dem alten Anwesen. Von Beruf war er Makler, doch das Geschäft lief schlecht. Nicht nur, dass ihm sein Boss den Verkauf des alten Loraine-Herrenhauses aufs Auge gedrückt hatte, nein, auch seine Frau Rosetta machte ihm das Leben schwer. Schon oft dachte er an Scheidung. Aber nur kurze Zeit später fiel ihm wieder ein, dass er bei einer Scheidung leer ausgehen würde. Also riss er sich zusammen, holte einmal tief Luft und machte einfach so weiter wie bisher. Das war kein schönes Leben, das wusste er. Aber auf die eine oder andere Annehmlichkeit konnte und wollte er trotzdem nicht verzichten. Immer wenn dieses Datum auf dem Kalender näher rückte, wurde seine Frau fast unerträglich zickig. Der Grund war recht einfach, denn mit nur mal kurz hinfahren war es an so einem Tag nicht getan. Schon am Vorabend dieses Besuchstermins packte er seine Sachen. Während er es als wiederkehrendes Ritual akzeptiert hatte, störte es seine Frau immer noch. Auch bemerkte sie jedes Mal eine kleine Veränderung an seinem Verhalten, wenn er von jenem Anwesen heimkehrte.

      Am nächsten Morgen parkte er sein Auto aus der Garage aus, lud seinen Reisekoffer in den Kofferraum, küsste seine Frau auf die Stirn und verabschiedete sich mit einer hohlen Phrase à la: „Machs gut Liebes, wir sehen uns ja morgen Abend wieder.“ Und so fuhr er erneut zu diesem mittlerweile auch von ihm verhassten Herrenhaus. Der Weg dahin führte ihn vorbei an zahlreichen Ortschaften. Gute fünf Stunden später stand er erneut in der Toreinfahrt. Zu seiner Linken befand sich eine Tafel des Maklerbüros, für das er tätig war. Darauf stand in Großbuchstaben:

      ZU VERKAUFEN – DAS LORAINE-HERRENHAUS

      Seit zwei Jahren stand das Schild an jenem Ort. Mittlerweile überwuchert von Moos und Gras. Timothy rechnete nicht mehr damit, dass er das Anwesen jemals verkaufen würde. Auch war ihm die Abgeschiedenheit, in der das Anwesen lag, irgendwie unheimlich. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch drei Stunden Zeit hatte, ehe die Dämmerung einsetzte. Sogleich schloss er das Tor auf und fuhr unter dem Torbogen hindurch. Er überlegte kurz und sagte sich dann: „Ach was, warum soll ich aussteigen und das Tor schließen, kommt doch eh keiner.“ Und so fuhr er weiter die lange Auffahrt zum Anwesen hoch. Das Haus lag gut eine Meile entfernt von der Straße. Die Auffahrt schlängelte sich um die Ausläufer eines kleinen Sees und durchquerte ein Waldstück. Wie immer fuhr er mit dem Wagen drei Viertel des Rondells herum, bevor er stehen blieb. So hatte er das Haus in seinem Rücken.

      Er stieg aus, holte einen Kugelschreiber aus seiner Weste und notierte die genaue Zeit, wann er beim Anwesen eingetroffen war. Sein Chef Jack Walter war in diesen Dingen immer sehr penibel. Und einen Grund zur Ermahnung wollte Timothy ihm nicht liefern. Nach dem Protokoll ging er die Stufen zur Eingangstür empor. Links wie rechts war die mächtige Tür von schwarzen Marmorsäulen flankiert. Timothy holte seinen großen Eisenschlüssel heraus und schloss auf. Er schob beide Flügel der Tür nach innen und betrat die Eingangshalle. Es war ein imposanter Bau. Der Kronleuchter an der Decke mochte gute 15 Fuß über ihm hängen. Immer wieder schaute er ihn an und stellte sich wie in einem billigen Horrorfilm vor, wie dieser auf ihn niederrauschte und er dabei zu Tode kam.

      Fünf – vielleicht auch zehn – Minuten verstrichen, während er im Eingangsbereich seine Kontrolle durchführte. Im Haus selbst war er immer sehr wachsam. Es wirkte so sauber, nicht ein Krümelchen Staub lag am Boden, was schon recht ungewöhnlich war. Immerhin stand das Haus seit gut zwei Jahren zum Verkauf. Der Grund für diese penible Sauberkeit war Kimmens, der Butler der ehemaligen Familie, die dort einst lebte. Er achtete noch immer auf das Anwesen, ganz so, als wären sie nie verschwunden, seine Herrschaften.

      Wie Timothy so dastand und sein Protokoll ausfüllte, hörte er von draußen ein Geräusch. Schnell packte er seine Sachen zusammen und lief zur Tür. Hier blickte er die große Treppe hinunter und sah ein fremdes Auto vor dem Haus. Da gingen auch schon die Türen auf. Ein Paar mit zwei Jugendlichen entstieg dem Auto. Timothy ging die Stufen hinunter und stellte sich vor. Gestatten Sie, mein Name ist Timothy Wooldridge. Ich bin der aktuelle Verwalter dieses Hauses. Womit kann ich Ihnen denn weiterhelfen? Die Vier schauten ihn musternd an. Da drückte die Frau ihrem Mann den Ellbogen in den Bauch und gab ihm zu verstehen, dass er was sagen sollte. „Hallo, wir sind Familie Maskowkin. Wenn ich uns kurz vorstellen darf: Das sind meine bezaubernde Frau Debora, unsere Tochter Elise, unser Sohn Roger und ich heißen, Sergej.“ Alle verneigten sich ganz höflich und gaben ihm die Hand. Timothy war gleich von Debora angetan. Er dachte sich: „Was für eine schöne Frau. Was macht so eine Frau nur mit einem derartigen Mann?“ Schön war Sergej nicht, dafür wirkte er aber sehr clever, war groß, kräftig und sprach Englisch mit erkennbarem Akzent. Timothy fragte dann: „Interessieren Sie sich für das Haus?“ Sergej trat auf ihn zu und sagte: „Wir wollen mieten Haus. Was willst du haben an Geld?“ Timothy war regelrecht sprachlos. Eigentlich stand es ja zum Verkauf, aber für den Fall der Mietanfrage, gab es ebenfalls ein Angebot. Seit über zwei Jahren fuhr er nun zu diesem Anwesen und nie traf er jemanden. Nun fährt diese nette Familie vor und möchte es mieten. Innerlich begann er zu frohlocken, aber nach außen ließ er sich von seiner Freude nichts anmerken. „Das Haus kostet im Monat 2.800 Dollar. Die Kaution beträgt 5.000 Dollar und ist bei Unterschrift des Mietvertrages sofort zu entrichten.“ Roger spuckte auf den Boden und sagte laut: „Du zockst uns ab, alter Mann, wer bist du?“ Sergej stellte sich vor ihn und entschuldigte sich bei Timothy für das Verhalten seines Sohnes. Dann sagte er streng: „Roger, steig wieder ins Auto und sei still!“ Dieser fuchtelte nur wild mit den Händen, schimpfte etwas Unverständliches auf Russisch und gehorchte schließlich. Sergej griff in seine Jackentasche und holte eine Rolle Geld hervor. Er trug immer 5.000 Dollar mit einem Gummiband darum in der Hosentasche. Timothy schaute ihn nur mit offenem Mund an. Dann sagte er: „Äh, Sie haben es bar dabei?“ Darauf entgegnete ihm Sergej: „Ja, macht Zahlen schnell und besser.“ – „Stimmt genau“, bestätigte Timothy. Er nahm das Geld, stellte Sergej eine Quittung aus, holte einen Mietvertrag-Vordruck aus seinem Auto und füllte diesen ebenfalls aus. Zum Schluss wandte er sich an das Paar: „Sind Sie beide Mieter oder nur einer von Ihnen?“ Beide nickten zwar, doch dann sagte Sergej: „Ich Mann, ich Mieter. Frauen können das nix machen.“ Danach unterschrieb er. Timothy riss das zweite Dokument dahinter ab, auf welches die Daten, sowie die Unterschrift durchgepaust wurden, und gab beiden die Hand. Dann kramte er die Schlüssel aus seinem Auto hervor und übergab sie. Schließlich sagte er: „Ich wünsche Ihnen viel Freude mit Ihrem neuen Haus.

      „Wie sieht es aus: Haben Sie noch Fragen bezüglich des Hauses?“ Debora schaute Timothy schräg von der Seite an und sagte ganz lapidar: „Wir finden uns schon zurecht. Wenn wir noch Fragen an Sie haben, rufen wir an. Sie haben doch bestimmt eine Visitenkarte dabei, stimmt‘s?“ Timothy war innerlich immer noch am Feiern, ob der Vermittlung des Herrenhauses und antwortete etwas abwesend: „Ja, hole ich und bekommen Sie.“ Nach der Übergabe seiner Karte sagte er: „Hiermit sind die Formalitäten erledigt. Das Haus ist nun an Sie vermietet und meine Arbeit ist getan.“ Timothy fiel spürbar ein Stein vom Herzen. Er verabschiedete sich, wünschte ihnen noch alles Gute und stieg in sein Auto. Kurz darauf fuhr er auch schon die Auffahrt wieder hinauf – wie er hoffte, zum letzten Mal. Oben am Tor angekommen, hielt er