»In meinem Traum hast du die Zeit angehalten.«
»In deinem Traum? Wirklich? Und wie genau habe ich das gemacht?«
»Ich weiß auch nicht genau. Es war unser erstes Treffen.«
»Unser erstes Treffen? Das ist schon sooo lange her.«
»Aber irgendwie war es eben auch gerade erst gestern. Im Traum hast du mich wieder gefragt ’Is this free?’«
»’Is this free?’. Schon lustig, was aus einem einzigen Satz so werden kann.«
»Is this seat taken? Wäre richtig, glaube ich. ’Is this free?’ ist deutschenglisch. Denglish.«
»Guapilein, Guapilein, Guapilein! Und ich glaube, du würdest gerade nicht so glücklich verträumt in die Welt schauen, wenn ich den Satz damals nicht gesagt hätte.«
Dieses Lächeln. Diese Mischung aus grenzenloser Zuneigung und Herausforderung. Dieser Blick, der meine Augen fixiert und nichts anderem auf der Welt eine wirklich Bedeutung lässt. Er macht mich genauso glücklich und genauso fertig wie am ersten Tag. Er verschlägt mir die Sprache, er macht mich willenlos. Völlig hilflos. Dieser Blick macht mich glücklich.
»Keine Antwort? Guapilein?«
»Seit wann heiße ich eigentlich Guapilein und nicht mehr Guapo?«
»Guapilein! Das ist doch ganz einfach. Wenn du Quatsch erzählst oder machst, dann bist du Guapilein. Guapilein, dem die Welt erklärt werden muss. Es ist völlig irrelevant, ob die Frau deiner Träume bei der ersten Begegnung ein grammatikalisch unsauberes Denglish gesprochen hat. Sie hat dich angesprochen! Was vor ein paar Jahren noch traditionell deine Aufgabe gewesen wäre. Und schau’, was wir daraus gemacht haben! Jetzt lass uns mal nicht die Erinnerungen mit grammatikalischem Schmutz bewerfen, Guapilein.«
Das Guapilein, habe ich wohl verdient. Denn recht hat sie. Wie fast immer. Egal, was ich für einen Blödsinn rede, sie ist mir nie böse. Sie weiß, dass ich es nicht böse meine. Sie weiß, wie sehr ich sie liebe. Und ein verarschender Kosename ist das mindeste, was ich verdiene. Auch wenn ich schon lange nicht mehr Holger genannt werde, ist Guapo ja noch ein recht männlicher Name. Aber Guapilein? Egal, dann eben Guapilein.
HAMBURG
Gut ich habe es geschafft. Die Wohnung habe ich verlassen. Keine Ahnung, was es bringen soll, aber immerhin hat sich etwas verändert. Auch dieses Besäufnis mit Frank wird mich nicht retten. Wahrscheinlich wird es noch nicht einmal ein Besäufnis. Das Bier schmeckt zwar besser als die letzten, die ich getrunken habe, aber es schmeckt auch nach nicht viel mehr als nach nichts. Verdammt, da kommt er schon. Hätte ich nicht noch ein paar Minuten für mich haben können?
» Hey, Kumpel! «
»Hi, Frank.«
»Du siehst aus wie Scheiße.«
»Ja.«
»Was ja?«
»Ja! Ich glaube du hast recht. Ich fühle mich wie Scheiße. Wahrscheinlich sehe ich auch aus wie Scheiße.«
»Jetzt mal nicht gleich so eingeschnappt, Kumpel. Also. Jetzt mal ganz in Ruhe und ganz von vorne. Denn so fangen wir den Abend gar nicht erst an. Wir trinken jetzt mal ein großes Bier. Ah, du bist schon dabei, aber du brauchst sicher gleich ein zweites. Und wenn wir das haben, erzählst du mir ganz in Ruhe, warum du seit sieben Wochen nicht bei der Arbeit warst und was überhaupt mit dir los ist, und ganz am Ende kannst du mir erzählen, warum du ein klein wenig blasser bist als sonst.«
»Okay. Warte kurz, ich muss nur kurz... bin gleich wieder da, ich gehe nur kurz auf’s Klo. Ich glaube ich muss mich übergeben.«
TARIFA
»Also eine nackte einundneunzigjährige Nina tanzt vor dir. Ein unvergesslicher, magischer Moment? Für immer gespeichert auf deiner Großhirnrinde. Was noch? Was bleibt noch von uns, wenn du deinen Brei von einer knackigen Krankenschwester serviert bekommst?«
»Alles nur das nicht!«
»Klar, auch schlimme Erinnerungen bleiben einem ja für immer. Der Moment, als der Hund vors Mofa gelaufen ist. Die Haare vom Vorgänger in der Dusche des Ein-Stern-Hotels. Erinnerungen müssen nur stark genug emotional sein, damit sie bleiben, egal ob gut oder schlecht, sexy oder hässlich, lustig verrückt oder todtraurig.«
»Du als einundneunzigjährige Tänzerin bist bis jetzt das einzig Negative, das bleibt.«
»Jetzt aber mal wirklich. Was bleibt?«
»Was bleibt? Es gab mehr als ein paar magische Momente in den letzten Wochen.«
»Erzähl mir deine, ich erzähl dir meine. Vielleicht haben wir ja das gleiche erlebt.«
»Wir waren in den letzten Wochen nicht länger als zwei Minuten voneinander getrennt, was soll da anders gelaufen sein?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht nichts, vielleicht alles. Also immer abwechselnd. Die besten, die magischsten Momente! Die Momente, die in Erinnerung bleiben.«
»Gerade eben! Dieser Tanz. Vielleicht tanzt die Einundneunzigjährige für immer neben mir in meiner Erinnerung, aber es wird bleiben.«
»Ich habe einen Blick von dir, den ich nie vergessen werde. An unserem zweiten Abend waren wir doch Tapas essen mit den Freunden von meinem Kitesurflehrer.«
»Ja, ich weiß, welcher Abend.«
»Und wir saßen beide am Kopf vom Tisch und konnten während des gesamten Essens nicht miteinander reden. Und da war dieser eine Blick. Einmal haben unsere Augen sich getroffen. Dieser Blick hatte etwas. Und ich weiß gar nicht was. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, wer du wirklich bist, und ich hätte mir nie eingestanden, dass ich mich vielleicht in dich verlieben könnte. Aber der Blick, dieser Blick, ich werde ihn nicht vergessen.«
»Nein. Kein Match, kein magischer Moment bei mir. Ich habe den ganzen Abend versucht, den Blickkontakt mit dir zu vermeiden. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, wollte unbedingt cool wirken und nicht wie ein verliebter Blickstalker. Wenn sich unsere Blicke getroffen haben, habe ich immer innerlich mit mir gemeckert und krampfhaft versucht, mich ganz auf die Gespräche mit meinen Nachbarn zu konzentrieren.«
»Aber geblieben ist dir der Moment auch.«
»Ja, aber anders als bei dir.«
»Kein wirkliches Match also. Schade eigentlich. Aber irgendetwas hast du richtig gemacht bei diesem einen Blick. Für mich war das vielleicht der wirkliche Anfang von uns.«
»Wir finden schon noch ein paar gemeinsame magische Momente. Wie ist es denn mit dem allerersten Moment. Ich werde nie dein Gesicht vergessen, bei deinem ersten Satz im Café.«
»Logisch, der allererste Moment. Ich habe dich entdeckt, diesen hübschen Mann mit seinem Buch am besten Sonnenplatz im Café. Ich war ziemlich nervös.«
»Habe ich nicht im geringsten gemerkt. Eine halbe Stunde später, auf dem Weg zum Strand, den du ja noch nie gesehen hattest, hast du dich bei mir eingehakt. Dein Psychotestspielchen...«
»Psychotestspielchen? Du hast es doch genossen!«
»Ich war völlig überfordert, das weißt du doch, das wolltest du doch. Deine Brust hat meinen Arm berührt und ich habe von der Seite nach einem Zeichen in deinem Gesicht gesucht, was wohl in dir vorgeht. Ich war völlig hilflos und wusste beim besten Willen nicht, wie ich reagieren soll. Werde ich definitiv nie vergessen! Gestochen scharf dieses Bild vor meinem inneren Auge.«
»Ja. Vielleicht.