Am anderen Ende der Welt. Isabel Lüdi-Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isabel Lüdi-Roth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753122489
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Siehst du, lesen lernen lohnt sich ...

       Dank

      Mein allergrößter Dank geht an meinen Daddy im Himmel! Ohne dich hätte ich dieses Projekt nie gewagt. Du hast mich während des Schreibens begleitet, gelehrt, inspiriert, herausgefordert und mit deiner Liebe erfüllt!

       Vielen Dank euch allen!

      

      

       Kapitel 1 : Neu(see)land

      Die Warteschlange vor der Zollkontrolle schien kein Ende zu nehmen. Ben schaute zum wiederholten Mal auf die große Uhr an der Wand, doch die Zeiger schienen stillzustehen. Vier Uhr nachmittags. Es waren weit über 24 Stunden vergangen, seit er die Schweiz in Richtung Neuseeland verlassen hatte. Er war müde und erschöpft. Er hatte auf den zwei Flügen kaum geschlafen, in seinem Kopf tickte noch die Schweizer Zeit, für ihn war es also nun vier Uhr morgens.

      Die neuseeländischen Zöllner nahmen ihren Job ernst, sie hatten es regelrecht auf die Einreisenden aus Übersee abgesehen. Hunde beschnupperten jedes Gepäckstück auf der Suche nach Fleisch, Obst und anderen «gefährlichen» Dingen.

      Ben schüttelte den Kopf und setzte sich genervt auf seine dicke Reisetasche. Darin befanden sich alle Habseligkeiten, die er für die nächsten Monate brauchen würde. Er wusste noch nicht einmal, wo er die erste Nacht am anderen Ende der Welt verbringen würde. Seine Reise glich schon fast einer Flucht. Er hatte genug von seiner kleinkarierten Familie, vor allem von seinem strengen Vater, der unbedingt wollte, dass er endlich studierte. Er selbst hatte ganz andere Pläne für sein Leben.

      Nicht dass er einem Studium grundsätzlich abgeneigt war, aber auf jeden Fall kam es für ihn im Moment nicht in Frage. Er liebte körperliche Arbeit, Abenteuer und die Natur. Deshalb hatte er die letzten eineinhalb Jahre nach der Matura in einer Zimmerei mitgearbeitet, was ihm viel Spaß gemacht hatte. Natürlich zum Missfallen seines Vaters.

      Um seinem Elternhaus so weit wie möglich zu entkommen, hatte er sich kurzerhand entschieden, nach Neuseeland abzuhauen. Er hatte im Sinn, etwas herumzureisen und sich einen Job zu suchen,

      zum Beispiel auf einer Farm, die es in Neuseeland zur Genüge gab. Er hatte sich ein Visitor Visa erworben, das neun Monate gültig war. Während dieser Zeit, so hatte er sich erkundigt, könnte er auch einen Statuswechsel vornehmen. Wer eine Arbeitsstelle gefunden hatte oder ein Studium begann, konnte vor Ort bei der nächsten Zweigstelle von Immigration New Zealand ein Studentenoder Arbeitsvisum beantragen.

      Endlich war er an der Reihe. Zwei Hunde stürzten sich auf sein Gepäck und ein bullig aussehender Angestellter fummelte doch tatsächlich den Dreck aus dem Profil seiner Trekkingschuhe, die Ben vorher aus den Tiefen seiner Tasche hatte hervorkramen müssen.

      Neuseeland als isolierter Inselstaat versuchte vehement zu verhindern, dass Schädlinge oder Krankheiten aus anderen Ökosystemen eingeschleppt – oder dass fremde Samen aus Bens mit Erde gefüllten Schuhrillen eingeführt wurden. Er hatte vergessen, sie vor dem Flug noch zu putzen, ein Versäumnis, das unangenehme Konsequenzen haben könnte. Deshalb atmete er nach beendeter Kontrolle erleichtert aus. Weder Hund noch Mensch hatten etwas Verbotenes bei ihm nachweisen können.

      Er bahnte sich zügig einen Weg aus dem Flughafengebäude. Draußen herrschten schönster Sonnenschein und angenehme 25 Grad, es war Ende Januar und hier in Auckland war es gerade Sommer – herrlich!

      Es gelang Ben schnell, eine Backpacker-Herberge in der Nähe zu finden, wo er sich müde, aber sehr erleichtert in seinen Kleidern aufs Bett warf und augenblicklich in einen tiefen Schlaf fiel.

      Als er erwachte, war es draußen stockdunkel. Er musste sich einige Stunden gedulden, bis der Aucklander Morgen begann und er einen Gebrauchtwagenhändler aufsuchen konnte. Er wollte sich ein günstiges Auto kaufen, um damit Neuseeland zu erkunden. Tatsächlich wurde er schnell fündig, und die Abwicklung des Geschäfts lief, verglichen mit Schweizer Verhältnissen, sehr unkompliziert ab. Nun war es sein nächstes Ziel, die Metropole möglichst schnell hinter sich zu lassen. Er mochte Großstädte nicht und sehnte sich nach der zum Teil noch fast unberührten wilden Natur Neuseelands, von der er gelesen hatte.

      Er besaß mit seinen 20 Jahren erst seit einigen Monaten den Führerschein, den hatte er sich mit seinem Lohn von der Zimmerei geleistet. Er war es überhaupt nicht gewohnt, in einer Großstadt zu fahren, und schon gar nicht auf der linken Straßenseite auf mehrspurigen Autobahnen. Er war sehr erleichtert, als er dieses erste Abenteuer geschafft hatte.

      Bei der nächstbesten Gelegenheit fuhr er außerhalb der Stadt an den Straßenrand und stieg aus seinem ersten eigenen Auto. Überwältigt ließ er seinen Blick über die grasbewachsenen Hügel und den Sandstrand schweifen, der hier vulkanig schwarz war. Beachtlich große Wellen ergossen sich in regelmäßigen Abständen tosend über den grobkörnigen Sand. Wilde Schönheit!

      Ben schloss die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht und den Wind, der ihm einen herrlich fremden Geruch von Meer und Abenteuer entgegenblies. Dann ließ er sich wieder in den Autositz fallen und studierte seinen Reiseführer, um herauszufinden, wo er ungefähr hinfahren wollte. Er entschied sich, zuerst einmal ganz in den Norden der Nordinsel zu reisen.

      Neuseeland bestand aus zwei Hauptinseln und mehreren kleineren Inseln. Das Klima in Neuseeland zerfiel in zwei Zonen. Der Norden der Nordinsel lag in den Subtropen. Hier herrschten milde Winter und relativ warme Sommer. Der Südteil der Nordinsel sowie die gesamte Südinsel befanden sich in der gemäßigten Klimazone, wobei die Temperaturen nach Süden hin immer weiter abnahmen.

      Ben wusste noch nicht, wo er die nächste Nacht verbringen wollte. Er fuhr aufs Geratewohl nordwärts und staunte über die üppige Natur. Er ging die Reise gemütlich an und gönnte sich immer wieder Stopps an Orten, die ihm gefielen.

      Nach knapp dreistündiger Fahrt entschied er sich, dass er als Nächstes einen Strand ansteuern wollte, der im Reiseführer unter dem Titel Tips from locals empfohlen wurde. Anschließend würde er sich langsam eine Unterkunft suchen müssen. Er war müde vom Fahren in diesem völlig fremden Land mit Linksverkehr, auch der Jetlag machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hatte.

      Vom Parkplatz aus musste man laut Reiseführer eine gute halbe Stunde über Steine und Felsen klettern, weshalb der Strand meist menschenleer war. Genau das wünschte sich Ben jetzt – einen unberührten, einsamen Strand. Er fand den Parkplatz sofort und war froh, dass kein anderes Auto dort parkte. So gehörte ihm der Strand für heute hoffentlich alleine.

      In der Schweiz war Ben oft in den Bergen unterwegs gewesen, er liebte das Klettern und Wandern, am liebsten abseits der Wege. Nun schlüpfte er gespannt in seine Trekkingschuhe und machte sich auf den Weg.

      Unerwarteterweise kam er jedoch bald ins Schwitzen. Er spürte deutlich, dass sein Körper die lange Reise, den Schlafmangel und die Zeitumstellung noch nicht ganz verarbeitet hatte. Zudem war er vom Schweizer Winter in den Neuseeländer Sommer gereist, der Temperaturunterschied war gewaltig. Erst vor wenigen Tagen war er bei Minustemperaturen auf einer Skitour mit Freunden unterwegs gewesen. Nun kletterte er bei 25 Grad über neuseeländische Felsen. Es ärgerte ihn, dass sein Körper sich dagegen zu wehren schien. Er war doch keine Memme, es konnte einfach nicht sein, dass er nach ein paar Felsblöcken schlappmachte! Er biss sich auf die Lippen und riss sich zusammen, als müsste er einen Wettlauf gewinnen.

      Nach etwa 20 Minuten war er ziemlich außer Atem und stolperte einige Male. Doch anstatt sich kurz auszuruhen, trieb er sich selbst noch heftiger an. Plötzlich rutschte er auf einer sandbedeckten Felsplatte aus. Er versuchte sich noch abzufangen, fand jedoch keinen Halt und knallte hart mit dem Hinterkopf auf einen vorstehenden Stein. Er fühlte einen dumpfen Schmerz, bevor er für kurze Zeit das Bewusstsein verlor.

      Stella war den ganzen Tag von morgens früh an alleine für die vier Kinder ihrer Tante Julia zuständig gewesen. Die zwei Mädchen, die neunjährige