Ben kannte die Geschichte: Zöllner hatte eine gutgläubige Wirtin als junger Kerl gehörig geleimt und dabei sowohl Fantasie als auch ein ordentliches Maß an krimineller Energie bewiesen. Er sei auf der Flucht, sowohl vor der Polizei als auch vor seinen beiden Onkels. Die hätten ihn und seine Mutter schwer misshandelt und ihr Geld gestohlen. Anschließend sei es ihnen gelungen, die Sache so darzustellen, als habe er, Zöllner, die Taten begangen. Auch das war schon eine abenteuerliche Geschichte. Zöllner rührte aber mit Geheul und großen Augen das gutmütige und einsame Gemüt der Wirtin. Sie glaubte ihm, verköstigte ihn drei Tage lang und gab ihm schließlich Geld - für einen ordentlichen Anwalt, der die Dinge zurechtrücken sollte. Zöllners Betrug flog auf, weil die Wirtin darauf bestand, selbst mit dem Anwalt zu reden - noch bevor sich Zöllner absetzen konnte.
Aus den Schlagzeilen auf der Leinwand ging die ganze Geschichte zwar nicht hervor, die Zombies erkannten aber den Kern der Sache: Markus Zöllner war ein Betrüger. Oder zumindest wollte ihnen jemand das weismachen.
Das Gemurmel schwoll wieder an, als die Leinwand hinter dem Kontaktmann der Ochdoi schlagartig schwarz wurde. Jemand hatte den Stecker gezogen. Ein paar Zombies versuchten vergeblich, sich mit empörten Zwischenrufen Gehör zu verschaffen. Der Tumult war perfekt und Ben hoffte, dass Maus und er selbst die Szene mit den Knopfkameras am Kragen und am Base-Cap ordentlich eingefangen hatten. Die Youtube-Gemeinde verlangte keine ausgefeilten Video-Clips nach allen Regeln der Kunst. Aber das Material musste erkennbar sein und authentisch wirken.
Vier junge, kräftige Kerle in schwarzen T-Shirts tauchten plötzlich im Zuschauerraum auf und ließen sich von wütenden Zombies zeigen, wo Maus saß. Mist. Er war aufgeflogen. Das war gar nicht gut. Ben winkte ihm vorsichtig zu. Nichts. Maus war so fasziniert von dem Durcheinander, dass er weder ihn noch den näher kommenden Schlägertrupp wahrnahm.
„Das, liebe Freunde, war das Werk blinder, dummer Menschen“. Zöllner zeigte ebenso empört wie energisch auf die dunkle Leinwand. Er hatte sich wieder gefangen. „Sie wollen die Wahrheit nicht sehen. Und mehr noch: Sie wollen sie verhindern, indem sie uns, die Aufrechten, mit Lügen und Schmutz bewerfen.“
Ben kramte sein Handy heraus. Er musste Maus warnen. Sie mussten beide hier raus. Und zwar möglichst sofort.
„Ich frage Sie: Wollen wir das zulassen? Wollen wir den Ochdoi sagen, wenn sie hier sind: Oh, tut uns leid, dass wir nicht für euch da sind. Denn wisst ihr, die anderen wollten leider nicht mitspielen.“
Geschrei. Empörte Rufe. Nur noch ganz wenige Zombies sahen dem Treiben ratlos zu. Ein älterer Mann schüttelte fassungslos den Kopf. Alles hätte doch so einfach sein sollen. Jetzt war es kompliziert. Er wurde grob von den vier Schlägern beiseitegeschoben. Keine 15 Sitze trennten sie noch von Maus. Sein Handy klingelte und vibrierte, aber entweder hörte er es nicht, oder er wollte es nicht hören. Nicht jetzt.
„Ja, das können wir natürlich tun. Wir können ihnen sagen, dass wir verunsichert waren. Dass wir nicht so genau wussten, ob der Dreck, der über ihre Freunde auf der Erde ausgeschüttet wurde, womöglich sogar stimmte. Wissen Sie, was die Ochdoi darauf antworten werden?“
Noch sieben Sitze. Die Schläger drängelten sich an einer dicken Frau vorbei. Mein Gott, Maus. Geh ran, schau her! Verschwinde endlich!
„Sie werden gar nicht antworten. Sie werden uns vernichten. Denn sie brauchen niemanden, der die Wahrheit verdrängt. Sie brauchen niemanden, der nicht bereit für sie ist.“
Zustimmung! Angst. Ein paar der Zombies vergruben ihr Gesicht in den Händen.
Noch drei Sitze.
Ben musste etwas tun. Er sprang auf und schrie: „Will denn niemand diesen schleimigen Lügner von der Bühne werfen! Ich muss gleich kotzen!“
Kein guter Plan. Aber der einzige, der ihm auf die Schnelle eingefallen war. Hunderte Augen sahen ihn an - die meisten voller Hass, Abscheu, Entsetzen. Nur in den Augen der vier Schläger stand finstere Entschlossenheit. Maus war unwichtig geworden. Sie hatten ein neues Ziel.
Und Ben hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Schneller, als er es für möglich gehalten hatte, erreichte er den Ausgang des Saals. Dort stellte sich ihm ein mutiger Ochdoi-Zombie mit Zopf und einem lächerlichen Schnurrbart unter der Nase in den Weg. Ben drückte ihm die Knöchel seiner rechten Hand in den Solarplexus und versetzte ihm mit der flachen, linken einen heftigen Stoß. Der Zombie stöhnte und stürzte. Ohne sich umzusehen, rannte Ben weiter. Er war jetzt in der Eingangshalle des Zentrums. Zu seiner Erleichterung war sie leer. Und die Doppelglastür nach draußen war auch nicht verschlossen. Gut! Ben hörte schweres Keuchen hinter sich, bevor er ins Freie stürzte und in die klare, kühle Abendluft eintauchte.
Die vierspurige Straße vor ihm war leer - erstaunlich, um diese Zeit. Er rannte auf die Fahrbahn. Erst jetzt wurde ihm klar, warum das so problemlos ging. Links von ihm in etwa 50 Metern Entfernung nahm er eine stillstehende Wand aus Autos wahr - alle befüllt mit ungeduldigen Menschen, deren Gedanken sich im Wesentlichen um die baldige Heimkehr nach einem anstrengenden Arbeitstag drehten. Eines der Hindernisse auf ihrem Weg schaltete gerade von Rot auf Gelb um. Motoren heulten auf. Ben rannte noch schneller. Ein schwarzer Peugeot hupte vorsorglich, auch wenn er noch gar nicht in Schlagdistanz war. Ben sprang über den schmalen Mittelstreifen, der von der Fahrbahn durch Bordsteine abgesetzt war. Der Blechlawine entkam er damit gerade so. Was jetzt aber kam, erinnerte ihn vage an ein Computerspiel aus den 80er Jahren, in dem man einen Frosch heil über eine Straße bringen musste. Der Außenspiegel eines Kleinlasters touchierte unsanft seine Schulter - begleitet von einem