Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753132464
Скачать книгу
dem Hafen gegenüber kam ein Boot von dort ab. Zwei Leute saßen darin, ruderten aus Leibeskräften und hatten es nur ihrem zeitig genug vom Ufer Fahren zu danken, daß sie uns wirklich einholten, denn das Schiff lief wenigstens fünf Knoten durch's Wasser. Die Passagiere standen fast Alle an Deck und schauten gespannt nach diesem letzten Boten vom festen Land herüber. Der Capitain glaubte, es sei eine Depesche für ihn, und die Uebrigen zerbrachen sich den Kopf, was die Sendung zu bedeuten haben könne, denn Niemand befand sich im Boot, als eben die beiden Rudernden. Und was brachten sie? - einen Brief für einen der Zwischendecks-Passagiere.

      „He - Schulze - Schulze - ein Brief für Dich!" rief es aus einer Anzahl Kehlen, als das heranschießende Boot, von einem zugeworfenen Tau gehalten, mit dem Talisman fortgezogen wurde und Einer der Bootsleute an Bord gesprungen war.

      „Ein Brief für mich?" sagte der Angeredete, der sich jetzt hinzudrängte, anscheinend ganz erstaunt, ja fast erschreckt, „ich gehe nicht wieder zurück."

      Während noch einige der Uebrigen lachten, erbrach er den Brief und frug zugleich den Bootsmann, was er als Botenlohn zu beanspruchen habe.

      „Einen Dollar," lautete die tröstliche Antwort, die den armen Teufel von Passagier nicht wenig erschreckte. „Einen Dollar?" wiederholte er ganz verblüfft und las dabei zugleich den Inhalt des Briefes halblaut vor sich hin - „lieber Bruder, ich rufe Dir nochmals ein Lebewohl aus der Ferne zu - ich wünsche Dir eine recht glückliche Reise und gute Gesundheit - und das kostet einen Dollar? - und laß recht bald etwas recht Gutes von Dir hören. Es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein getreuer Bruder Franz. - Na, dafür will ich mein ganzes Leben lang nichts weiter thun, als Briefe transportiren - wie können Sie denn dafür einen Dollar fordern?"/10/ „Das ist Taxe," betheuerte der Mann, „und es war wahrhaftig keine Kleinigkeit, das Schiff mit solchem Fortgang noch einzuholen - seien Sie froh, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind."

      „Ich?" sagte der Passagier ganz erstaunt - „für einen Thaler zehn Silbergroschen das Stück wünsch' ich den Leuten das ganze Jahr hindurch eine „glückliche Reise" - ich wollte, Sie wären eine halbe Stunde später gekommen."

      Der Mann mußte jedoch seinen Dollar bekommen, und Herr Schulze fügte sich endlich seufzend darein, nachdem er dem Bootsmann noch vorher den, wenn auch vergeblichen, Vorschlag gemacht hatte, ihm den Brief für das halbe Porto wieder abzunehmen.

      Aus der Weser erst hinaus, wurde der Wind immer schärfer und besser. Wir mußten aufbrassen und liefen vor günstigster Brise wohl sieben bis acht Meilen.

      Dem nicht nautischen Leser hier übrigens gleich im Anfang wenigstens einen Begriff der nautischen Rechnungsart zu geben, werden ein paar Worte genügen. Der Lauf des Schiffes wird nach dem Log gemessen - jedes Conversationslexikon giebt darüber Auskunft -, und wenn es heißt, das Schiff läuft z. B. acht Knoten in der Stunde (nach den Merkmalen in der Logleine) - so sind damit englische Meilen gemeint; heißt es aber acht Meilen in der Wacht, so sind das geographische oder vielmehr nautische. Vier englische gehen aber aus eine nautische, und vier Stunden auf eine Wacht, so daß acht Knoten oder Meilen (englische) die Stunde - auch dasselbe ist, was acht Meilen die Wacht bedeutet, da man bei der Wacht nur nach nautischen Meilen rechnet.

      Donnerstag Abend um sieben Uhr liefen wir also in die Nordsee ein - am Freitag Abend mit Dunkelwerden sahen wir schon die Leuchtfeuer von Dover - etwas später auch die von Calais, und Sonntag Morgens, am 25., erreichten wir die Mündung des englischen Kanals.

      With the blue above and the blue below

      And silence reights whereever we go.“

      /11/So lagen denn all' die gefährlichen Dünen und Sandbänke der Nordsee - all' die grünen Untiefen des Kanals glücklich hinter uns - mit diesen allen aber auch die Heimath, und es war ein wahrlich nicht zu beschreibendes Gefühl das mich ergriff, als ich endlich einmal wieder auf dem blauen, so wundervoll blauen Ocean, aber auch so fern von den Meinen schaukelte, auf's Neue einem wilden, tollen Leben in die Arme gesprungen.

      Die Gefühle meiner Mitpassagiere schienen größtentheils anderer Art. Mit nur sehr geringen Ausnahmen wurden die meisten seekrank, und wen nicht das grimme Seeleid, den jagte gewiß die nichtswürdige Kälte unter die Decken, so daß das Verdeck die ersten Tage ziemlich verödet lag. Von günstigem Wind getrieben, schossen wir aber rasch dahin, und mit dem freudigen Bewußtsein, einen ziemlich fatalen Theil der Reise überstanden zu haben, mischte sich jetzt auch noch das beruhigende Gefühl, jeder Gefahr eines durch die dänische Blokade möglichen Aufenthalts glücklich entgangen zu sein.

      Mit derselben herrlichen Brise erreichten wir die Breite der Insel Madeira, die wir jedoch nicht zu Gesicht bekamen, und trafen hier den Nordostpassat, der uns eine rasche Fahrt versprach. Die Seekranken erholten sich auch sehr rasch wieder, und die gesund Gewordenen konnten jetzt erst beginnen, die Wunder des Meeres anzustaunen, die sich um sie her ausbreiteten.

      Besonders beschäftigte uns in dieser Zeit die Jagd auf eine Art Delphin, den sogenannten „Schweinefisch", weil er ein rüsselähnliches Maul hat. Ich harpunirte mehrere davon, wir bekamen aber keinen an Bord.

      Das Harpuniren dieser Fische ist übrigens schon an sich selber eine höchst interessante Jagd. Der Schweinefisch (wahrscheinlich der sogenannte Delphin der Alten, da ein wirklicher Delphin nie groß genug gefunden wäre, den Arion an's Land zu tragen, und diese „Springer" auch der Beschreibung eher entsprechen) durchstreift bei frischer Brise, wenn das Schiff rasch durch's Wasser geht, die See in zahlreichen Schaaren. Die Fische springen dann vorzüglich gern dicht vor dem Bug her und spielen in den schäumenden, hochaufspritzenden Wellen, /12/ denen sie sich oft, mit dem ganzen Körper über Wasser, vorauschnellen. Der Harpunirende aber steht vorn - ebenfalls vor dem Bug des Fahrzeugs, in den Ketten des Stampfholzes, unter dem vorstehenden Klüverbaum, und wartet bis ihm einer der herüber- und hinüberschießenden Schaar zum Wurf kommt. Unter dem Bugspriet muß dabei ein Block festgemacht sein, in welchem das an die Harpune geschlagene Tau läuft. An diesem Tau stehen an Bord Leute, des Rufs gewärtig, und sobald der Fisch die Harpune hat, ziehen sie in möglichster Schnelle denselben über Wasser, damit die Fluth, gegen die er jetzt angerissen wird, das Gewicht nicht noch vermehrt, das die schwache Harpune überdies schon zu halten hat. Zu gleicher Zeit muß ein Matrose draußen ebenfalls eine Schlinge bereit halten, sie dem Gefangenen, so wie er ihn nur erreichen kann, um den Schwanz zu werfen. Dieser aber schlägt dabei aus Leibeskräften um sich, und müht sich unausgesetzt - durch sein bedeutendes Gewicht höchst nachdrücklich unterstützt - wieder loszukommen. Es läßt sich denken, daß es dadurch mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, einen solchen gewaltigen Fisch an Bord zu holen, und wir haben fünf auf diese Art verloren.

      Das Fleisch des Schweinefisches ist ziemlich gut und es lassen sich besonders vortreffliche sogenannte ,,Beefsteaks" davon bereiten. Das Harpuniren ist, obgleich der Fisch im vollen Sprung getroffen sein will, keineswegs sehr schwierig, doch gehört eine sichere Hand und etwas Uebung dazu.

      Mitten in dem Jubel und Lärm der Passagiere ging in der nämlichen Zeit ein Mann herum, der sich um alles das nicht kümmerte, die Stellen vermied, wo lustige Leute beisammen waren, und stets still und abgeschieden, finster brütend und mit seinen eigenen, jedenfalls traurigen Gedanken beschäftigt, an irgend einem einsamen Plätzchen saß, wo er das auch immer aufsuchen mußte. Der Mann hatte das Heimweh. - Mir war er wohl schon lange aufgefallen, aber ich glaubte immer, er leide vielleicht noch an den Folgen der Seekrankheit, von der er sehr mitgenommen worden. Eines Tages aber kam er mit thränenden Augen zu mir und bat mich, ich möchte doch um Gottes willen den Capitain dahin zu bewegen suchen, /13/ daß er ihn mit dem nächsten Schiff, was uns begegne, zurück nach Deutschland schicke. - Er habe leichtsinnig gehandelt - er habe eine Frau und drei Kinder daheim zurückgelassen, während ihm jetzt die Erinnerung an sie das Herz zerreiße und er blutige Thränen weinen möchte, wenn er an den Abschied von den Seinen dächte. Die Kleinen waren ihm um den Hals gefallen und hatten ihn gebeten, daß er nicht von ihnen gehen möchte. - Jetzt sähe er ein daß er unrecht, daß er unverantwortlich gehandelt habe, und sei auch sein kleines Capital, was er auf die Reise verwandt, nun verloren, so wolle er doch lieber den letzten Pfennig daran wenden, wieder zurückzukommen, und dann im Vaterland bei den Seinen Tag und Nacht arbeiten, das Verlorene wieder einzubringen.

      Als