Es sind doch nur drei Wochen. Tom Sailor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Sailor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753108988
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sind wichtig. Die europäischen Mitarbeiter gelten hier als die Reichen, was automatisch Diebe anzieht. Auch vor den Affen muss man sich hüten. Die treten als Horde auf und werden dann richtig frech und gefährlich. Erik hatte beobachtet, wie sie einem Inder das Essen klauten. Einer hat sich von vorne genähert, wobei der Inder diesen mit seinem Stock zu verscheuchen suchte. Dabei blieb der Affe aber immer nur knapp außer Reichweite des Stocks und rückte sofort wieder vor, wenn der Inder sich setzen wollte. Irgendwann ist der Inder dann einen Schritt auf den Affen zugegangen. Darauf hatten aber zwei der Rasselbande nur gewartet, stürzten von hinten auf das Essen, ergriffen den ganzen Beutel und rasten in die Bäume in Sicherheit. Dass das ganze einem Masterplan unterlag, konnte Erik daran erkennen, dass der erste Angreifer anschließend seelenruhig neben den zwei Anderen saß und diese die Beute ohne Geschrei und Zank teilten. Die Inder hatten Erik eindringlich davor gewarnt, ein Tier anzufassen oder festzuhalten, auch wenn sie sich bis auf Tuchfühlung einem nähern sollten. Macht man den Fehler und versucht, einen Affen zu berühren, wird dieser sofort zubeißen. Das Gebiss ist so kräftig, dass sie ohne weiteres einen Finger abbeißen können.

      Erik lässt sich auf einen Sessel fallen und nimmt einen Schluck aus der Colaflasche. »Mein Gott, ich bin schon fünfzehn Monate hier!« macht sich Erik klar. Vor diesen fünfzehn Monaten hat er sich als durchschnittlich verwöhnter Europäer in ein Flugzeug gesetzt. Aber nicht, um sich an einem Palmenstrand von den Landesschönheiten Cocktails servieren zu lassen, sondern um zu Arbeiten. Okay, er war damit einverstanden, irgendwo in der großen weiten Welt zu arbeiten. Er war damals froh, diesen Job zu haben, der ihn in die ferne, weite Welt führen würde. Außerdem besaß er da noch die Illusion, dass er mitbestimmen darf, wohin die Reise geht. Die Rede war von viel Geld, Abwechslung und Verantwortung. Er kann sich noch genau daran erinnern, wie die Kollegen an seinem ersten Tag ihre Geschichten zum Besten gaben:

      »Hey, Mann, Du musst unbedingt in den Sudan. Die Nubierinnen haben so feste Brüste, dass man darauf die Wanzen zerdrücken kann.«, war ein Spruch, der von wissendem Männerlachen aus der Runde begleitet wurde. Welcher Mann kann da verhindern, dass nicht hübsche, begehrliche und willige Mädchen mit kurzem Röckchen und blanken Brüsten vor dem inneren Auge erscheinen. Mein Gott, wie soll man da nicht an Sex denken. Jetzt, wo Erik schon wieder so lange auf dem Trockenen sitzt, erscheinen sexuellen Phantasien sowieso immer häufiger. Die Beschreibungen der Kollegen klangen nach exzessiven Partys mit willfährigen, jungen Frauen und nach viel Spaß ohne negativen Beigeschmack. Irgendwie haben Sie die Monotonie, die Einsamkeit, den Frust, die vielen drohenden Krankheiten und Risiken in Ihren Erzählungen weggelassen. Seufzend lässt sich Erik in dem Sessel zurückfallen und legt die Füße auf den Beistelltisch.

      »Mit meinem heutigen Wissen wundere ich mich über diese Sorglosigkeit. Ich glaube, die lieben Kollegen haben einfach nur kräftig übertrieben! Auch früher war das alles nicht so sorgenfrei.«, überlegt sich Erik und nimmt noch einen Schluck warme Cola.

      »Vielleicht sollte man dies auch anders sehen. Möglicherweise liegt es auch einfach an der relativen Sichtweise: nach einem monatelangen Entzug wird jede Party für die Sinne zu einer wilden Orgie.«, philosophiert Erik vor sich hin.

      »In meiner jetzigen Lage wäre eine normale Kneipe, wie es sie zuhause an jeder Ecke gibt, ein Fest für die Sinne!«

      Erik erinnert sich an einen Artikel, den er vor einiger Zeit gelesen hatte, wonach der Mensch in Episoden lebt. Er erinnert sich an die Maxima dieser Episode und an das Ende. Wenn das Ende gut war, so wird auch die ganze Episode, unabhängig von der Dauer, als gut betrachtet.

      »Dann hoff ich mal auf ein gutes Ende«, stöhnt Erik, als er aufsteht und ins Bad geht, um sich für den neuen Arbeitstag fertig zu machen.

      Fünfzehn Monate früher

      Erik betritt etwas müde den Flur zu seinem Büro. Mit Gaby hat er gestern Abend auf dem Balkon eine Flasche Wein geleert. Dann sind sie spontan auf die Idee gekommen, im Freibad über den Zaun zu klettern. Zwangsläufig war die Nacht etwas kurz. Langsam schlendert er an den Türen der Arbeitszimmer vorbei, als ihm sein Chef, Andresen, über den Weg läuft. Wie immer ist er etwas hektisch, was den Eindruck vermittelt, dass er fünf Sachen gleichzeitig erledigt. Als er Erik sieht, bleibt er abrupt stehen.

      »Hallo, Herr Jacobsen, wie geht’s?«, fragt er in einem Tonfall, bei dem man erkennt, dass er nicht wirklich eine Antwort erwartet: »Können Sie bitte kurz in mein Büro kommen?«

      Es geht um einen neuen Auftrag. Das ist klar. Auf dem Weg überlegt sich Erik, welche Projekte denn in Betracht kommen könnten. Da gibt es diesen Staudamm in Sri Lanka oder das Kraftwerk in Malaysia, dann ist da auch noch diese Anlage in Dänemark oder die andere in der Nähe von Athen. Alles Orte, mit denen er sich irgendwie anfreunden könnte. Erik geht also frohen Mutes auf seinen Chef zu und muss sich dann beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Im Büro von Andresen setzt er sich auf den einzigen Stuhl vor dessen Schreibtisch. Es ist das typische Büro eines Workaholics. Terminpläne an der Wand, überall Stapel von Unterlagen und Akten, dazwischen diverse gebrauchte Kaffeetassen, unterschiedlich gefüllte Aschenbecher und am Rand eines Stapels, kurz vor dem Sturz auf den Fußboden, das obligatorische Familienfoto.

      »Kaffee?«, fragt Andresen.

      »Ist ja nett, dass er mir einen Kaffee anbietet, wo er doch selbst immer keine Zeit hat,«, denkt sich Erik. »Entweder will er etwas von mir oder er braucht selbst einen Kaffee und sieht sich daher gezwungen, mir etwas anzubieten. Egal, ich kann einen gebrauchen!«

      »Ja, gerne!«, nickt Erik mit einem Lächeln.

      »Frau Berger, sind Sie bitte so gut und bringen uns zwei Tassen Kaffee.«, ruft Andresen in das Nebenzimmer, dessen Tür geöffnet ist.

      »Der letzte Job von Ihnen lief ja prächtig.«, wendet sich Andresen lächelnd an Erik.

      »Nun, neben Können braucht man manchmal etwas Glück.«, erwidert Erik etwas ausweichend und überlegt, was der Chef von ihm will.

      »Ich gehe mal davon aus, dass es etwas mehr Können als Glück war. Aber deshalb wollte ich eigentlich nicht mit Ihnen sprechen. Ich habe ein Problem in Indien. Wir liegen mit der Inbetriebnahme unserer Anlage schon deutlich hinter dem Zeitplan zurück. Und jetzt hatte Herr Bender einen kleinen Unfall und musste kurzfristig zurück nach Deutschland. Ich möchte Sie daher bitten, uns vor Ort für drei Wochen zu unterstützen, bis er wieder auf den Beinen ist.«, kommt Andresen zur Sache.

      Indien hatte Erik völlig von seiner Liste gestrichen. Als das Wort Indien fällt, reagiert er innerlich fast reflexartig mit einem lauten »NEIN«.

      »Es gibt so schöne Länder auf dieser Erde und ich soll nach Indien?«, schießt ihm ein Protestgedanke fast augenblicklich durch den Kopf. »Das ist jetzt etwas überraschend. Sie erinnern sich sicher, dass ich doch schon bei der Einstellung erklärt habe, dass ich da etwas voreingenommen bin. Das ist nicht gerade mein bevorzugtes Tätigkeitsland.«, erwidert Erik nun mit einem etwas abwehrenden Blick.

      Andresen schaut ihn kurz, aber energisch an und schüttelt den Kopf.

      »Ich weiß, es ist nicht gerade eine Belohnung, aber wir haben im Augenblick keinen anderen, dem wir zutrauen, dass er den Job hinbekommt. Ich traue ihnen durchaus zu, dass sie in eine Führungsposition hineinwachsen.«, lockt ihn Andresen. »Zum einen kann ich Ihnen anbieten, dass wir etwas mit Ihrem Gehalt machen. Sie sind noch nicht so lange bei uns. Sie haben die Gelegenheit, sich in einer Führungsposition zu behaupten und damit für höhere Aufgaben zu qualifizieren.«, fährt Andresen seine Argumente auf, »und außerdem, es sind doch nur 3 Wochen!«.

      Erik überlegt kurz, wie er reagieren soll. Er weiß genau, dass eine Ablehnung nicht gut ankommen wird.

      »Nun, was die drei Wochen angeht, so ist das ein überschaubarer Zeitraum. Ich würde da gerne noch mal auf Ihre Eingangs verwendeten Worte zurückkommen. Ich denke, dass ich Beweise geliefert habe, welchen Mehrwert ich der Firma biete. Daher würde ich gerne mit Ihnen über meine zukünftige Gehaltsentwicklung sprechen. Wenn ich dann in Indien bin, geht das ja leider nicht«, erklärt Erik.

      Andresen stöhnt zwar, so als ob er eine Gehaltserhöhung aus eigener Tasche zahlen muss, willigt aber schließlich