Die Verantwortung der Professionellen
Wie eigentlich müssten Bildung, Erziehung, Beratung, Psychologie aussehen unter Hinzuziehung dessen, was aus einem breiten Spektrum der Forschung und Erfahrung bekannt ist, um Hilfe zu geben? So umfangreich das sein mag und so widersprüchlich – man würde wohl nicht auf die Idee kommen, dass der unternehmerische Sozialstaat, eine auf Funktionalität gestimmte Schule das Wohlergehen, geschweige denn Glück und Leistungsbereitschaft hervorbringen. Wer, wenn nicht die Professionellen sollte das wissen? Ich möchte dazu eine längere Passage von Thomas von Freyberg folgen lassen.
»Woran in der mehr als hundertjährigen Geschichte der Reformpädagogik alle diese guten und begründeten pädagogischen Konzepte und Programme gescheitert sind. Die Antwort auf diese Frage ist fast so alt wie die Reformpädagogik selbst: gescheitert an den gesellschaftlichen Grenzen der Pädagogik. Der Scheinwerfer wäre nun zu richten auf die Professionellen der öffentlichen Erziehung und Bildung.
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Denn sie haben die pädagogische Verantwortung in ihrem Feld – und mit ihr zwingend auch die Verantwortung für die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten. Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sind verantwortlich, also auch zuständig und damit dann auch verpflichtet zu intervenieren, wenn sie feststellen müssen, dass die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit, die gesetzlichen Regelungen, die Verwaltungsvorschriften, die organisatorischen Gepflogenheiten, die räumlichen und personellen Ausstattungen, kurz: dass die strukturellen Bedingungen ihrer Arbeit im krassen Widerspruch stehen zu den Anforderungen an eine gute Kindertagesstätte oder gute Schule, als Lebens-, Lern- und Handlungsraum, der seine Strukturen vorrangig am Konzept der resilienzstärkenden Lern- und Arbeitsbedingungen ausrichtet.
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Eine solche strukturelle Verantwortlichkeit der Professionellen hieße, dass sie das Recht – mehr noch - die Pflicht hätten, alle ihre Arbeitsbedingungen und -strukturen an diesen Anforderungen zu messen; so wäre beispielsweise auch die grassierende Verschulung der öffentlichen Vorschulerziehung unter die Lupe zu nehmen. Wohl gemerkt, alles stünde zur Disposition, ...«
Thomas von Freyberg wirft die Frage nach der Resistenz (!) der Professionellen auf. Wie konfliktfähig und konfliktbereit sind sie? Wie nehmen sie ihre Verantwortung für die strukturellen Bedingungen ihrer Arbeit und ihres Arbeitserfolgs wahr?
Er schließt seinen Beitrag folgendermaßen ab:
»Wer nicht über die Notwendigkeit, Bedingungen und Möglichkeiten des Widerstands gegen die gesellschaftlichen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse reden will, sollte über Resilienz und Resourcen der Individuen schweigen.«
2 Resilienz in einer Welt der Katastrophen und der Gewalt – fit für die Krise
Insbesondere die Ausweitung des kapitalistischen Wirtschaftssystems habe zu extremer sozialer Ungleichheit, zu Ausgrenzung, zu Verteilungskriegen und zu klimabedingten Katastrophen in erschreckendem Maße geführt, berichtet die Mitarbeiterin von medio international, Usche Merk[Fußnote 7]. Seit den 1990 er Jahren habe nach anfänglicher Anerkennung der politischen, umweltpolitischen Ursachen für die seelischen Leiden, ein Prozess der Entpolitisierung eingesetzt.
»Nicht mehr Krieg, Vertreibung und Gewalt standen als Ursache für das Trauma im Vordergrund, sondern die PTBS-Symptome der Einzelnen, die nun in privaten Therapieräumen über das sprachen, was sie erlebten und was ihnen angetan wurde.«
Mit dem Konzept der Resilienz scheint es zu einem Rückzug aus dem Bemühen um politische und gesellschaftliche Veränderungen gekommen zu sein. Wenig scheint es darum zu gehen, soziale Verhältnisse in den Blick zu nehmen; vielmehr soll es um den einzelnen Menschen gehen, der resilient werden soll und weitermachen kann.
Resilienzförderung nimmt die Belastungsursachen oder -kontexte selbst nicht mehr in den Blick, sie brauchen – geht es nach diesem Verständnis – nicht verändert zu werden. Sie werden in die Sphäre außerhalb der eigenen Wirkmächtigkeit verlagert. Das gilt dann nicht nur für Kriegs- und Klimakatstrophen „draußen“, sondern auch „daheim“, wo Lernstress, Arbeitslosigkeit oder Führungsschwäche drohen. Wo auch immer: Verunsicherung, Angst und Schrecken werden zu einer persönlichen „Herausforderung“ mit dem Potenzial einer Reifung der Persönlichkeit umgeschrieben. Von der Art und Weise, wie wir leben – im kleinen, wie im globalen Maßstab –, in welch hierarchischen Unterordnungsverhältnissen Politik und menschliches Maß zur Ökonomie stehen, über Ursprünge unserer Belastung sollen wir nicht nachdenken. Wir sind Teil der Orwell’schen Maschinerie. Vertraue dem herrschenden System. Der Mensch passt sich daran an, er gestaltet, fragt und kritisiert nicht. Seine Freiheit ist, sich resilient zu machen.
3 Resilienz und Sicherheitspolitik
Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man betrachtet, wie Resilienzförderung in der so genannten Sicherheitspolitik diskutiert beziehungsweise vorangetrieben wird. Im Anschluss an das Weißbuch 2016 des Verteidigungsministeriums[Fußnote 8] –
»Für die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge ist die Stärkung von Resilienz und Robustheit unseres Landes gegenüber aktuellen und zukünftigen Gefährdungen von besonderer Bedeutung. Dabei gilt es, die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Organen, Bürgerinnen und Bürgern sowie privaten Betreibern kritischer Infrastruktur, aber auch den Medien und Netzbetreibern zu intensivieren. Das Miteinander aller in der gemeinsamen Sicherheitsvorsorge muss selbstverständlich sein.« S. 48, –
macht die Bundesakademie für Sicherheit Resilienz zu einem ihrer großen Themen. Forsch und in Gestalt eines Aufrufs heißt es: »Vorwärts Resilienz! – Vorschläge zum Resilienzausbau in Deutschland«[Fußnote 9]. Der Formulierungsvorschlag des Autors, Michael Hanisch, Oberstleutnant i.G. und persönlicher Referent des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, für das, was man brauche, lautet »Nationale[r] Aktionsplan Resilienzstärkung«. Es gehe um die Stärkung der eigenen Krisenfestigkeit:
»Effektive[s] Umgehen, Verkraften und Anpassen an unvermeidliche Störungen, wie etwa Umweltkatastrophen, Terroranschläge oder Propaganda, ein elementarer Baustein für eine umfassende, gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge.«
Die schon aus anderen Maßnahmeplänen erreichten Schutzmaßnahmen, die aber nicht unter dem Begriff Resilienz entwickelt wurden, stuft der Autor als nicht ausreichend an:
»Doch letztlich bilden die damit verbundenen Fähigkeiten „nur“ einen ganz spezifischen Bereich von Resilienz ab. Es gibt aber weitaus mehr Formen von „Krisenfestigkeit“, etwa eine robuste Wirtschaft oder die psychische Bewältigungskompetenz von Individuen oder Kollektiven, die einer Extremsituation ausgesetzt waren.«
Michael Hanisch empfiehlt zu sondieren, welch unterschiedliche Projekte und Initiativen dem Resilienzausbau zugeordnet werden könnten. Damit ließe sich ein Mehrwert für ihn erzielen.
Als Element eines größeren Programms bringt Michael Hanisch kommunale und lokale »Resilienzpartnerschaften« ins Gespräch. Klar ist auch, dass sich der Resilienz-Ausbau in Kennziffern fassen lassen muss.
»Denn nur wenn klar ist, wie eine spezifische „Krisenfestigkeit“ gemessen werden kann, lässt sich auch feststellen, zu welchem Maß diese bereits existiert, wie wirksam Maßnahmen zu deren Förderung sind und inwieweit politische Zielvorgaben erreicht wurden.«
Also wird es ähnlich zugehen, wie bei der Schulentwicklung, im Gesundheitswesen, in der Altenpflege oder bei der Vergleichbarkeit des Abiturs. Verkennzifferung allerorten. Gewiss wie die Vermessung ist, dass Geld investiert werden muss. Weitergedacht ist vorstellbar, dass pädagogische und psychosoziale Einrichtungen und private Institute Verknüpfungen zur „nationalen Aufgabe Resilienzausbau“ herstellen, um an Gelder zu kommen. Es sollte doch möglich sein, die eigene Arbeit in das Licht nationaler Gesundherhaltung zu stellen, oder nicht?
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