Bis Utopia. Marlon Thorjussen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlon Thorjussen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742761620
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erlassen und niemand störte sich daran. Eines Tages hing ein Zettel an der Außenseite der Tür, auf der in ungefähr anderthalb Sätzen dargelegt war, dass das Rauchen ab sofort untersagt sei. Seine Gäste kamen ja dennoch und rauchten sonst einfach vor der Tür oder auf der Toilette.

      „Ja. War ein nur schwieriger Tag. Alles gut bei dir?“

      „Geht dich einen feuchten Dreck an. Setz dich“, brummte Koi.

      Die gewohnte Herzlichkeit beruhigte Peer. Hier war er erst einmal sicher. Keiner würde ihm Pfeile in die Schulter schießen, niemand würde ihm verrücktes Zeug über die perfekte Genetik erzählen und niemand würde ihn reich machen wollen.

      „Habe einen Bonus bekommen“, log Peer und nahm sich einen der zwanzig Hunderter, die er vorhin erhalten hatte. Koi betrachtete kurz das Geld. Dann betrachtete er Peer.

      „Hast du nicht“, flüsterte er dann. Man konnte Koi nicht belügen, aber er stellte auch keine Fragen. Da gab es kein Entrinnen. Und selbst wenn Peer dem mies gelaunten Typen auf der anderen Seite des Tresens alles erzählt hätte, hätte keiner etwas dabei gewonnen. Peer hätte man in Säure auflösen müssen und Koi würde ohnehin nur halbherzig zuhören. Sein Desinteresse an den Belangen der Gäste war bei selbigen legendär. Aber es führte auch dazu, dass sich allerlei im Karpfenschlund abspielte: In ruhigen Ecken wurde zum Teil völlig offen über dubiose Geschäfte diskutiert und Verheiratete und Verpartnerte brachten ihre Affären gerne mit. Zwar kannte Koi viele erzählenswerte Geschichten, aber er gab sie nie zum Besten.

      Also beließen es der Wirt und sein Gast dabei, dass der Wirt den Gast als zahlungskräftig verstand. Peer setzte sich weit von allen weg und signalisierte so, dass er nicht ins Gespräch kommen wollte.

      Zwanzig Euro inklusive Trinkgeld später, erschien es Peer sinnvoll, das erste Mal im Leben eine Prostituierte zu sich zu bestellen. Nicht, dass er nicht auch mal so Frauen kennengelernt hätte. Aber das waren halt Frauen in seiner Liga gewesen, wie er es selbst immer ohne Schmerz formulierte. Sie waren meist entweder süß, hübsch, intelligent, gut im Leben stehend oder emotional abgeklärt gewesen. Aber noch nie vereinigte eine seiner Frauen all diese Eigenschaften, was er beharrlich darauf schob, dass das eben die weniger perfekten Frauen waren, die er kennen lernte.

      Aber so eine Prostituierte: Ficken. Zahlen. Aus.

      Oder gab es bei sexuellen Dienstleistungen Vorkasse? Das wusste er natürlich nicht, war aber entschlossen, es herauszufinden.

      Er verabschiedete sich deshalb gegen halb neun von Koi und den beinahe unbekannten anderen Gästen und stapfte nach Hause. Seine Laune war besser als noch vor ein paar Stunden und er lächelte auf dem Rückweg dümmlich vor sich hin. Noch immer hatte sich niemand bei ihm gemeldet.

      Beim Mongolen brannte noch Licht und es roch ein wenig nach vergorener Milch. Peer überlegte sogar kurz, vielleicht noch ein wenig zu essen und dem Bistro eine Chance zu geben. Aber da durchzuckte ihn der Gedanke, dass es sich wahrscheinlich nicht lohnen würden, denn immerhin sah er ja nie wirklich Gäste dort. Dazu kam, dass der Küchenchef und Inhaber gerade wieder damit beschäftigt war, seiner Frau zu erklären, warum sie an seiner Misere schuld sei. Fremde Worte drangen an Peers Ohr, aber das Geschrei wirkte nicht einladend. Also ging Peer in seine Wohnung, freute sich abermals über die nicht quietschende Tür und räumte die Küche auf.

      Dann sorgte er für gedämpftes Licht und befand sich für völlig nüchtern, obwohl er inklusive des Dosenbieres knapp drei Liter Bier getrunken hatte. Dementsprechend musste er dringend pinkeln, was vor allem dazu führte, dass das Gezeter des Mongolen wenig später wieder vom Rauschen des Abwasserrohres begleitet wurde. Dann setzte sich Peer vor den Computer und suchte nach Agenturen, die Frauen für möglichst viel Geld vermittelten.

      Claire, so hieß es da zum Beispiel, würde auch dem schüchternsten Mann einen unvergesslichen Abend bereiten. Sie erfüllte jede Fantasie, die nichts mit Fäkalien zu tun hatte. Sogar ein Catwoman-Kostüm nannte sie ihr Eigen. Blond, klein und kurvig war sie, mit einem gewinnenden Lächeln und beeindruckend schönen Augen.

      Dann war da noch Leyla, eine schwarzhaarige, dickbusige Domina für besondere Stunden. Bei ihr gab es alles: Psychische und sexuelle Dominanz. Stiefellecken und Natursekt inklusive. Das irritierte Peer zutiefst, denn er fand es schon immer absonderlich, wenn Menschen solche Fetische hatten. Beim Gedanken daran, sich anpinkeln zu lassen, dachte er vor allem daran, dass man so etwas ja auch wieder reinigen musste. Und sein Badezimmer war für ihn einfach kein Ort für sexuelle Handlungen.

      Ruby wurde damit beworben, besonders kultiviert zu sein. Sie sei ideal für Rollenspiele, die ein mächtiger Mann sich wünschen könnte, hieß es da. Peer gefiel diese Beschreibung, auch wenn er weit weg von diesem mächtigen Mann war, der man wohl sein musste. Diese Ruby war irgendwie süß und optisch keineswegs perfekt. Aber sie hatte bildhübsche Augen, war von angenehmer Statur; nicht zu groß, nicht zu klein und sie hatte keine Brüste, die Rückenbeschwerden verursachten. Einer ihrer Zähne wirkte auf dem Bild ein wenig schief und sie schien überhaupt kein Make-up zu tragen. Sie verfügte über eine Natürlichkeit, die Peer sehr anziehend fand.

      Aber Peer wollte keine kultivierte Frau am diesem Abend, denn dafür – sein Sinn für Realismus meldete sich doch noch – war er zu betrunken. Er schwor sich allerdings, vielleicht zu einem besseren Zeitpunkt, wo es ihm nicht nur darum ging, das Ganze auszuprobieren, auf sie zurückzugreifen.

      Etliche Profile später gab er es dann auf und rief einfach die Nummer der Agentur an.

      „Guten Abend! Willkommen in unserem Hause!“, säuselte es wenig später rauchig aus der Leitung.

      „Hallo“, sagte Peer und es versagte ihm die Sprache.

      „Nicht so schüchtern“, ermutigte man ihn.

      „Also, ich heiße Peer. Und ich wollte wissen, ob Sie vielleicht jemanden aus Ihrem Hause empfehlen können“, stammelte Peer. Sprach man so mit einer Puffmutter? Peers Gedanken kreisten um die Berufsbezeichnung seiner Gesprächspartnerin.

       Diese sagte: „In unserem Hause gibt es für jeden Anlass die richtige Gespielen, junger Mann. Sind Sie gestresst?“

      Und wie er das war!

      „Hmmm“, machte es. „Müssen Sie etwas vergessen und wollen sich einfach gut ablenken? Aber ohne, dass es billig wirkt, ja?“

      „Ja!“, antwortete der Peer unbeholfen und hoffte, dass man seinen Zustand nicht schon erahnen konnte. Diese Frau, mit der er sprach, war offensichtlich ein Profi. Natürlich machte sie nur ihren Job und ähnlich wie Seelenflüsterer, die einfach eine unendliche Menge an Allgemeinplätzen von sich geben, bis sie richtig liegen, funktionierte hier auch die persönlich zugeschnittene Vermittlung einer Frau für einen zahlenden Kunden.

      „Wie schaut denn Ihr Budget aus? Ich hoffe doch, Sie wissen, dass es hier nur edle Wesen gibt“, erkundigte man sich.

      „Fünfzehnhundert Euro?“

      „Ah. Hmmm. Ja... Das bekommen wir hin. Eine schöne Frau für Sie. Leidenschaftlich, aber völlig professionell. Sie wird Sie ablenken und entführen. Sie wird Sie entspannen, ganz egal, wie es Ihnen gerade geht! Wie klingt das? Haben sie einen Typ, auf den Sie besonders stehen, Peer?“

      Er verneinte und die Dame am Telefon versprach ihm ein Mittel zur Linderung seiner Bedürfnisse innerhalb von dreißig Minuten, nachdem er die Adresse nannte.

       Peer seufzte. Dann besann er sich seiner Gastfreundschaft und holte einen roten Wein aus dem Keller. Auf dem weißen Etikett prangten schmucklos die Buchstaben T und C für Tempranillo Cabernet. Es war alles andere als ein edler Tropfen, aber der Wein schmeckte immerhin ein wenig nach Weihnachten – nur tot und bitter. Das wusste Peer allerdings nicht, denn er hatte ihn einfach irgendwann mitgenommen, weil ihm das sterile Etikett so gut gefiel. Der Wein hatte einige Zeit neben seinem Kühlschrank gestanden, weil es dort auch schattig und kühl war.

      Er putzte sich fünf Minuten lang verkrampft die Zähne und bekam Zahnfleischbluten. Dann packte er das Schmieröl wieder an seinen Platz, entsorgte das fettige Küchenpapier und setzte sich in die Küche.