Es sind doch nur drei Wochen. Tom Sailor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tom Sailor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753108988
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      Titel Seite

      Es sind doch nur 3 Wochen

      Tom Sailor

      1. Auflage 2020

      Impressum

      Texte: © Copyright Tom Sailor

      Umschlag:© Copyright Tom Sailor

      Bildnachweis: StockSnap auf pixabay

      Verlag:Tom Sailor, Lübeck

      Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

      Berlin

      In der Wüste

      Sie ist ungefähr doppelt so groß geworden. Dafür aber deutlich flacher. Durch den aufgeplatzten Hinterleib hat sich ein fingernagelgroßer, roter Fleck an der Wand gebildet.

      »Das hast du davon, wenn Du mir mein Blut klaust!«, zischt Erik mit grimmiger Stimme zwischen den Zähnen hervor und blickt triumphierend auf die blutigen Überreste seines Opfers. Er spürt einen leichten Schmerz in seiner rechten Handfläche, da er voller Wut äußerst heftig auf die Wand geschlagen hat. Die Genugtuung an diesem Mord in aller Frühe verschwindet jedoch augenblicklich, als sich der Gedanke an die mögliche Malariainfektion warnend in den Vordergrund drängt. Die ständige Bedrohung durch die Mücken besteht jetzt seit zehn Monaten, ohne dass Erik sich daran gewöhnt hat. Wenn man zuhause in Deutschland von einer Mücke gestochen wird, ist es ärgerlich. Hier ist es eine gefährliche Bedrohung, die wie ein böser Geist ständig hinter einem steht.

      »Hoffentlich funktionieren die Tabletten!«, brummt Erik ernüchtert vor sich hin. Dabei reibt er sich seine schmerzende Handfläche und sucht mit den Augen die Fliegenklatsche, die an einem Nagel an der Wand hängt. Ein äußerst intensives Gefühl der Abscheu, gepaart mit ohnmächtiger Wut, unterlegt mit dem süßlichen Nachhall der Vernichtung wallt in ihm auf.

      »Die Fliegenklatsche sieht schon ziemlich schäbig aus, aber das fällt in diesem Land sowieso nicht mehr auf.«, murmelt Erik missmutig vor sich hin.

      »Ich habe keine Lust mehr auf diesen Dreck hier!«, ruft Erik daraufhin so laut, dass ein Nachbar es sicher gehört hätte. Erik möchte endlich wieder nach Hause. Trotzdem muss er noch mindestens zwei Monate aushalten. Er dreht sich zur Tür, die ins Wohnzimmer führt und blickt auf die Zahlenkolonne an der Wand neben dem Tisch. Dort sieht er die Ziffer 61 als letzte Zahl einer langen Reihe ansonsten durchgestrichener Zahlen. Irgendwann hat er sich nach einigen Bieren einen dicken, wasserfesten Filzstift geschnappt und die Zahlenkolonne der verbleibenden Tage auf die Wand geschrieben. Direkt auf die lackierte Wand. Tapeten sind in dieser Region der Welt Mangelware und würden in der nassen Monsunzeit vermutlich von der Wand rutschen. Die Wände werden daher glatt verputzt und dann mit einer ockerfarbenen Ölfarbe übermalt. Es entsteht eine glänzende, glatte Oberfläche, die dazu abwaschbar ist. Es ist ein festes Ritual geworden. Jeden Morgen streicht er auf dem Weg ins Bad wieder einen Tag ab. Leicht seufzend nimmt Erik den Filzschreiber und streicht die 61 durch. Im Augenblick ermutigt ihn der Anblick der verbleibenden 60 Tage allerdings nicht wirklich. Die vielen durchgestrichenen Zahlen lassen aber immerhin einen kleinen Fortschritt in Richtung Ende erkennen.

      Neben die Zahlenreihe hat Erik das Bild einer blonden Frau mit lockigen Haaren und blauen Augen geklebt. Die Schönheit hat er aus einer Zeitschrift ausgeschnitten. Das Foto seiner damaligen Freundin Gaby, hatte Erik mit einem Klebestift direkt auf die Wand geklebt, so dass er es nicht abnehmen konnte, ohne gleich den Putz mit von der Wand zu reißen. Das neue Bild hat er dann darüber geklebt, so dass ihn Gaby nicht mehr ständig anblickt. Nicht gerade die Art, wie er normalerweise ein Bild aufhängt. So etwas hätte er vor einigen Monaten noch als absolut inakzeptables Verhalten verurteilt. Erik verdient zwar ordentliches Geld, aber die persönlichen Einschränkungen bei der Lebensführung sind enorm. Keine Erzählung kann einem das Gefühl vermitteln, das man empfindet, wenn man tatsächlich in einer Einöde wie dieser festsitzt. Das hier ist ja nicht ein Urlaub in einem schlechten Hotel, bei dem man nach 14 Tagen wieder abreisen kann. Das hier ist so etwas wie ein Lager, bei dem man unter ständiger Bewachung und Bedrohung steht und sich täglich Gedanken um sein Überleben machen muss.

      Erik starrt immer noch auf die lange Zahlenkolonne der abgestrichenen Tage. Immerhin ist die verbleibende Zeit deutlich kürzer.

      »Ich hab noch viel zu viele Tage vor mir!«, seufzt er und wandert endlich in die Küche. In den letzten zehn Monaten ist viel passiert. Am traurigsten ist er darüber, dass die Beziehung mit Gaby in die Brüche gegangen ist.

      »Drei Wochen, hat mein Chef gesagt! Drei verdammte Wochen soll ich als Vertretung aushelfen!«, lamentiert Erik mit einem leidenden Tonfall laut vor sich hin.

      »Und jetzt? Jetzt bin ich schon fünfzehn Monate hier in dieser Scheiße!«, wobei er die letzten Worte laut fluchend gegen die Wand schleudert. Von seinem jetzigen Standpunkt, tausende Kilometer entfernt, am Arsch der Welt, wie er es für sich selbst bezeichnet, verblassen die unschönen Erinnerungen. Erinnerungen an Streit und das Aus der Beziehung erscheinen plötzlich sinnlos und eigentlich überwindbar. Stattdessen drängen sich die schöneren Momente in den Vordergrund, vor allem die, die er jetzt am stärksten vermisst.

      »Der Sex mit ihr war ziemlich gut. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser wird er!«, grinst Erik in sich hinein, als die Bilder vor seinem inneren Auge auch die lustvolleren Gefühle aus der Vergangenheit zum Vorschein holen. Das ist leider auch so ein Problem in diesem Land. Zu kaufen gibt es alles, doch welchen Preis zahlt man langfristig dafür.

      »Wenn ich an diese blöde Nacht denke, in der ich diese Nutte geknallt habe, wird mir im Nachhinein noch ganz anders!«, erinnert er sich wieder, wobei ihm ein Schauer aus Scham und Erschrecken über den Rücken läuft, der die erotischen Gedanken schlagartig, wie ein Eimer kaltes Wasser, wegspült.

      »Wegen diesem Blödsinn laufe ich jetzt die ganze Zeit mit einem saublöden Gefühl herum. Wenn ich wieder zuhause bin, werde ich als erstes zum Arzt gehen müssen.«, beschließt Erik, und versucht das unangenehme Thema zu verdrängen.

      »Zum Glück hat sich noch nichts verfärbt, nichts juckt und ich habe auch keine Läuse oder so was. Die Liste der Mitbringsel kann in diesem Land recht lang sein. Vor allem die fiesen Sachen schlummern erst eine ganze Weile, bis sie sich dann melden.«, bearbeitet Erik das Thema weiter in seinem Kopf, als er nun in der Küche vor der Kaffeemaschine steht.

      All das stand jedenfalls nicht im Kleingedruckten, als er den Arbeitsvertrag unterschrieb. Damals tanzten andere Bilder vor seinem inneren Auge. Die schöngefärbte Vorstellung von dem, was ihn hier erwarten würde und die entzauberte, brutale Realität passen irgendwie nicht zusammen. Es ist wie die Theorie vom Fahrradfahren, bei dem man hoheitsvoll und elegant über das Straßenpflaster schwebt, und die Schrammen, die einen nach dem ersten Versuch auf den Boden der Realität zurückholen.

      Da der Strom schon wieder ausgefallen ist, funktioniert die Kaffeemaschine auch nicht. Erik öffnet den Kühlschrank und greift nach der letzten Colaflasche. Leider ist die Cola warm, wie auch der Rest im Kühlschrank. Der Strom ist vermutlich schon wieder seit Stunden ausgefallen und die Qualität der Isolierung dieser Kühlschränke ist nicht besonders gut. Eigentlich hätte er jetzt gerne eine Tasse Kaffee, doch ohne Strom läuft die Maschine eben nicht. Irgendwo sind Mitarbeiter der Elektrizitätswerke dabei, das Netz wieder aufzubauen. Allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Ab und zu springt die Klimaanlage ratternd an, um dann nach wenigen Sekunden wieder auszufallen. Das Netz ist völlig überlastet. Man kann nicht einfach den großen Schalter am Kraftwerk wieder zuschalten. Alle Menschen und Firmen haben ihre Geräte eingeschaltet gelassen. Wenn das Kraftwerk dann einfach den Strom zuzuschalten würde, wirken diese vielen Verbraucher wie ein Kurzschluss. Also versucht man zunächst die im Land überall aufgestellten Verteiler erst einmal alle abzuschalten, um sie dann nach und nach wieder zuzuschalten. Das geht aber nur, indem ein Mitarbeiter vor Ort die Schalthandlung vornimmt. Also rasen jetzt etliche kleine Mopeds durch das Land, um die vielen Verteiler erst ab- und später wieder zuzuschalten. Bei den Entfernungen und Kommunikationsproblemen in diesem Land dauert es halt eine Ewigkeit, bis die Mitarbeiter das koordiniert hinbekommen.

      Erik