Die anderen beiden schlagen sich lachend auf die Schenkel.
Angestachelt von seinen Freunden, versucht der Gruppenkasper noch einen draufzulegen. „Geht mal wieder eine Brikettlieferung nach Afrika?“, brüllt er und deutet auf die Seekiste.
Wieder brechen seine Kumpane in schallendes Gelächter aus.
Aus einem Impuls heraus mache ich Anstalten, die Straße zu überqueren, doch Sirko hält mich mit einem festen Griff um den Oberarm zurück. Es sind bereits weitere Männer und Frauen im Anmarsch. „Das könnte gefährlich werden.“, raunt mein Freund mir zu.
Mir behagt es gar nicht, einfach nur so dazustehen und dem Geschehen zuzuschauen, aber Sirko hat recht. Wenn ich jetzt eingreife, mache ich es für den Mann nicht besser und für mich nur schlimmer. Zwei Frauen gehen mit gesenkten Köpfen an den Pöblern vorbei, ein paar Leute bleiben aber stehen und stimmen in das Gelächter ein. Die drei Krawallbrüder fühlen sich dadurch erst recht ermuntert, weiter zu machen. Mit Gesten, als würden sie eine Hühnerschar vor sich hertreiben, rufen sie „Husch, husch!“ und nicken immer wieder Richtung Kiste. „Verschwinde hier, du Drecksau!“, brüllt ein Mann aus der inzwischen auf zwei Dutzend angeschwollenen Menge.
„Und komm erst wieder, wenn du dich ordentlich gewaschen hast.“, ruft eine Frau und erntet dafür einige Lacher.
„Richtig so!“, brummt eine tiefe Stimme direkt neben uns. Erschrocken zucken wir zusammen. Auch auf unserer Straßenseite hat sich inzwischen ein kleiner Auflauf gebildet. Zwei ältere Männer stehen, die Hände in den Jackentaschen, direkt neben mir und schauen dem Treiben aufmerksam zu. „Die Briketts sind die faulsten Schweine überhaupt.“, meint der kleinere der beiden, dessen besonderes Markenzeichen ein überdimensionaler, vom Rauchen gelblich verfärbter Schnauzbart ist.
„Führen sich auf, als wären sie die Allergrößten.“, stimmt ihm sein dicker Begleiter zu.
Der Afrikaner auf der anderen Straßenseite hat endlich einen Ausweg entdeckt und flüchtet vor der zunehmend aggressiver werdenden Menge in Richtung eines Hauseingangs. Hinter der Tür wartet bereits einer seiner Landsleute, bereit, die verschlossene Pforte für seinen in Bedrängnis geratenen Leidensgenossen zu öffnen. Begleitet wird der Flüchtende bei seinem Spurt von Affenlauten und Beschimpfungen.
„Erst uns die Weiber alle wegnehmen und dann den Schwanz einziehen!“, schreit der Mann, von dem die ganze Randale ausgegangen war, hinter ihm her.
„Haut bloß dahin ab, wo ihr hergekommen seid!“, schallt es aus der Menge.
„Das Moped bleibt aber hier!“, verkündet einer der Pöbler und schiebt es unter dem lauten Jubel der Umstehenden die Straße hinab.
„Das ist doch Diebstahl.“, sagt eine hagere Frau und schüttelt erschüttert den Kopf.
Die beiden Männer neben mir drehen sich entrüstet zu ihr um. „Sind sie auch so eine Negerfickerin, was?“, raunzt der Schnurrbart sie an.
„Ich darf doch wohl bitten!“, regt sich die Frau auf.
„Horst, lass sie!“, versucht der dicke Mann, den Streit im Keim zu ersticken. Dann wendet er sich an die Frau. „Es kann kein Diebstahl sein, weil das ein in der DDR gefertigtes Produkt ist. Wenn die Ausländer meinen, sie könnten hier her kommen und sich alles unter den Nagel reißen, was nicht festgeschraubt ist, dann haben sie sich geschnitten. Wir lassen uns doch von den Negern nicht ausbeuten.“
Zustimmendes Gemurmel um uns herum zeigt an, dass er die Meinung der Mehrheit ausspricht.
Ich bin so geschockt, dass mir für einen Augenblick schwindelig wird. Wie durch einen Schleier sehe ich, wie zwei vietnamesische Frauen mit Einkaufsbeuteln um die Ecke kommen und abrupt stehen bleiben. Schleunig drehen sie sich um und eilen davon, aber die Menge vor dem Haus hat sie schon gesehen. Einige Jugendliche nehmen die Verfolgung auf.
Meine Sinne müssen mir einen üblen Streich spielen, denn für einen Moment sehe ich Falk Leuschner und Robert unter den Jungs, die den beiden Vietnamesinnen mit wilden Beschimpfungen hinterherstürmen.
„Noch so ein Beispiel.“, verkündet Horst mit dem Schnauzbart selbstgefällig. „Die kaufen uns die ganzen Läden leer.“ Dabei deutet er in Richtung der geflohenen Vietnamesinnen.
„So ein Quatsch.“, widerspricht ihm eine dicke Frau. „Fast alle Läden haben inzwischen Mengenbegrenzungen für die Ausländer eingeführt. Bei uns zum Beispiel kriegen die nicht mehr als eine halbes Kilo Fleisch.“
„Und wer bitte braucht ein halbes Kilo Fleisch?“, kommt der Dicke seinem schnurrbärtigen Freund zu Hilfe.
„Genau!“, stimmt ihm ein Mann weiter hinten zu. „Die sollten gar nichts zu Essen mehr bekommen.“
„Das Viehzeug muss ausgerottet werden, und zwar schnell.“, wagt sich eine Frau aus der Deckung.
Allmählich droht die Stimmung in offene Gewaltbereitschaft umzuschlagen. Während die Menge langsam nach links abdriftet, wohl um der Neugier Herr zu werden, was aus dem Einkauf der beiden Vietnamesinnen geworden ist, zerrt Sirko mich in die andere Richtung. Erst als wir außer Sichtweite des Pöbels gelangt sind, lässt er mich los und bleibt stehen.
„Sag mal, hab ich das eben richtig gesehen?“, fragt er mich fassungslos.
„Was genau?“, will ich wissen.
„Robert?“, platzt es aus ihm heraus.
Also war es doch keine Sinnestäuschung. Ich schüttle entgeistert den Kopf. „Letztes Jahr hat er sich von ihnen noch Hosen nähen lassen und heute jagt er sie durch die Straßen?“
„Voller Dachschaden!“, meint Sirko tonlos und verabschiedet sich. Ich schaue ihm nach, wie er mit bleischweren Schritten die Straße hinunterstapft und immer mehr mit dem Hintergrund des trostlosen Plattenbaumeeres verschwimmt.
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