Mit einer hochmütigen Miene ging Wera in den Salon, wo sie zwei Pärchen, jedes an einem Fenster sitzend, bemerkte. Mit spöttischer Miene betrachtete sie sie. Nikolai schrieb für Sonja Verse seiner eigenen Mache auf, Boris und Natalie flüsterten miteinander und verstummten bei Weras Annäherung. Die beiden jungen Mädchen verrieten ihre Liebe durch ihre freudige, erregte und schuldbewußte Miene. Es war reizend und komisch zugleich, aber bei Wera erweckte dieser Anblick andere Gefühle.
»Wie oft habe ich euch gebeten, nichts von meinen Sachen anzurühren! Ihr habt ja ein Zimmer für euch!« Darauf nahm sie Nikolai das Tintenfass aus der Hand.
»Noch einen Augenblick!« sagte Nikolai, die Feder eintauchend.
»Ihr benehmt euch immer unpassend! Eben seid ihr wie toll in den Salon gestürzt, ein wahrer Skandal!«
Die vier Schuldigen wagten nichts zu erwidern. Wera, mit dem Tintenfass in der Hand, zögerte noch, sich zu entfernen.
»Was für Geheimnisse könnt ihr in eurem Alter haben? Das ist lächerlich, nichts als Dummheiten!«
»Was geht's dich an, Wera? Es ist wirklich unerträglich!« rief Natalie zornig aus. »Du wirst uns nie verstehen, nie, denn du hast niemals geliebt! Du hast kein Herz und liebst nur, andere zu ärgern! Du verstehst nichts, als mit Berg zu kokettieren.«
»Nun, ich wenigstens bin noch keinem jungen Manne nachgelaufen!«
»Sehr gut«, mischte sich Nikolai ein. »Du hast deinen Zweck erreicht, uns mit deinen Sottisen zu verfolgen. Wir wollen uns in das Schulzimmer flüchten.«
Die beiden Pärchen erhoben sich und verschwanden wie aufgescheuchte Schwalben.
Wera trat an den Spiegel, um ihre Schärpe und ihre Frisur zu ordnen, und der Anblick ihres hübschen Gesichts gab ihr ihren gewöhnlichen Gleichmut wieder.
Das Gespräch der beiden Freundinnen im Salon war sehr intim.
»Ach, meine Liebe«, sagte die Gräfin, »in meinem Leben ist auch nicht alles rosig! Wenn es weiter so geht wie jetzt, wird unser Vermögen bald verschwunden sein. Und was ist schuld? Seine Gutmütigkeit und der Klub. Aber ich wundere mich, wie du in deinem Alter imstande bist, nach Moskau, nach Petersburg zu reisen, zu allen Ministern, zu allen großen Herren zu gehen, und wie du jeden zu nehmen weißt. Nun, was hast du ausgerichtet?«
»Ach, meine gute Seele, Gott möge dich immer davor bewahren, zu empfinden, was es heißt, Witwe zu sein, ohne Stütze, mit einem angebeteten Sohn! Für ihn unterwirft man sich allem. Mein Prozeß war eine harte Schule. Wenn ich einen dieser großen Herren nötig habe, so schreibe ich: Die Fürstin D. wünscht Herrn ** zu sprechen, und dann fahre ich in einem Mietwagen einmal, zweimal, viermal hin, bis ich erlange, was ich nötig habe. Was man von mir denkt, ist mir ganz gleichgültig.«
»An wen hast du dich denn wegen Boris gewendet? Denn jetzt ist er doch schon Gardeoffizier, während Nikolai erst Junker ist. Für ihn hat sich niemand gerührt. An wen hast du dich denn gewandt?«
»An den Fürsten Wassil, und er war sehr liebenswürdig und hat mir sogleich versprochen, mit dem Kaiser zu sprechen«, erwiderte die Fürstin lebhaft, welche die neulichen Demütigungen schon vergessen hatte.
»Ist er sehr gealtert, der Fürst Wassil? Ich habe ihn lange nicht gesehen, er wird mich schon vergessen haben, obgleich er mir früher den Hof machte.«
»Er ist immer derselbe, liebenswürdig und galant. Die hohe Stellung hat ihm nicht den Kopf verdreht. ›Ich bedaure, teuerste Fürstin‹, sagte er, ›daß ich nicht mehr Mühe für Sie aufzuwenden habe, Sie haben nur zu befehlen!‹ Es ist wirklich ein braver Mann und ein guter Verwandter! Du weißt, Natalie, wie sehr ich meinen Sohn liebe, für sein Glück würde ich alles tun! Aber meine Lage hat sich noch verschlimmert«, sagte sie traurig mit leiser Stimme, »mein unglücklicher Prozeß geht nicht vorwärts und richtet mich zugrunde! Nicht zehn Kopeken habe ich in der Tasche, wirst du es glauben? Ich weiß nicht, wie ich Boris ausrüsten soll!«
Sie zog das Taschentuch heraus und begann zu weinen.
»Ich brauche fünfhundert Rubel, meine Situation ist schrecklich! Meine einzige Hoffnung ist der Graf Besuchow; wenn er seinem Taufsohn Boris nicht zu Hilfe kommen will, ist alle meine Mühe verloren.«
Die Augen der Gräfin wurden feucht und sie versank in Nachdenken.
»Wie oft denke ich an das einsame Leben, das Graf Besuchow führt«, fuhr die Fürstin fort. »Und dabei hat er solch ein kolossales Vermögen. Wozu lebt er, frage ich mich, ihm ist das Leben zur Last, während Boris noch jung ist …«
»Gewiß wird er ihm etwas vermachen.«
»Daran zweifle ich, teuerste Freundin! Große Herren sind so egoistisch! Aber ich werde ihn mit Boris besuchen und ihm erklären, um was es sich handelt. Jetzt ist's zwei Uhr«, sagte sie, sich erhebend, »und man speist um vier Uhr, ich habe noch Zeit.«
Die Fürstin ließ ihren Sohn rufen.
»Auf Wiedersehen, meine Freundin!« sagte sie zur Gräfin, welche sie bis ins Vorzimmer begleitete. »Wünsche mir Erfolg!«
»Sie wollen zum Grafen Besuchow, ma chère?« rief der Graf ihr nach. »Wenn er sich besser befindet, so laden Sie Peter zum Diner ein! Früher kam er oft und tanzte mit den Kindern. Nehmen Sie ihm das Versprechen ab, ich bitte Sie.«
15
»Lieber Boris«, sagte die Fürstin zu ihrem Sohn, während der Wagen, welchen die Gräfin Rostow ihr zur Verfügung gestellt hatte, vor Besuchows Palais vorfuhr, »sei klug! Er ist dein Taufpate und deine Zukunft hängt von ihm ab! Vergiß das nicht. Sei höflich und angenehm, wie du es verstehst, wenn du willst.«
»Ich möchte nur sicher sein, daß es nicht wieder auf eine neue Demütigung hinausläuft«, erwiderte er kühl.
Mutter und Sohn lehnten es ab, sich anmelden zu lassen und traten in die Vorhalle ein, welche mit zwei Reihen von Statuen in Nischen geschmückt war. Der Portier musterte sie vom Kopf bis zu den Füßen, sein Blick blieb auf dem abgetragenen Mantel der Mutter haften. Dann fragte er, ob sie wegen der jungen Fürstinnen oder zum Grafen gekommen seien. Als er hörte, daß sie den Grafen zu sprechen wünschten, beeilte er sich zu erklären, Seine Exzellenz empfange niemand bei seinem leidenden Zustand.
»Gehen wir wieder«, sagte Boris französisch.
»Mein Freund«, erwiderte die Mutter in bittendem Tone, indem sie ihn am Arm berührte.
Boris schwieg. Die Fürstin wandte sich in freundlichem Tone an den Portier: »Ich weiß, daß der Graf sehr krank ist, und deswegen bin ich eben gekommen! Ich bin mit ihm verwandt und werde ihn nicht stören! Ich will nur den Fürsten Wassil sprechen, ich weiß, daß er hier ist. Bitte, gehe und melde uns an!«
Mürrisch zog der Portier die Klingel.
»Die Fürstin Drubezkoi läßt sich bei dem Fürsten Wassil anmelden!« rief er einem Diener zu, welcher unter dem Gewölbe der Treppe hervorsah.
Die Fürstin ordnete die Falten ihres Kleides, warf einen Blick in den großen venezianischen Spiegel an der Wand und setzte entschlossen ihr abgetragenes Schuhwerk auf den kostbaren Teppich, der die Treppenstufen bedeckte.
»Ich habe dein Versprechen, mein Lieber«, sagte sie französisch zu ihrem Sohne.
Ein alter Kammerdiener erhob sich bei ihrer Annäherung. Eine der zahlreichen Flügeltüren öffnete sich und der Fürst Wassil trat heraus in seinem Samtrock mit nur einem Orden, was bei ihm Haustoilette war. Er begleitete einen hübschen Herrn mit schwarzen Haaren, den Doktor Lorrain.
»Und das ist ganz sicher?« fragte der Fürst.
»Errare humanum est«, erwiderte der Doktor, welcher das Lateinische auf französische Weise aussprach.
»Gut, gut«, erwiderte Fürst Wassil. Als er die Fürstin