Nimm Dich selbst wahr
Genau diese Verschiebung Deines Fokus hin zu Dir selbst ist notwendig, um mit dem Stress in Deinem Leben jetzt und ein für alle Mal Schluss machen zu können. Wir bleiben häufig nur deswegen eine zu lange Zeit in Situationen die uns überlasten, weil wir verlernt haben, uns selbst, unseren Körper, unsere Kräfte, unsere Stimmung und selbst unseren Willen deutlich zu spüren.
Ein Kind spürt sich selbst. Und es äußert auf irgendeine Weise wenn eine Situation ihm nicht gut tut. Aber das ändert sich bereits sehr früh. Schon als Kinder haben wir uns in der Schule und auch später im Laufe unseres Lebens so häufig zusammen gerissen, haben so oft die Zähne zusammen gebissen, weiter gemacht, wenn wir eigentlich nicht mehr konnten, nur um noch schnell etwas zu Ende zu bringen oder weil wir dachten wir hätten keine andere Wahl, sind damit so oft über unsere eigenen Grenzen gegangen, haben so oft unsere Signale bewusst ignoriert und übergangen, dass unser Körper es irgendwann aufgegeben hat, uns weiterhin Signale zu senden die ohnehin nicht gehört werden und er sich stattdessen der Situation gefügt hat.
Für eine gewisse Zeit sind stressige Phasen für uns auch kein Problem, wir kommen damit klar, können sie kompensieren und den Stress anschließend wieder abbauen. Wenn der Stress jedoch anhält und unser Körper immer und immer weiter Stresshormone produzieren muss und sie nicht abbauen kann, wenn wir unsere verschiedenen Organe ohne es zu merken durch ungesundes Verhalten dauerhaft überstrapazieren, dann gerät unser Körper aus dem Gleichgewicht und kann sich irgendwann selbst dann nicht mehr selbst regenerieren, wenn wir es schließlich merken und kürzer treten.
Je stärker ein Mensch bereits als Kind zur Leistung angetrieben wurde oder anderen gefallen musste, und je weniger er als Kind eine Stimme für seine Bedürfnisse bekam, die auch gehört und beachtet wurde, desto höher ist die Gefahr, dass er später seine eigene Stimme und sein Gespür für sich selbst verliert und sich einfach irgendwann selbst nicht mehr wahrnimmt. Dann kann es sogar passieren dass wir ihn fragen wie er sich fühlt, wonach er sich sehnt oder was ER gerne möchte und er daraufhin sagt, er wisse es eigentlich nicht genau.
Es ist also unabdingbar, dass wir uns selbst wahrnehmen und spüren können, um zu große oder zu lang anhaltende Belastungen im Leben von uns fern halten zu können und rechtzeitig zu merken, ab wann sie uns schaden. Stärken wir also unsere innere Stimme, oder – wenn wir sie schon nicht mehr hören können - erobern wir sie uns zurück!
Dazu gibt es verschiedene Wege und wir müssen etwas üben! Ein Weg ist es, die Dinge die wir tun besonders langsam zu tun und uns durch nichts und niemanden von diesem Tempo abbringen zu lassen.
Ein anderer ist das ruhige und entspannte Sitzen oder Liegen, ohne jede Ablenkung wie Musik, essen oder trinken, und das Hineinspüren in unseren Körper. Wir sollten nichts herausfinden wollen, keinerlei inneren Druck aufbauen, nichts erreichen wollen, sondern uns einfach nur spüren.
Auch verschiedene Formen der Meditation (von geführten Meditationen über die Meditation im Yoga oder im Zen) können uns dabei helfen. Wichtig ist bei allen Methoden, dass wir sie regelmäßig ausüben wie ein Fitnesstraining. Mehrmals am Tag ein paar Minuten sind besser als alle fünf Tage eine halbe Stunde. Aber selbst das ist besser als nichts.
Und wir sollten diese Rituale langfristig und auch nach dem Ende unserer Auszeit beibehalten. Je mehr wir „trainieren“, desto stärker werden wir uns selbst wieder wahrnehmen. Nutze Deine Auszeit unbedingt dazu, Dich darin zu üben und Deine Stimme wieder zu hören. Es ist einfacher, sie in der Ruhe zu hören, als in stressigen Zeiten, daher ist Deine Auszeit ein idealer Ausgangspunkt, um mit dem Training zu beginnen und mit Deiner Aufmerksamkeit wieder zu Dir zurück zu finden.
Höre auf, wenn Deine Grenze erreicht ist
Sobald Du nun beginnst, Deine innere Stimme wieder zu hören und zu spüren, wann Dir etwas zu viel wird, musst du Dich entgegen Deiner Konditionierung überwinden und Dich langfristig dazu verpflichten, auf Deine Stimme auch zu hören. Wir müssen uns dazu durchringen, unserer angeborenen Stimme, die uns und unseren Körper schützen und uns vor Schädlichem bewahren und warnen möchte den Vorrang zu geben vor unserer zweiten, anerzogenen Stimme, die uns sagt „so kannst du das aber nicht abgeben“, „was sollen denn die anderen denken“, „es ist ja nicht mehr lang“, „reiß Dich zusammen“, „wie sieht das denn sonst aus“, „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ und so weiter und so fort.
Wir können unserer anerzogenen Stimme immer nur so lange folgen, bis sich unsere innere Stimme zu Wort meldet. Dann jedoch ist sie es, auf die wir hören und der wir nachgeben müssen.
Das hat natürlich gewisse Konsequenzen. Unsere Wohnung wird vielleicht an manchen Tagen nicht mehr ganz so sauber und unsere Arbeitsleistung nicht mehr ganz so perfekt sein. Wir werden vor dem Chef nicht mehr ganz so glänzend dastehen oder könnten sogar feststellen, dass unser Job gar nicht das richtige für uns ist. Wir werden es vielleicht in manchen Jahren nicht schaffen, unseren Kindern die Geburtstagstorte selbst zu backen und das Auto wird womöglich auch einmal für einige Wochen schmutzig herum gefahren, bis wir dazu kommen, es in die Waschanlage zu fahren. Wir werden nicht mehr jeden Tag gut gelaunt auftreten und auf andere vielleicht an manchen Tagen nicht mehr ganz so sympathisch wirken, werden vielleicht nicht mehr ganz so viel Bewunderung oder Komplimente bekommen.
Aber erstens sind die Konsequenzen in der Realität meistens viel kleiner, als wir uns ausgemalt haben. Und zweitens ist der Preis den wir für unsere Perfektion zahlen schlicht und einfach zu hoch! Verzichten wir also auf Perfektion und nehmen die Nachteile daraus in Kauf, aber gewinnen wir dafür unsere innere Balance, Ausgeglichenheit und Zufriedenheit und unsere Gesundheit und langfristige Leistungsfähigkeit wieder zurück.
Solltest Du es nicht schaffen, Dich über Deine anerzogene Stimme hinweg zu setzen und das Gefühl haben, ihr nicht widerstehen und nach kurzem inneren Ringen stets doch nachgeben zu „müssen“, dann solltest du Dir überlegen, einmal heraus zu finden, woran das liegen könnte. Ein guter Therapeut kann Dir dabei helfen.
Wenn das bei Dir der Fall ist, hast du wahrscheinlich Angst davor, dass etwas Schlimmes passieren könnte, Du zum Beispiel die Kontrolle verlieren und fallen oder Du von anderen abgelehnt und ausgeschlossen werden könntest, wenn Du es Dir erlaubst, Deine anerzogene Stimme zu übergehen. Und um das zu verhindern, übergehst Du stattdessen lieber Deine eigenen Kraftgrenzen.
Vielleicht hast du auch früher bereits erleben müssen, dass es schlimme Konsequenzen für Dich hatte, die anerzogene (und in der Kindheit noch von außen kommende) Stimme nicht zu befolgen. Du solltest in jedem Fall in Deinem eigenen Interesse lernen, Dich von dieser anerzogenen Stimme unabhängig zu machen und Dich in eine Situation bringen, in der Du immer selbst entscheiden kannst, ob und bis wohin Du der anerzogenen Stimme folgen möchtest – und ab wann nicht mehr.
Neben unserer Gewohnheit hat die Frage, ob wir aufhören wenn unsere Grenze erreicht ist, oder ob wir trotzdem weiter machen auch damit zu tun, wie wichtig wir uns selbst nehmen. Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass wir selbst für uns das Wichtigste sind, das wir haben. Dass wir in unserem eigenen, aber auch im Interesse unserer Kinder und Familien dafür sorgen müssen, dass es uns gut geht.
Kein anderer kann das im Alltag für uns tun. Wir müssen uns wichtig genug nehmen, um unsere Grenzen stets zu spüren und zu beachten, müssen UNS im Zweifel den Vorrang vor äußeren Notwendigkeiten geben und lernen, unsere Bedürfnisse bei anderen durchzusetzen. Wir müssen uns selbst Priorität geben.
Grundsätzlich kann es helfen, Dir in Deiner Auszeit eine kleine Liste anzufertigen mit den Einwänden und Befürchtungen die Du hast für den Fall, dass du Dir erlaubst, einfach auf Dich zu hören und Deiner angeborenen Stimme zu folgen, Dich ab einem gewissen Punkt Dir selbst zuzuwenden, die Außenwelt auszublenden und Dich vorübergehend ausschließlich um Dich zu kümmern. Teste es anschließend einfach einmal in der Praxis aus und kümmere Dich in Situationen, zu denen Du Befürchtungen notiert hast, trotzdem um Dich – und warte dann ab was passiert. Meist ist es gar nicht so schlimm wie Du vorerst dachtest.
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