»Ich habe ihn gesehen, mit Ew. Majestät Erlaubnis,« sagte der hölzerne Mann, und der Junge wurde so bange, daß er in seinem Versteck unter dem Hut zitterte. Er konnte den Bronzemann durch einen Riß im Holz sehen. Aber er beruhigte sich wieder, als der hölzerne Mann fortfuhr: »Ew. Majestät sind auf falscher Spur. Der Junge hatte offenbar die Absicht, nach der Werft zu laufen und sich dort zu verstecken.«
»Sagt Er das, Rosenbom? Aber dann darf Er nicht länger ruhig auf seinem Sockel stehen. Komme Er lieber mit und helfe Er mir, ihn suchen. Vier Augen sehen mehr als zwei, Rosenbom.«
Aber der hölzerne Mann antwortete mit kläglicher Stimme: »Ich bitte untertänigst, daß ich stehenbleiben darf, wo ich stehe. Ich bin frisch angemalt, und daher sehe ich neu und glänzend aus, aber ich bin alt und gebrechlich und kann es nicht vertragen, mich zu rühren.«
Der Bronzemann gehörte nicht zu den Leuten, die Widerspruch dulden. »Was sind das für Ausflüchte? Will Er nicht sofort mitkommen, Rosenbom!« Und er erhob seinen langen Stock und versetzte dem andern einen Schlag auf den Rücken, so daß es dröhnte. »Sieht Er wohl, daß Er noch hält, Rosenbom?«
Damit machten sie sich auf den Weg und schritten groß und mächtig die Straßen von Karlskrona dahin, bis sie an ein hohes Tor gelangten, das zur Werft führte. Draußen ging ein Matrose von der Flotte Wache, aber der Bronzemann schritt nur an ihm vorüber und stieß das Tor mit dem Fuß auf, ohne daß der Matrose es zu sehen schien.
Sobald sie auf die Werft gekommen waren, sahen sie einen großen und breiten Hafen vor sich, der mit Bollwerken abgeteilt war. In den verschiedenen Hafenbassins lagen Kriegsschiffe und sahen hier aus der Nähe viel größer und schreckeinflößender aus als vorhin, da der Junge sie von oben herab gesehen hatte. »Es war gar nicht so dumm, zu glauben, daß es Seegeister seien,« dachte er.
»Wo, meint Er, ist es am vernünftigsten, mit dem Suchen zu beginnen, Rosenbom?« fragte der Bronzemann.
»So ein kleiner Wicht könnte sich wohl am ersten in dem Modellsaal verstecken,« antwortete der hölzerne Mann.
Auf einem schmalen Streifen Land, der sich rechts vom Torweg an dem ganzen Hafen entlang erstreckte, lagen einige altmodische Gebäude. Der Bronzemann ging auf ein Haus mit niedrigen Mauern, kleinen Fenstern und einem hohen Dach zu. Er stieß mit seinem Stock gegen die Tür, so daß sie aufsprang und trampelte eine Treppe mit ausgetretenen Stufen hinauf. Dann kamen sie in einen großen Saal, der mit aufgetakelten und vollgerickten kleinen Schiffen angefüllt war. Der Junge begriff, ohne daß es ihm jemand sagte, daß dies Modelle von den für die schwedische Flotte erbauten Schiffen waren.
Da waren Schiffe von mancherlei Art. Da waren alte Linienschiffe, die Seiten mit Kanonen gespickt, mit hohen Überbauten vorne und achtern und mit Masten, die beschwert waren von einem Wirrwarr aus Segeln und Tauwerk. Da waren kleine Schärenfahrzeuge mit Ruderbänken längs der Schiffsseiten, da waren Kanonenboote ohne Deck und reichvergoldete Fregatten, die Modelle zu denjenigen, die von den Königen auf ihren Reisen benutzt waren. Endlich waren da auch die schweren, breiten Panzerschiffe mit Türmen und Kanonen an Deck, wie sie heutzutage gebraucht werden, und schmale, blanke Torpedoboote, die langen, dünnen Fischen glichen.
Als der Junge zwischen all diesem herumgetragen wurde, war er sehr verwundert.
»Nein, daß wir hier in Schweden so schöne, große Schiffe gebaut haben!« dachte er bei sich.
Er hatte gute Zeit, sich alles anzusehen, was da drinnen war, denn als der Bronzemann die Modelle sah, vergaß er alles andere. Er betrachtete sie alle, vom ersten bis zum letzten, und stellte Fragen darüber. Und Rosenbom, der Oberbootsmann auf der Kühnheit, erzählte alles, was er von den Baumeistern der Schiffe wußte und von denen, die sie geführt hatten, und was ihr Los gewesen war. Er erzählte von Chapman und von Puke und Trolle, von Hogland und Svendsksund bis hinab zu 1809, denn nach jener Zeit war er nicht mehr mit dabei gewesen.
Sowohl er als auch der Bronzemann fanden am meisten Gefallen an den schönen, alten hölzernen Schiffen. Auf die neuen Panzerschiffe verstanden sie sich offenbar nicht so recht.
»Ich merke, Rosenbom weiß nichts von diesen neuen Dingern,« sagte der Bronzemann. »Sehen wir uns deswegen lieber etwas anderes an, denn dies interessiert mich, Rosenbom!«
Es schien, als habe er den Jungen ganz vergessen, und der saß sicher und ruhig oben in dem hölzernen Hut.
Darauf wanderten die beiden Männer durch die großen Werkstättenräume: die Segelmacherwerkstatt und die Ankerschmiede, die Maschinen- und Tischlerwerkstätten. Sie besahen die Mastenkräne und die Docks, die großen Speicher, den Artilleriehof, das Zeughaus, die lange Reiferbahn und das große, verlassene Dock, das in die Klippe gesprengt war. Sie gingen auf die Bollwerke hinaus, wo die Kriegsschiffe vertäut lagen, gingen an Bord derselben und besahen sie wie zwei alte Seebären, staunten und tadelten, und bewunderten und ärgerten sich.
Der Junge saß ganz ruhig unter dem hölzernen Hut und hörte darüber reden, wie man an diesem Ort gekämpft und gearbeitet hatte, um alle die Flotten auszurüsten, die von hier ausgegangen waren. Er hörte, wie man Blut und Leben gewagt, wie man sein letztes Scherflein geopfert hatte, um Kriegsschiffe zu bauen, wie kluge Männer alle ihre Kräfte eingesetzt hatten, um diese Schiffe, die der Schutz des Vaterlandes waren, zu verbessern und zu vervollkommnen. Ein paarmal fehlte nicht viel, daß dem Jungen Tränen in die Augen traten, wenn er von alledem reden hörte. Und er freute sich, daß er so gut Bescheid darüber erhielt.
Zuallerletzt gingen sie in einen offenen Hof hinaus, wo die Gallionsfiguren von den alten Linienschiffen aufgestellt waren. Und etwas Merkwürdigeres hatte der Junge noch nie gesehen, denn diese Figuren hatten mächtige, schreckeinflößende Gesichter. Sie waren groß, dreist und wild, erfüllt von demselben stolzen Geist, der die großen Schiffe ausgerüstet hatte. Sie stammten aus einer andern Zeit als der seinen. Er fühlte sich so klein ihnen gegenüber.
Aber als sie da hinauskamen, sagte der Bronzemann zu dem hölzernen Mann: »Nehm' Er jetzt den Hut ab, Rosenbom, vor denen, die hier stehen! Sie sind alle für das Vaterland im Kampf gewesen.«
Und Rosenbom hatte ebenso wie der Bronzemann vergessen, weshalb sie hierhergekommen waren. Ohne sich zu besinnen, nahm er den Hut ab und rief:
»Ich nehme meinen Hut ab vor dem, der den Hafen auserwählte und die Werft gründete und die Flotte neu erschuf, vor dem König, der dies alles ins Leben rief!«
»Danke, Rosenbom! Das war gut gesagt. Rosenbom ist ein Ehrenmann. Aber was ist denn das, Rosenbom?«
Denn da stand Nils Holgersson mitten auf Rosenboms kahlem Scheitel. Aber jetzt war er nicht mehr bange; er nahm seine weiße Mütze ab und rief:
»Hurra! Du sollst leben, Langlippe!«
Der Bronzemann stieß den Stock hart auf die Erde, aber der Junge erfuhr nie, was er zu tun beabsichtigt hatte, denn jetzt ging die Sonne auf, und im selben Augenblick verschwand sowohl der Bronzemann als auch der hölzerne Mann, als seien sie aus Nebel geschaffen. Während er noch dastand und ihnen nachstarrte, flogen die wilden Gänse vom Kirchturm auf und schwebten hin und her über der Stadt. Plötzlich erblickten sie Nils Holgersson, und der große weiße Gänserich schoß aus den Wolken herab und holte ihn.
Die Reise nach Öland
Sonntag, den 3. April
Am nächsten Morgen flogen die wilden Gänse auf eine Schäreninsel hinaus, um zu weiden. Dort trafen sie mit einigen grauen Gänsen zusammen, die erstaunt waren, sie zu sehen, denn sie wußten sehr wohl, daß ihre Verwandten, die wilden Gänse, es vorziehen, über das Innere des Landes dahinzufliegen. Als sie schwiegen, sagte eine graue Gans, die so aussah, als wenn sie ebenso alt und ebenso klug sei wie Akka selber: »Es war ein großes Unglück für euch, daß der Fuchs in seinem eigenen