Loki drehte ab und flog parallel zur Esche. Er folgte einer großen Wurzel, die ihren Ursprung vom Stamm des Baumes nahm. Sie waren weit entfernt von Yggdrasil, doch mit den Augen des Falken sah ihn Fengur so nah, als wäre er nur wenige hundert Meter weit weg. Immer weiter flog Loki, Kälte umfing die beiden Vögel und malte regelmäßig kleine Nebelwölkchen vor ihre Schnäbel, während die Welt unter ihnen in helles Weiß getaucht wurde. Wohin das Falkenauge reichte, lag eisiger Schnee, nur die Wurzel des Weltenbaums bildete ein braunes Band in der Landschaft. Schließlich ließ sich Loki sinken und landete auf der Wurzel. Fengur versuchte es ihm gleich zu tun, verfehlte das Holz jedoch und stürzte in den Schnee. Der Adler seufzte tief. Wieder in menschlicher Gestalt, nahm Loki das Schwert in die linke Hand, machte einen Schritt auf den Falken zu und half dem kreischenden Vogel hoch. Schon stand Fengur wieder vor ihm. Loki legte das Falkengewand zusammen und steckte es zurück unter seinen Klappenrock.
Fröstelnd schlug Fengur die Arme um den Körper.
„In der Höhle wird dir warm“, erklärte Loki, deutete auf einen Spalt im Boden und sprang hinab.
Ängstlich blickte Fengur ihm nach. Obgleich er große Angst hatte, folgte er dem Feuergott. Als er die grobe Felsspalte hinabgeklettert war, lag eine bernsteinfarbene Höhle vor ihm. Stalaktiten senkten sich zum Boden hin und ihnen streckten sich Stalagmiten entgegen. Hie und da berührten sie sich und bildeten hohe Säulen. Tatsächlich war die Höhle warm, vereinzelt sammelte sich Schmelzwasser, spiegelte die Säulen und ließ sie unendlich lang erscheinen. Am Ende der Felsengrotte lag ein schlafender Drache. Nur spärlich hob er sich von den Farben der Felsformationen ab.
„Geh zu ihm hin“, befahl Loki.
„Aber …“, zögerte Fengur.
„Los!“
Ängstlich sprang Fengur den Vorsprung hinab, das Schwert in seiner rechten Hand umklammert. Auf seinem Weg drehte er sich immer wieder unsicher zu Loki um, der ihm hektische Handzeichen gab und ihn damit bedeutete, sich zu beeilen. Kaum hatte sich Fengur dem Drachen zur Hälfte genähert, formte Loki die Hände vor seinem Mund zu einem Trichter. Lauthals brüllte er Nidhöggrs Namen. Der Drache schreckte hoch, entdeckte Fengur und blies ohne Zögern einen Feuerstrahl in seine Richtung.
Unwillkürlich duckte sich der Schmiedjunge und hob die Hände vor sein Gesicht. Heiß und unerbittlich rollten die Flammen auf ihn zu. Doch statt ihn zu versengen, trafen sie das Schwert, welches das Feuer mit einem Knistern absorbierte. Schreiend ließ Fengur die Waffe los. Von der Spitze bis zum Griff glühte die Klinge in dunklem Rot.
„Heb sie auf, du Narr, und lauf!“, brüllte Loki vom Eingang her und winkte Fengur hektisch zu.
Kurzerhand streifte Fengur seine Tunika über den Kopf, wickelte sie um den Schwertgriff und hastete los. Loki streckte ihm die Hand entgegen und half ihm gerade noch hinauf, als ein zweiter Feuerstrahl die Höhle erhellte und den Felsen über ihnen in Dunkelheit hüllte. „Danke“, keuchte Fengur und blickte erschrocken. Es knisterte und der Teil der Höhle, in dem sie standen, lag in hellem Schein. Doch es war nicht er, der brannte, es war das Schwert. Staunend hielt es Fengur vor sich. Von der Eisenklinge war nichts mehr zu sehen, an ihrer statt loderte eine Schneide aus Flammen. Loki betrachtete die Klinge beglückt. In seinem Gesicht tanzten dunkle Schatten und verliehen seinem Aussehen dämonische Züge.
„Es ist besser, als ich es mir vorgestellt habe“, flüsterte Loki fasziniert und deutete eine Berührung der Feuerklinge an.
„Ist das Eisen überhaupt noch da?“, fragte Fengur weinerlich. Schon lange beschlich ihn das Gefühl, dass er sich nicht auf das Spiel des Asen hätte einlassen dürfen.
„Allein das Aussehen dieses Schwertes wird seine Gegner in Angst und Schrecken versetzen. Niemand wird es wagen dagegen zu kämpfen!“ Loki hob beide Hände vor die Waffe. Beschwörend fuhr er seine Linien nach.
Fengurs Lippen bebten. „Welche Klinge will dieses Schwert abwehren? Es ist wertlos, eine verdammte Fackel ist es jetzt!“, schrie er verzweifelt und schleuderte das Schwert mit aller Wut und Enttäuschung davon. Die Waffe traf auf die Felswand und blieb im Stein stecken. Fengur runzelte die Stirn, während Loki begeistert die gestreckten Finger aufeinander tippte. „Zieh es raus! Zieh es raus!“, frohlockte er.
Fengur warf dem Asen einen unsicheren Blick zu und packte die Klinge. Ein metallenes Geräusch erfüllte die Höhle, dann das Knistern der Feuerklinge. Tief und breit klaffte ein Spalt im Fels.
Loki sprang vor und strich mit der Hand über die Stelle, in der die Klinge gerade noch gesteckt hatte. „Ein Schwert, das selbst Stein durchschlägt. Keine Waffe wird gegen dieses Schwert bestehen!“
Nun glaubte auch Fengur daran. Verhalten lächelte er, noch konnte er sein Glück nicht fassen.
„Rasch! Du musst es härten“, drängelte ihn Loki. Er packte Fengur und zog ihn hinter sich her aus der Höhle hinaus. Draußen angelangt deutete der Ase auf die Quelle vor ihnen.
„Es wird das Feuer löschen!“, wehrte sich Fengur.
„Es wird die Flamme darin binden. Was hilft dir ein brennendes Schwert? Du kannst es nicht in einer Scheide mit dir tragen. Härte es! Los!“
Fengur sah, dass der Ase wütend wurde und gehorchte. Mit einem lauten Zischen tauchte er das Schwert in die Quelle, die zu Brodeln und zu kochen begann. Kleine Wassertropfen stiegen auf und hüllten ihn und Loki in einen Nebel aus warmem Dampf.
Der Ase lachte euphorisch und schnappte sich das Schwert. Es war wieder zu einem gewöhnlichen Eisenschwert gewandelt. Er riss es in die Höhe und richtete es gen Himmel. Sofort stiegen die Flammen um die Klinge auf und reckten sich rauschend zu den Sternen.
„Mit diesem Schwert werde ich unbesiegbar sein!“, brüllte Loki und lachte teuflisch.
„Du? Aber es ist meins!“, rief Fengur.
„Deins? Glaubst du, ich hätte dir geholfen, damit du das Schwert erhältst? Ich habe dir gesagt, es wird dein Meisterstück werden und ich habe mein Versprechen gehalten!“
„Aber …“, schnappte Fengur.
Loki ballte die Faust vor seinem Gesicht. „Ich war bei den Nornen, Junge. Ich kenne mein Schicksal und ich werde nicht zulassen, dass es sich erfüllt. Ich lehne es ab, mich bis zum Weltenende unter eine Gift tropfende Schlange fesseln zu lassen. Mit diesem Schwert werde ich mein Schicksal ändern!“
Aus heiterem Himmel baute sich ein Mann in stattlicher Rüstung, roten Haaren und einem kurzen Bart vor ihnen auf. In seiner rechten Hand hielt er einen großen, mit Runen verzierten Hammer.
„Mir wird Angst und Bange, wenn ich dich mit dieser Waffe sehe, Loki“, sprach er den Asen an, der das Schwert ertappt hinter den Rücken nahm.
„Thooooor“, schnarrte Loki. „Was willst du denn hier?“
„Die Frage sollte besser heißen, was machst du hier“, Thor deutete mit dem Hammer auf Fengur, „und er?“
Fengur warf sich ängstlich auf die Knie.
„Er ist ein guter Junge“, erklärte Loki.
„Zweifellos. Was ist also mit dem Schwert? Zeig es!“, forderte Thor Loki auf.
„Es gehört dem Jungen. Ich wollte es nur kurz halten“, erwiderte der Feuergott.
„Das ist nicht wahr!“, begehrte Fengur auf.
„Ich finde auch, dass es anders ausgesehen hat“, stellte Thor fest. „Du brauchst kein Schwert, Loki. Deine Zunge ist spitz genug! Und du, Junge, solltest dich besser nicht mit ihm einlassen.“
Thor hielt den Hammer vor sich. Blitze zuckten durch die Nacht und erhellten den Platz, auf dem die drei standen. Ängstlich senkte Fengur den Kopf und Loki hob beschwichtigend die Hand.
„Nicht