Insonnia. Jay Baldwyn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jay Baldwyn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752908190
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etwas sonderbar. Eben kein normales Kind. Sie hängt noch immer an ihrem Teddy, obwohl sie längst kein Kleinkind mehr ist. Sie spricht mit ihm, und er antwortet ihr sogar. Ich weiß nicht, wie sie das mit ihrer Stimme macht.<<

      >>Kinder haben oft eine starke Verbindung zu ihrem Lieblingsstofftier oder einer Puppe.<<

      >>Ich weiß, aber mit vierzehn? Andererseits verhält sie sich wie eine Erwachsene. Zeigt sich schamlos in der Öffentlichkeit gegenüber Jungen und Männern. Ich wollte das zuerst gar nicht glauben, bis ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Irgendetwas ist in ihrem Kopf nicht in Ordnung.<<

      >>Nun, wir werden uns selbst einen Eindruck darüber verschaffen. Haben Sie sie mitgebracht?<<

      >>Ja, Velia wartet draußen.<<

      >>Dann holen Sie sie bitte jetzt herein.<<

      Kurz darauf kam die Signora mit einem sehr schlanken, hochgewachsenen Mädchen an der Hand zurück.

      >>Buongiorno, ich bin Dottore Serra, und du bist Velia, nicht wahr?<<

      Das verschüchterte Mädchen nickte nur und wagte kaum den Blick zu heben. Ihre langen, dunklen Haare waren im Nacken zusammengebunden und wurden von einer dunkelblauen Schleife gehalten.

      >>Antworte, wenn der Dottore mit dir spricht.<<

      >>Ja, ich bin Velia. Buongiorno<<, kam es kaum hörbar aus ihrem Mund.

      >>Wir werden dich für eine Weile hierbehalten und herausfinden, was dir fehlt.<<

      >>Nein, das will ich nicht. Hier ist es gar nicht schön.<<

      >>Du musst dich erst etwas eingewöhnen. Das geht schneller als du denkst<<, sagte der Arzt.

      >>Jetzt stell dich nicht so an. So wie es jetzt ist, kann es jedenfalls nicht weitergehen. Hier, nimm deinen Teddy! Dann fühlst du dich nicht so allein.<<

      >>Bitte, mamma, nimm mich wieder mit. Ich werde auch ganz brav sein und dir keinen Kummer mehr machen.<<

      >>Nein, du bleibst hier. Und damit basta.<<

      Signora Lombardo konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Velia ihr ins Gesicht spuckte.

      >>Sehen Sie, was dieses schlimme Kind sich erlaubt? Sie hat nicht einmal Respekt vor der eigenen Mutter.<<

      Dottore Serra nahm den Telefonhörer, wählte eine Ziffer und sprach leise hinein. Kurz darauf erschienen zwei Pfleger in weißer Kleidung und packten Velia jeder an einem Arm.

      >>Komm, wir bringen dich auf dein Zimmer<<, sagte der eine. >>Da kannst du dich etwas ausruhen.<<

      Velia sträubte sich mit Händen und Füßen und schrie verzweifelt nach ihrer Mutter, doch diese schaute zur Seite und kümmerte sich nicht darum.

      >>Am Anfang wollen sie es alle nicht wahrhaben<<, meinte der Dottore. >>Das gibt sich aber nach einiger Zeit.<<

      >>Das will ich hoffen. Ich muss für meinen Lebensunterhalt sorgen und kann mich nicht um ein krankes Kind kümmern.<<

      >>Hier ist Ihre Tochter gut aufgehoben. Es wird ihr bestimmt bald wieder besser gehen. Und Sie haben schon Schlimmeres überstanden, Signora. Den Weltkrieg und den Verlust Ihres Mannes.<<

      >>Wem sagen Sie das? Also, Sie halten mich auf dem Laufenden, ja?<<

      >>Selbstverständlich, Signora.<<

      Als Signora Kamile Lombardo den Raum verlassen hatte, trug Dottore Serra in das Aufnahmeformular eine erste Diagnose ein:

      „Vierzehnjähriges Mädchen, womöglich leicht unterernährt. Depressiv mit aggressiven Ausbrüchen. Gestörtes Verhältnis zur Mutter. Leicht schizophrene Anzeichen (spricht mit ihrem Teddy und gibt sich Antwort mit verstellter Stimme). Aufnahme in die Abteilung für ruhige Patienten, wenn sich ihr Zustand nicht bessert, Verlegung in die Abteilung für unruhige Patienten. Muss gründlich untersucht und beobachtet werden.“

      Velia wurde in ein Zimmer mit acht weißen Metallbetten gebracht. Auch die Zimmer nebenan waren ebenso ausgestattet, wie Velia beim Vorbeigehen erkannte. Die breiten Fenster, durch die helles Sonnenlicht fiel, wiesen Metallgitter auf, durch die man allenfalls eine Hand stecken konnte. Aus dem Körper des jungen Mädchens schien alle Kraft gewichen zu sein. Leise vor sich hin weinend, ergab es sich seinem Schicksal.

      Das Verhalten der anderen Patientinnen war sehr unterschiedlich. Manche nahmen keine Notiz von Velia. Andere starrten sie unverhohlen an. Eine junge Frau, die Velia im Nebenzimmer aufgefallen war, weil sie von ihrer Bettkante aus interessiert das Geschehen beobachtet hatte, stand plötzlich in der Tür und kam zu Velia herüber.

      >>Ciao, ich bin Gianna. Jetzt hör schon auf zu weinen. Es ist ja alles gar nicht so schlimm. Du musst nur immer schön das tun, was sie von dir wollen. Wir sind hier in der Abteilung der ruhigen Patienten, weißt du. Da sind die Türen nicht abgeschlossen. Und am Tage kann man in den Garten gehen zum Spazierengehen. Da gibt es auch Bänke aus Stein und sogar einen Spielplatz. Aber dafür bist du ja schon ein bisschen zu groß, oder?<<

      >>Ich weiß nicht. Was stehen denn da für Spielgeräte?<<

      >>Eine Rutsche, eine Wippe und ein kleines Karussell, das sich dreht.<<

      >>Das wird Babo sicher gefallen.<<

      >>Dir nicht? Und wer ist Babo? Dein Bruder?<<

      >>Nein, das ist mein Teddy. Er ist mein bester Freund. Viel besser als ein Bruder. Er ist immer lieb zu mir, schimpft nie und lügt mich nicht an.<<

      >>Das haben Stofftiere so an sich<<, lächelte Gianna.

      >>Ja, aber er ist viel mehr als das. Er hört mir zu, wenn ich Kummer habe, und gibt mir gute Ratschläge.<<

      >>Du meinst, er spricht zu dir?<<

      Velia nickte heftig.

      >>Das behältst du besser für dich. Solche Sachen hört man hier nicht so gerne.<<

      >>Wenn es doch wahr ist. Soll ich lügen?<<

      >>Nicht lügen, aber auch nicht alles erzählen. Damit man es nicht gegen dich verwenden kann.<<

      >>Verstehe ich nicht. Es schadet doch keinem, wenn Babo sich mit mir unterhält.<<

      >>Sicher nicht, doch manche werden das als Bestätigung ansehen, dass du ein bisschen verrückt bist. Ich glaube das nicht, aber vielleicht die Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern.<<

      >>Sind die nett? Die beiden Männer, die mich hergebracht haben, sahen nicht sehr freundlich aus.<<

      >>Jeder hat eben so seine eigene Art. Die meisten meinen es gut, aber es gibt auch welche, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Bosco gehört dazu. Das ist der Blonde, Bullige, der dich aufs Bett gedrückt hat. Seine Hände sind überall. Auch da, wo es dir bestimmt nicht gefällt. Und Aleandro, ein Kleiner, Dunkler mit Bart. Den hast du noch nicht kennengelernt, dem sitzt die Hand ziemlich locker. Der schlägt schnell mal zu, wenn ihm etwas nicht passt. Bei den Schwestern gibt es wahre Engel, aber auch eine, die alle nur den General nennen. So eine blonde Walküre mit Pranken wie ein Mann.<<

      >>Und wie sind die Ärzte so? Muss man sich vor denen auch fürchten? Dottore Serra machte eigentlich einen recht sanften Eindruck.<<

      >>Der hat die Aufnahme bei dir gemacht? Ja, der ist nett und sanft wie ein Lamm. Dottore Marchetti ist auch ganz in Ordnung, wenn auch nicht so sanft wie Dottore Serra. Aber am Schlimmsten ist Dottore Gallo. Der kennt kein Erbarmen und schert sich nicht darum, wenn es wehtut. Er hat so einen unheimlichen Blick. Man könnte glatt meinen, er sei einmal hier Patient gewesen. Aber das behältst du für dich, hörst du? Ich will keinen Ärger kriegen. Auf jeden Fall bin ich für dich da, wenn du mich mal brauchst.