Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine von der Wellen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749048
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heute fühle ich dieses brennende Gefühl in mir, das sie beendet hatte, bevor wir dem ganz nachgegeben hatten. Sie kam mit fadenscheinigen, unsinnigen Ausflüchen, dass jemand uns sehen könnte und sie nicht verhüten würde.

      Als wenn mich das jemals interessiert hätte.

      Ich wollte ihr alles von mir geben. Ich war bereit für sie zu sterben. Aber sie dachte nur daran, ihre Hose zu verteidigen.

      Noch heute kann ich nicht fassen, dass sie so energisch geblieben war und ich mich aufhalten gelassen hatte. Ich glaube, es war ein Fehler gewesen, sie damit durchkommen zu lassen. Das hatte unser Schicksal gewendet, das sonst vielleicht anders verlaufen wäre. Mir sollte sich schließlich nie jemand widersetzen und sie schon gar nicht. Aber sie blieb erbarmungslos und ich hatte schwer damit zu kämpfen, das zu akzeptieren.

      Letztendlich tauschten wir unsere Handynummern aus … für den Notfall. Auch das wollte ich erst nicht, völlig gekränkt von ihrer Abfuhr. Als sie dann auf ihr Fahrrad stieg und mich ein letztes Mal ansah, blieb ich nur sitzen. Ich hatte zu sehr mit dem Gefühl zu kämpfen, dass sie mir ihre Zuneigung und ihren Körper eigentlich nicht verwehren durfte.

      Sie löste schon immer etwas in mir aus, dass ich nicht immer kontrollieren konnte. Aber ich hielt mich auch oft zurück, wo ich das nicht hätte tun sollen.

      Ich erinnere mich noch daran, dass ich in der darauffolgenden Nacht diesen erschreckenden Traum hatte, der wie eine Vorahnung war. Ich war darin in Wolfsburg und meine Mutter brachte mir jemanden in mein Zimmer. „Tim, du hast Besuch!“

      Sie trat zur Seite und Julian kam auf mich zu. Was meine Mutter sonst nie tat, in diesem Augenblick machte sie es: Sie ließ uns allein.

      „Ich habe Carolin und wenn du ihr helfen willst, kommst du besser mit mir mit“, hatte Julian zu mir gesagt und in mir eine entsetzliche Angst geschürt. Dennoch folgte ich ihm.

      An der Haustür trafen wir auf meine Mutter, die giftete: „Das hast du nun davon. Du wolltest nicht auf mich hören und jetzt bekommst du die gerechte Strafe dafür.“ Mit den Worten hatte sie die Tür aufgerissen und hinter uns wieder zugeschmissen. Das war für mich wie das Abschneiden zu der heilen Welt gewesen, in die ich nie wieder zurückkehren würde. Das hatte schon eine schreckliche Angst in mir geschürt, die aber noch getobt wurde.

      Ich weiß nicht genau, aber Julian und ich fanden uns plötzlich in einem Labor wieder. Dort stieß er mich vor ein Bett, auf dem Carolin festgebunden lag und sich nicht rührte.

      Ich war nicht fähig gewesen, mich gegen Julian zu wehren und sah mich deshalb sehr schnell an einen eingemauerten Eisenring gekettet, wie ich es in Filmen von Gefangenen in alten Kerkern aus dem Mittelalter gesehen hatte.

      Julian fauchte etwas von: „Sag mir die Formel, die aus Kurt Gräblers Labor stammt. Los, du Bastard! Ich brauche sie, um das Elixier fertig zu stellen. Er hat sie uns darin hinterlassen, damit wir sein Werk vollenden können. Also musst du sie haben. Wenn du es nicht tust, töte ich Carolin.“ Weil ich nicht antworten konnte, weil ich nichts von irgendwelchen Formeln wusste, hatte er das Messer auf ihre Brust gesetzt und zugestochen. Das war für mich so schrecklich und unerträglich gewesen, dass ich davon aufgewacht war.

      Heute weiß ich, dass dieser Traum in gewisser Weise eine Zukunftsvision war. Aber in dieser Nacht war er nur ein erschreckender Alptraum gewesen, der mich verängstigt und niederdrückt hatte. Deshalb hatte ich den folgenden Tag in meinem Zimmer gehockt, bis ich mich entschloss, zu Carolin zu fahren.

      Es war Abend und alles war schon in eine seichte Dunkelheit gehüllt, in der ich hoffte, dass Julian mich nicht sehen würde. Ich weiß noch, wie ich mich an mein Fahrrad gelehnt und zu den Fenstern hochgesehen hatte. Da ich nicht wusste, wo Carolins Zimmer war, hatte ich gewartet, bis ich sie an einem Fenster sah. An der Tür zu klingeln hätte ich nie und nimmer gewagt.

      Sie war am Telefonieren und sah aus dem Fenster, als hätte ich sie telepathisch gerufen. Es war wirklich verrückt. Und sie kam zu mir und zog mich in das Waldstück mit der Sandkuhle gegenüber ihrem Haus. Auch sie befürchtete, dass uns Julian sonst sehen könnte.

      Es war schrecklich dunkel und feucht in dieser Sandkuhle und nur das wenige Mondlicht hatte unseren Platz erhellt. Ich bin ein Stadtkind und solche Orte machen mir Angst. Niemals würde ich freiwillig im Dunkeln an so einen Ort gehen. Aber Carolin schien das nichts auszumachen.

      Ich wollte ihr eigentlich von meinem Traum erzählen. Aber sie kam mir zuvor und sagte etwas, was mich vollends aus der Bahn warf. „Julian weiß, wo das Labor in unserem Garten ist und ich glaube, dass Julians Vater auch deiner ist.“

      Es war nicht die Sache, dass Julian mein Bruder ist, die mich umhaute. Das ahnte ich schließlich schon die ganze Zeit. Aber dass er das Labor kannte, das er niemals hätte finden dürfen, ließ meine Welt einbrechen und meinen Traum zur bedrohlichen Realität werden.

      „Dann ist alles zu spät. Dann ist alles vorbei. Dann sind wir verloren!“, hatte ich resigniert geantwortet. Ich war mir sicher, dies war unser Todesurteil.

      „Tim, nein! Tim hör zu“, hatte Carolin mich aber versucht zu beruhigen. „Julian ist nicht nur mein Bruder, sondern auch deiner! Er wird uns nichts tun! Hörst du? Dein Vater ist auch seiner!“

      Das ich das schon wusste, wollte sie mir erst nicht glauben. Darum hatte ich ihr erklärt, dass Julian unserem Vater sehr ähnlich ist. „Julian sieht ihm weitaus mehr ähnlich als ich. Als ich bei meinem Vater war, dachte ich erst, er wäre der Mann aus meinen Träumen, zu dem Kurt Gräbler letztendlich wird. Aber dann sah ich Julian …“

      „Aber du hast nie etwas gesagt. Wenn du es doch wusstest, warum hast du mir nichts gesagt?“, hatte sie mir noch vorgeworfen, worauf ich erwidert hatte: „Ich ahnte es, aber ich wusste es nicht hundertprozentig. Aber nun fügt sich alles zusammen. Kurt Gräblers Blut fließt durch unser aller Adern. Aber Julian ist derjenige, der den größten Anteil Kurt Gräbler in sich trägt. Er ist der Alchemist, der uns töten muss, um wieder ein Ganzes zu werden.“

      Das sah ich an diesem Abend ganz klar. Ich war mir sicher, dass der Alchemist sich zwar nicht am Leben erhalten hatte, aber sich in uns und in diese Zeit hinübergerettet hatte. Er wollte nun wieder eins werden und sein eigenes Leben führen.

      Wie recht ich damit hatte, sollte sich aber erst noch herausstellen.

      Carolin reagierte natürlich aufgebracht. Sie wollte Julian einfach nicht als Gefahr sehen. „Bitte Tim! Julian ist kein Mörder! Und was soll es in dem Labor geben, das ihn zu einem werden lassen soll? Das ist alles völliger Unsinn!“, hatte sie geantwortet und ließ dann folgen, was mich fast ins Grab brachte. „Tim, fahr nach Hause … nach Wolfsburg. Du weißt jetzt, wer dein Vater ist und das war´s doch, was du hier wolltest. Fahr einfach wieder.“

      Ich weiß nicht, ob sie wirklich glaubte, dass es mir hauptsächlich um meinen Vater gegangen war. Ich meinte, ihr genug verständlich gemacht zu haben, dass ich nur wegen ihr da war. Aber sie begriff das scheinbar nicht, denn sie fügte sogar noch hinzu: „Ich bin mir sicher, dass Julian nicht das tun wird, von was du ausgehst. ER IST KEIN MÖRDER! Aber wenn du mir nicht glaubst, dann fahr einfach wieder.“

      Ihre Worte hatten mir damals regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie war so erbarmungslos gewesen und das hatte mich einfach nur wütend gemacht. Daher hatte ich, von der aufkeimenden Wut und meinem verletzten Stolz getrieben, geantwortet: „Du hast vielleicht recht. Ich muss wieder gehen. Hierherzukommen war das Dümmste, was ich tun konnte. Ich muss einfach wieder verschwinden und nie mehr wiederkommen. Dann wird Julian wenigstens nicht mehr so leicht in die Tat umsetzen können, was er mit uns vorhat.“

      Carolin war daraufhin einfach gegangen.

      „Carolin! Er wird uns töten, glaub mir das doch!“, hatte ich ihr noch hinterhergerufen, aber sie interessierte das nicht. Sie ging und fertig.

      Ich kehrte in mein kleines Hotelzimmer in Alfhausen zurück und beschloss meine Sachen zu packen und auch zu gehen. Aber wohin sollte ich mich wenden? Zu meiner Mutter wollte ich nicht und zu meinem Vater konnte ich nicht.

      So hatte ich beschlossen,