Unser menschliches Leben ist auch insofern sehr selten, als jeder von uns nur eines hat. Wir können viele Bücher, viele Kleider, viele Häuser besitzen – aber niemand kann mehr als ein menschliches Leben haben. Wenn wir es verlieren, können wir kein weiteres leihen. Außerdem schwindet dieses eine menschliche Leben, das wir jetzt haben, mit jedem Moment.
WIE WIR DIE SELTENHEIT UNSERES KOSTBAREN MENSCHLICHEN LEBENS DURCH EINEN VERGLEICH ERKENNEN
In einem Sutra fragt Buddha Shakyamuni seine Schüler: «Angenommen es gibt einen weiten und tiefen Ozean, der so groß ist wie diese Welt, und auf seiner Oberfläche treibt ein goldenes Joch; und auf dem Grund des Ozeans lebt eine blinde Schildkröte, die nur einmal alle hundert Jahre an die Oberfläche kommt. Wie oft wird diese Schildkröte ihren Kopf durch die Mitte des Jochs stecken?» Ananda antwortete, dass es in der Tat äußerst selten vorkommen würde.
Wir sind genau wie diese blinde Schildkröte, denn obwohl unsere physischen Augen nicht blind sind, sind es unsere Weisheitsaugen. Der weite und tiefe Ozean ist der Ozean Samsaras. Die blinde Schildkröte, die sich auf dem Grund des Ozeans aufhält, ist mit unserem Verbleiben in den niederen Bereichen Samsaras vergleichbar, aus denen wir nur einmal alle hunderttausend Jahre in die glücklichen Bereiche auftauchen. Das goldene Joch ist wie der Buddhadharma, der nicht an einem Ort bleibt, sondern von einem Land zum anderen geht. So wie Gold kostbar und selten ist, so ist der Buddhadharma kostbar und sehr schwer zu finden. In den meisten unserer früheren Leben sind wir auf dem Grund des weiten und tiefen Ozeans Samsaras, in den niederen Bereichen, geblieben. Nur sehr selten sind wir als Menschen wiedergeboren worden und selbst mit einem menschlichen Leben ist es äußerst selten, dem Buddhadharma zu begegnen.
WIE WIR DIE SELTENHEIT UNSERES KOSTBAREN MENSCHLICHEN LEBENS ZAHLENMÄSSIG ERKENNEN
Schädliche Handlungen, die die Ursache für eine niedere Wiedergeburt sind, sind viel leichter zu begehen als tugendhafte Handlungen, und so sind diejenigen, die in den niederen Bereichen geboren werden, viel zahlreicher als diejenigen, die als Menschen oder Götter geboren werden. Von allen Existenzzuständen hat die Hölle die höchste Zahl. Es werden weniger Wesen als hungrige Geister und noch weniger als Tiere geboren. Menschen sind seltener als Wesen, die in einem der drei niederen Bereiche geboren werden, und unter den Menschen haben nur sehr wenige ein kostbares menschliches Leben mit allen Freiheiten und Ausstattungen. Unter denjenigen, die ein kostbares menschliches Leben haben, praktizieren nur sehr wenige Dharma, und unter denjenigen, die Dharma praktizieren, praktizieren nur sehr wenige rein und gewinnen ein richtiges Verständnis und eine richtige Erfahrung. Wir haben vielleicht manchmal den Eindruck, dass es viele reine Dharma Praktizierende und viele Menschen mit Verwirklichungen gibt; aber wenn wir es prüfen, werden wir sehen, dass solche Wesen äußerst selten sind. Milarepa sagte einmal zum Jäger Gonpo Dorje: «Buddha sagte, dass ein menschliches Leben kostbar sei, doch ein menschliches Leben wie deines ist sehr gewöhnlich.» Unter denjenigen, die ein menschliches Leben haben, findet man häufig Menschen wie diesen Jäger, die ihre Möglichkeiten vollständig verschwenden und sie nur benutzen, um Ursachen für zukünftiges Unglück zu schaffen. Es ist hingegen schwierig, jemanden zu finden, der Dharma rein praktiziert.
Wenn wir über den großen Wert und die Seltenheit dieses kostbaren menschlichen Lebens meditieren, führen wir die analytische Meditation aus, durch die wir zu dem festen Entschluss gelangen, nicht einen Moment unseres menschlichen Lebens zu verschwenden und vollen Gebrauch davon zu machen, indem wir Dharma in die Praxis umsetzen. Wenn dieser Entschluss deutlich in unserem Geist entsteht, halten wir ihn als unser Objekt der verweilenden Meditation, um mehr und mehr damit vertraut zu werden.
Obwohl wir jetzt ein kostbares menschliches Leben mit allen Freiheiten und Ausstattungen haben, ist es möglicherweise immer noch schwierig für uns, Dharma rein zu praktizieren, weil uns vielleicht andere Freiheiten fehlen, wie die Zeit, uns dem Studium und der Meditation zu widmen. Man findet selten jemanden mit idealen Bedingungen, aber der ernsthafteste Hinderungsgrund für unsere spirituelle Entwicklung ist unser eigenes Scheitern, einen starken Wunsch zu entwickeln, die Praxis auszuüben. Je Tsongkhapa sagte, dass wir über vier Punkte meditieren sollten, um den Wunsch zu entwickeln, den vollen Nutzen aus diesem Leben mit all seinen Freiheiten und Ausstattungen zu gewinnen:
Ich muss Dharma praktizieren.
Ich kann Dharma praktizieren.
Ich muss Dharma in diesem Leben praktizieren.
Ich muss Dharma jetzt praktizieren.
Bevor wir den Wunsch entwickeln können, Dharma zu praktizieren, müssen wir die Notwendigkeit erkennen, Dharma zu praktizieren. Dazu meditieren wir:
Ich muss Dharma praktizieren, weil ich Glück erleben und Leiden vermeiden möchte und weil die einzige vollkommene Methode, die zu diesen Zielen führt, die Dharma Praxis ist. Dadurch werde ich all meine eigenen Probleme lösen und fähig sein anderen zu helfen.
Selbst wenn wir die Notwendigkeit verstehen, Dharma zu praktizieren, denken wir vielleicht immer noch, dass wir dazu nicht in der Lage sind. Um unser Zögern zu überwinden und uns davon zu überzeugen, dass wir mit Sicherheit fähig sind Dharma zu praktizieren, da wir alle notwendigen Voraussetzungen haben, meditieren wir:
Ich habe jetzt ein kostbares menschliches Leben mit allen Freiheiten und Ausstattungen, und ich habe alle notwendigen äußeren Voraussetzungen, wie einen voll qualifizierten spirituellen Meister. Es gibt keinen Grund, warum ich nicht fähig sein sollte Dharma zu praktizieren.
Selbst wenn wir die Notwendigkeit verstehen, Dharma zu praktizieren und uns dazu in der Lage fühlen, verschieben wir es vielleicht immer noch und denken, dass wir in irgendwelchen zukünftigen Leben praktizieren werden. Um diese Faulheit des Aufschiebens zu überwinden, müssen wir uns daran erinnern, dass wir in diesem jetzigen Leben praktizieren müssen, da es sehr schwierig sein wird, ein weiteres kostbares menschliches Leben zu erlangen.
Selbst wenn wir einsehen, dass wir in diesem Leben praktizieren müssen, haben wir vielleicht immer noch das Gefühl, dass unsere Praxis bis zu unserem Ruhestand verschoben werden kann. Um unsere Zufriedenheit zu überwinden, müssen wir uns daran erinnern, dass der Zeitpunkt des Todes höchst unsicher ist und dass daher die einzige Zeit für die Praxis genau jetzt ist.
Auf diese Weise gelangen wir zu vier festen Entschlüssen:
Ich werde Dharma praktizieren.
Ich kann Dharma praktizieren.
Ich werde Dharma in diesem jetzigen Leben praktizieren.
Ich werde Dharma genau jetzt praktizieren.
Diese vier Entschlüsse sind von unschätzbarem Wert, weil sie in uns ganz natürlich einen spontanen und beständigen Wunsch entstehen lassen, den vollen Nutzen aus unserem kostbaren menschlichen Leben zu ziehen. Dieser Wunsch ist unser bester spiritueller Meister, weil er uns entlang richtiger spiritueller Pfade führt. Ohne ihn werden uns auch noch so viele Ratschläge oder Ermutigungen von anderen nicht dazu bringen, Dharma zu praktizieren.
Aryadeva und Ashvaghosa waren einmal im Begriff, eine Debatte zu führen. Ashvaghosa stand auf der Türschwelle eines Raumes, mit einem Fuß drinnen und dem anderen Fuß draußen. Um Aryadevas Weisheit zu prüfen, sagte er: «Gehe ich hinaus oder komme ich herein?» Aryadeva sagte: «Das hängt von deiner Absicht ab. Wenn du hinausgehen möchtest, wirst du hinausgehen. Wenn du hereinkommen möchtest, wirst du hereinkommen.» Ashvaghosa wusste keine Antwort darauf, denn es war vollkommen richtig, was Aryadeva gesagt hatte.
Wenn wir gute Dinge begehren, werden wir tugendhafte Handlungen ausführen, und wenn wir schädliche Dinge begehren, werden wir nichttugendhafte Handlungen ausführen. Da unser Begehren so mächtig ist, ist es äußerst wichtig, nichttugendhafte Begehren aufzugeben. Wenn jemand