ZU HASS ERZOGEN - rebelliert - IN LIEBE AUFGENOMMEN. Stephane Rambicourt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stephane Rambicourt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752912906
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Aus dem mürrischen Steirer wurde mit den ersten Sonnenstrahlen wieder der weltoffene „Südländer“.

      Deutschlandsberg, unweit der Grenze zu Slowenien gelegen, hat knapp 11.000 Einwohner, eine außerordentlich schöne Landschaft mit Bergen, Burgen, Schlössern, Weinbergen, großen Obstplantagen und natürlich fehlen auch die großen für die Steiermark typischen Kürbisfelder und die riesigen Maisfelder nicht.

      Eben an diesen Maisfeldern musste Alexandre Meijer mit seinen beiden Cousinen Ilse und Resi vorbeiradeln um zum nächsten Freibad in Gams zu kommen.

      Hoppla, ein kleiner Fauxpas meinerseits, fast hätte ich vergessen mich ihnen vorzustellen.

      Mein Name ist Alexandre Meijer und ich bin heute, im April 1971, siebzehn Jahre alt. Ich lebe seit einigen Jahren in einem kleinen elsässischen Dorf, in der Nähe der Hauptstadt Europas, Strasbourg, bei meiner Oma Else. Eigentlich stimmt das nicht so wirklich. Meine „Oma Else“ ist, ich muss sagen leider, nicht meine leibliche Oma. Oma Else heißt mit vollem Namen Else Meijer. Sie ist für mich eine richtige Bilderbuchoma geworden und ich liebe sie mehr als meine, sagen wir mal gesetzliche, Familie.

      Ich bin im deutschen, genauer im badischen, Karlsruhe geboren worden. Zu meinen gesetzlichen Eltern, also meinen Erzeugern, hatte ich eine ganz extrem schlechte Beziehung und bin deshalb vor ein paar Jahren von dort abgehauen.

      Meine Kindheit habe ich bei meinen Erzeugereltern verbracht. In der Zeit meiner Kindheit hatte ich die Auffassungen des Vaters und der Mutters als normal empfunden. Erst mit der Zeit fiel mir immer mehr auf, dass ich eigentlich dressiert oder gar abgerichtet werde. Widerspruch wurde nicht geduldet und endete grundsätzlich mit dem Ledergürtel in der Hand des Vaters oder dem Rohrstock der Mutter, die damit jeden Körperteil meines noch sehr jungen Körpers trafen. Sogar das reden mit ausländisch aussehenden Menschen oder mit Personen, die eine andere politische Meinung vertraten als meine Eltern, hatten heftige Schläge zur Folge.

      Fatal wurde es jedoch, als der stellvertretende Rektor meiner Schule, in den Stadtrat gewählt wurde. Erst später stellte ich fest, dass der als Kommunist bezeichnete Mann, nur als Mitglied der Sozialdemokraten gewählt wurde. Die Folge war ein zunächst verbaler Kleinkrieg zwischen Vater und Lehrer. Als der Lehrer aber plötzlich nicht mehr in die Schule kam, weil er auf das Übelste zusammengeschlagen wurde, begann langsam mein Gehirn an zu arbeiten.

      Einen weiteren beispielhaften Zwischenfall gab es, als ich vor dem Haus von einem sehr freundlichen jungen, aber farbigen Mann nach der Uhrzeit gefragt wurde. Meine Mutter erschien mit einem dicken Holzknüppel und schlug auf den Mann ein.

      Gott sei Dank bekam ich in der Schule einen Deutsch-Lehrer, Herrn Groß, dem ich noch heute dankbar bin, dass er mir Werte wie Respekt und Toleranz vermittelt hat. Er war es dann auch, der mir die mir eigentlich verbotenen Bücher von Hermann Hesse (wie z.B. Steppenwolf oder das Glasperlenspiel), Thomas Mann oder Siegfried Lenz zum lesen gab. Besonders die Bücher von Hermann Hesse haben mich im Alter von elf Jahren sehr inspiriert und nachdenklich gemacht; ich konnte sie ja leider nur nachts unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe lesen.

      Besonders eine Stelle in Hermann Hesses „Steppenwolf“ ist mir immer im Gedächtnis geblieben:

      „...Ein Mensch, der fähig ist, Buddha zu begreifen, ein Mensch der eine Ahnung hat von den Himmeln und den Abgründen des Menschentums, sollte nicht in einer Welt leben, in welcher common sense, Demokratie und bürgerliche Bildung herrschen. Nur aus Feigheit lebt er in ihr, und wenn seine Dimensionen ihn bedrängen, wenn die enge Bürgerstube ihm zu eng wird, dann schiebt er es dem –Wolf- in die Schuhe und will nicht wissen, dass der Wolf zuzeiten sein bestes Teil ist. ...“

      War es der Reiz des Verbotenen, oder war dies der erste Aufstand gegen meine biologischen Erzeuger? Ich weiß es nicht, vielleicht war es auch mein innerer „Wolf“.

      Eines weiß ich sicher, dass Hermann Hesses Bücher in unserer Familie strengstens und massiv verboten waren. In den Augen meiner Eltern war das entartete Kunst. Mit dem Begriff konnte ich damals allerdings noch nicht besonders viel anfangen. Erst später ging mir ein Licht auf. Nein eigentlich war es ein ganzer Kronleuchter, der mir aufging.

      Ab dieser Zeit ließ ich mich nicht mehr von meinen Eltern dressieren und abrichten. Und dank meines Deutschlehrers ging ich auf Konfrontation, zeigte den „Wolf“ in mir. Dabei war es mir egal, dass ich körperlich immer den Kürzeren zog und grün und blau geschlagen zur Schule gehen musste. Intellektuell sah ich mich aber vollkommen im Recht und wusste, dass meine Stunde kommen wird.

      Ich kann mich auch an die vielen Besucher in unserem Haus sehr gut erinnern, weil diese aus aller Welt kamen und mit denen mein Erzeuger oft über meine Aufmüpfigkeit sprach. Tenor war immer “Du musst ihn auf Kurs bringen“, oder auch „schick ihn mir mal nach Argentinien. Ich bekomme den schon auf Kurs.“

      Auch zu meinen Geschwistern, Hedwig und Marius, habe ich gar keinen Kontakt, aber das ist mir ganz recht so. Für die bin ich bestimmt ein Spinner und linker Quertreiber. Meine Eltern hatten das zumindest von mir immer behauptet.

      Die schlechte Beziehung zu meinen Eltern, ganz besonders zu meinem Vater, rührt nicht aus seiner Brutalität mir gegenüber, sondern aus dessen Vergangenheit aus der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Rolle, die er in dieser Zeit einnahm und sogar heute noch in gewissen Kreisen einnimmt. Ich konnte diese Vergangenheit durch Fotografien, Briefe und natürlich auch Lauschaktionen in einer jugendlichen Detektivarbeit für mich aufdecken. Dass diese Rolle sein und auch mein Leben bis heute beeinflusst und prägt oder geprägt hat ist mir vorher nie aufgefallen, aber eine Realität.

      Mag wohl daran liegen, dass ich mich dank meines Deutschlehrers zu einem kritischen Menschen entwickelt habe, gegen den erklärten und schlagkräftig bekundeten Willen meines Vaters und meiner Mutter. Ich möchte hier an dieser Stelle nicht weiter auf seine Rolle in der Zeit zwischen 1940 und 1945 eingehen, die auch die NS-Vergangenheit meiner Mutter betraf. Der geneigte Leser kann sich aber sicherlich denken welche Rolle er wohl eingenommen haben könnte.

      Mein endgültiger Widerstand gegen meine Familie und Bruch der Beziehungen begann eigentlich damit, dass mir zufällig aufgefallen ist, dass mein „Erzeuger“ einen anderen Nachnamen hatte, als sein Bruder in Deutschlandsberg, der Brunner heißt. Nachfragen nach dem Grund blieben, mit schlagkräftigen Argumenten – ist Schlagen ein Argument? Nein, ist es nicht - unbeantwortet.

      Ein sehr weiser Mann sagte einmal zu mir, als ich ihm erzählte, dass ich die Vergangenheit meiner Eltern erforschen und für mich aufarbeiten möchte: „Bua, lass den Geist ruhen. Es hilft heute niemandem mehr, wenn du was heraus bekommst. Und vielleicht wird dir das nicht sehr gefallen, was du da heraus bekommst“.

      Nun, als sehr wissensdurstiger junger Mensch habe ich den Geist ruhen lassen, aber erst als ich herausgefunden hatte, was ich wissen wollte. Und ehrlich, es hat mir nicht wirklich gefallen, was da zum Vorschein gekommen ist.

      Die Folge, als ich zwölf sehr aufmüpfige Jahre alt war, trat der „Wolf“ in mir, um in der Sprache von Hermann Hesse zu bleiben, hervor. Ergo, war der sofortige Abbruch sämtlicher Verbindungen zu meiner gesetzlichen Familie für mich der einzige Ausweg.

      Mein heimlicher „Auszug“ aus dem elterlichen Haus, richtig ausgedrückt, bin ich abgehauen, geflohen und nach tagelangem umherstreunen, in einem alten Heuschober im Elsass gelandet, der meiner heutigen, von mir adoptierten, „Großmutter“ gehörte. Sie hat mich gefunden, aufgepäppelt (klar nach einigen Tagen ohne Essen oder Trinken) und nachdem sie meine Geschichte kannte, bei sich behalten und zu einem aufgeschlossenen, toleranten jungen Menschen erzogen.

      Seit diesem Tag ist sie meine geliebte Oma Else.

      Oma Else war damals bereits sechzig Jahre alt und bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof mit einer kleinen Milchwirtschaft und Tabak- und Maisfeldern, von denen sie gut leben konnte. Ich half ihr und helfe ihr noch heute natürlich sehr gerne tatkräftig bei der Arbeit. Sie hat zwei Töchter die knapp zehn Jahre älter waren als ich.

      Ihr Ehemann Francois verstarb an einer Krebserkrankung.

      Während