Yeshu und seine Geschichte. Peter Klapprot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Klapprot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752928877
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sage euch, der Himmel ist nahe, er ist um uns und er ist in uns. Wir haben es nur vergessen. Amen.“

      Sie waren sprachlos.

      „Wie ging es euch, als die Netze so voll waren, dass ihr sie kaum an Bord heben konntet? Da habt ihr ein Stück Himmel gefühlt. Ihr könnt das auch jetzt fühlen.“

      Bewegung kam in die Beiden. Sie griffen seine Hände, fühlten das Leben in ihnen.

      „Ja“, sagte Yeshu, „und ihr könnt es weitergeben.“

      Kapitel 8

      Erst war es nur dunkel, dann rot, dann hellbraun. Er blinzelte durch seine Augenlider. Es war der körnige Lehmputz, den er sah. Yeshu war in Barjonas und Kephas Haus. Aber da war noch etwas gewesen, kurz bevor er aufgewacht war. Sein Traum. Drei Harfen hatte er gesehen, eine in seiner Hand, die anderen in den Händen der Männer neben ihm. Noch andere Menschen waren dagewesen. Das Bild blieb unklar.

      Yeshu lauschte auf die Geräusche im Haus. Ein leises Schnarchen war zu vernehmen. Seine eigenen Glieder waren so herrlich schwer, so wunderbar warm. Er gähnte und streckte sich auf dem harten Boden aus. Noch einmal schloss er die Augen und ließ sich zurücksinken in diesen Dämmer. Die hölzernen Harfen, genau sah er ihre Saiten. Eine große Frau tauchte auf und nahm sie ihm und dem anderen aus der Hand. Dann rüttelte sie ihn an der Schulter.

      „Wach auf, Yeshu, wach auf.“

      Barjona kniete neben ihm. Sein gutmütiges Gesicht lächelte auf ihn hinab.

      „Kephas und ich gehen gleich in die Synagoge. Kommst du mit?“

      Nachdem sie die rituellen Bäder genommen hatten, machten sie sich auf den Weg durch die kleine Stadt. Sie lag auf wichtigen Handelsrouten und war gerade in den letzten Jahren gewachsen. Neue Lehmhäuser waren entstanden, auf die alten hatte man ein oder zwei Stockwerke darauf gesetzt. Reiche hatten am Stadtrand große Häuser mit vielen Zimmern gebaut, die sie jetzt vermieteten. Als sie auf die Straße zur Synagoge einbogen, blieb Yeshu stehen. Eine junge Frau hielt ein Lamm im Arm.

      „Schönes Tier. Woher stammt es?“

      „Mein Vater hat es aus Syrien mitgebracht“, sagte die Frau und sah ihm in die Augen.

      Er lächelte und sagte zu seinen neuen Brüdern, die ungeduldig warteten:

      „Geht schon vor. Ich komme gleich.“

      Yeshu streichelte das Lamm unter dem Ohr.

      „Warum stehst du hier mit dem Tier im Arm?“

      „Du hast ganz schön viele Fragen“, meinte die Frau und fasste das Lamm, das sich frei machen wollte, neu.

      „Stimmt“, sagte Yeshu, „warum hast du die gleichen Locken wie ich?“

      Sie lächelte nur: „Mein Vater wollte es opfern. Da habe ich es entführt. Schau in seine Augen!“

      Voller Vertrauen sah das Lamm in die Welt, es kannte keinen Argwohn, keine Schuld, kein Gestern und kein Morgen, voller Vertrauen und Liebe.

      „Es ist wie du“, hauchte die Frau und lief fort.

      Weil die Bänke besetzt waren, setzte sich Yeshu nach vorne auf den Boden, und betrachtete den Innenraum der Synagoge. Mächtige Steinquader bildeten die Wände. Die Decke wurde getragen von zwei Reihen aus je sieben Säulen mit griechischen Kapitellen. Rechts und links vom Eingang und vor dem Allerheiligsten standen vier weitere Säulen.

      Lange hatte der Vorbeter, angetan mit einem Mantel, vor den Thorarollen vor und zurück geschwungen und die alten Gebete gesprochen. Stehend hatte die Gemeinde ihm zugehört und immer wieder Amen gerufen. Yeshu hatte mitgemacht und sich gefragt, was passiert. Die Gebete erklärten die Welt als YHWHs Werk. Sie erklärten ihre Beschaffenheit und ihren Platz im Kosmos. Auch die Entstehung des Menschen erklärten sie und seinen Platz in der Welt. Er war YHWHs Untertan.

      Doch da er sündig geworden war, musste er nun mit seinen Gebeten den strafenden und zornigen YHWH milde stimmen. Niemand wusste, wen YHWH bestrafte, wen er belohnte. Darum musste man sich ihm hingeben im Gebet mit Leib und Seele, verschmelzen mit ihm, eins werden. Bei dieser Gelegenheit konnte man den Gebieter auch selbst um etwas bitten. Eine gute Ernte, gute Geschäfte, einen guten Schwiegersohn. Warum denn nicht!

      Sie sind wie Kinder mit einem schlechten Gewissen. Sie waren böse und jetzt baten sie um Vergebung. Doch Kinder konnten nicht böse sein, das wusste Yeshu. Wenn man lange genug mit ihnen schimpfte, wenn man sie schlug und anschrie und ihnen jedes gute Wort versagte, hielten sie sich dafür.

      Einer der Vorleser fragte Yeshu, ob er hebräisch lesen und sprechen könnte. Als er nickte, reichte er ihm die Rolle und bat ihn den nächsten Text vorzulesen. Yeshu stand auf und blickte in die Runde. Er sah die unzähligen Augen und den Hunger nach Erlösung, den Durst, dass einer kommen möge, der sie befreit von den Fremden, den Unterdrückern, den falschen Königen und Statthaltern und dem Ballast ihrer Seelen.

      „Es ist vom Propheten Jesaja“, räusperte sich Yeshu. Dann sprach er sehr klar:

      „Der Geist des Herrn ruht auf mir;

      denn der Herr hat mich gesalbt.

      Er hat mich gesandt,

      damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe;

      damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde

      und den Blinden das Augenlicht;

      damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze

      und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“

      Viele nickten und tuschelten miteinander. Der Vorleser bat um Ruhe und fragte ihn, ob er es ihnen auslegen könnte. Da sagte Yeshu:

      „Der Geist des Herrn ruht auf mir und er hat mich gesalbt wie jedes seiner Kinder, welches er gesandt hat. Was ist die gute Nachricht, die ihr den Armen bringt oder seid ihr selbst die Armen, die auf die gute Nachricht warten?“

      Die Stille, die sich jetzt ausbreitete, war hörbar. Niemand wagte zu atmen. Betreten blickten die meisten zu Boden bis ein großer, kräftig gebauter Mann aufstand und auf Yeshu zuwankte. Er lief auf den Außenkanten seiner Füße und hielt seine Latschen in den Händen. Sein Mund murmelte Laute in einer fremden Sprache, die manchmal wie ein Lied klangen. Dann warf er seine Latschen von sich und schrie:

      „Mein Vater, mein wahrer Vater. Was ist? Was ist los? Was haben wir mit dir zu tun? Wenn du jetzt nicht gehorchst... er will nicht gehorchen... er wird nicht gehorchen! Ich weiß, wer du bist: der heilige Geist.“

      War sein Gesicht anfangs blass gewesen, wurde es nun puterrot und Schaum trat vor seinen Mund.

      „Ich sage dir, wer gemessen ist und gemessen wurde und gemessen wird“ schrie er weiter, „ich weiß das alles, aber ich sage es nicht. Ihr hurt nicht für mich. Ihr versteht überhaupt nichts.“

      Langsam ging Yeshu auf den Mann zu, der nur noch unverständlich vor sich hin schimpfte und wild gestikulierte. Er fuhr dem Mann durch das Gesichtsfeld, damit er aufmerksam wurde. Dann sah er ihm in die Augen. Er verstummte. Ruhig hob Yeshu seine linke Hand und legte sie dem Mann auf die Stirn. Der öffnete den Mund und wollte zu schreien anfangen.

      Da fuhr Yeshu ihn an:

      „Schweig und verlass' ihn!“

      Der Mann stürzte zu Boden und zuckte wild, bäumte sich kurz auf und legte sich dann und fiel in einen tiefen Schlummer.

      Kapitel 9

      Yeshu hatte mit den anderen gegessen, aber er war schweigsam gewesen. Barjona, Kephas und die anderen in der Familie beobachteten ihren Gast. Dieser Mann kleidete sich normal, er aß normal, doch irgendetwas war anders an ihm. Er sagte Sachen, die man selbst nicht einmal dachte. Was ging in ihm vor? Woher hatte er seine Gedanken? Sein Blick war manchmal schwer auszuhalten.