Prinzessin Aischa, Tochter des mächtigen Fürsten des Banu Merin, brauchte nicht zu heucheln. Ihr Bäuchlein hatte Abdallah gefüllt. Nun stürzten die Tränen, weil ihr Geliebter schon wieder in die Ferne zog. Dass er seine blonde junge Gotin Biliana mit auf die Reise nahm, fand sie nur natürlich. Den Grund dafür deutete sie falsch. Für Aischa, wie für alle Harimsdamen, war es selbstverständlich, dass sie ihren Gatten mit den anderen teilen musste. Sie wollte sich nur nicht schon wieder von ihm getrennt sehen und wäre nur allzu gerne ebenso mitgekommen. Sie umklammerte ihn und wollte mitreisen. Das wies Abdallah barsch zurück. Ihr Zustand erlaubte keine Reiseabenteuer. Er machte sich energisch frei.
Abdallah hatte den eigentlichen Grund verschwiegen, aber wohl überdacht. Nicht sexuelle Gier sondern der Wunsch nach vorbeugender Entspannung machte die Gotensklavin zur Reisegefährtin seiner Wahl. Er fand die blässliche Blonde nicht sonderlich attraktiv. Nur nützlich. Mit ihren Diensten, das wusste er, blieb seine „Ware“ von ihm unberührt. Nur dann konnte er diese am Ziel noch immer jungfräulich, in dem Zustand übergeben, der ihrer Bestimmung entsprach.
Er eilte zur Kaserne. Biliana trabte brav hinterher. Innerlich hüpfte sie. So gut hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Um Rosanas Tyrannei zu entkommen wäre sie zu viel mehr bereit gewesen, wenngleich die Nächte mit Abdallah ihr nicht ein sonderliches Vergnügen bereiteten. Statt erhoffter Leidenschaft nur schale Pflichterfüllung.
Die Marschkolonne war schon aufgereiht. Er nahm den Gruß der Männer und die entsprechende Meldung seines für den Marsch verantwortlichen Offiziers gnädig entgegen. Seine gotische Bettgefährtin stieg zu zwei älteren Sklavinnen des Emirs auf einen der Karren, er selbst auf sein Pferd.
Aufbruch! Es rollte die Truppe vom Kasernenhof.
Sie waren früh aufgebrochen, mit dem ersten Morgenlicht, um die letzte Nachtkühle zu nutzen. Aber die Stadt erwachte noch früher. Durch deren enge Gassen mussten sie komplett hindurch, vom Kasernenhof im Süden zum Nordtor. Daher wartete eine kleine Einheit der Schurta, der jüdischen Stadtpolizei, vor dem Ausgang der Kaserne und setzte sich an die Spitze. Sie ritten bis hinter die Ebrobrücke voraus. Erst durch die schmalen Straßenzüge der westlichen Stadt der Muslime, dann durch das erste der drei nördlichen Stadttore über die hölzerne Fallbrücke auf den Uferdamm. Weiter gings unter der römischen Mauer nach Osten zum mittleren, dem nie geöffneten Nordtor der ehemaligen Römerfestung, das in den Palast-Park führen würde. Vor diesem verzweigte sich die gepflasterte alte Römerstraße. Der östliche Arm führte zum Nordtor der Christenstadt. Auf dem westlichen Damm zogen sie zur einzigen Brücke, mit der die Heerstraße in sieben mächtigen steinernen Bögen über den Ebro sprang.
Der Ausmarsch gestalte sich schwierig. Die Städter wimmelten bereits durch das Viertel. Die Basaris nahmen den Straßenrand für ihre Warenauslagen in besitz. Erste Duftwolken orientalischer Küchen-Kostbarkeiten mischten sich in den Straßendunst. Nur die Maultiere und Peitschen der Schurta machten es möglich, Raum für die Durchfahrt durch das Gewimmel zu bahnen. Auf dem Damm vor dem Tor wurde es noch schlimmer.
Die Ebrobrücke war um diese Tageszeit ein Art Verkehrstrichter in Richtung Stadt. Jenseits mündeten Dutzende Feldwege in die Fernstraße. Die Landbevölkerung strebte zu den Märkten und Basaren. Hochbeladene Karren beförderten Landprodukte herbei. Kleine Herden von Schafen und Rindern trotten dazwischen. Am oberen Fluss strebten flache Flusskähne zum Kai, an dem schon andere entladen wurden. Auch die Führer dieser Karren zwängten ihre Gespanne in den Verkehrsstrom. Östlich der Brücke dasselbe Bild bei den Schiffen der Kauffahrer vom Mittelmeer. Ein ununterbrochener Verkehrsstrom brandete ihnen entgegen, der nur ein Ziel kannte: Die Stadt.
Es dauerte. Die Schurta-Polizisten schafften es auch nicht. Gegen diese Menschen- und Tierwogen half keine Peitsche. Immer wieder saß die Kolonne fest. Erst nach Stunden, die Sonne schon hoch am Himmel, hatten sie die Brücke hinter sich. Dahinter schlug das Bild um in das Gegenteil. Abdallahs Kolonne hatte zu dieser Vormittagsstunde stadtauswärts freie Bahn. Nur einige wenige Händler-Karawanen zogen in ihre Richtung.
Er verabschiedete die Polizisten und ritt mit dem Transportführer Elim voraus, gefolgt von seinen beiden anderen Chassas. Die Karren, fast leer, folgten in raschem Lauf. Flott gings voran. Die Maultiere genossen den Aufbruch mindestens so sehr wie Biliana und trabten fürbass. Drei weitere Krieger folgten auf Maultieren mit einigem Abstand als Nachhut.
Abdallah sah zu Elim hin, seinem erwählten Reisemarschall. Der war mit gut 10 Wintern mehr der älteste der vier Mauren-Ritter. Bewusst daher erwählt. Als der zweite im Kommando brachte er Erfahrung mit. Die beiden anderen waren junge Absolventen der Kriegsschule. Abdallah hatte sie mit ausgebildet und kannte ihre Fähigkeiten wie ihre Schwächen genau. Alle vier verstanden sich als etwas Besonderes. Chassa, das waren ursprünglich die fertig ausgebildeten adligen Krieger der Berber. Vergleichbar einem Baron besetzten sie auch in Iberien die Offiziers- und Kommandostellen. Eine gewisse Bildung und ausgeprägte Überheblichkeit befähigte sie dazu.
Er warf einen Blick zum wolkenlosen Himmel und wandte sich an Elim:
„Das wird wieder ein heißer Frühsommertag. Wir dürfen die Tiere nicht überfordern. Von Mittag an drei Stunden Siesta, ohne das geht es nicht. Reite erst mal zügig weiter. Ich schau mir mal die Truppe an!“
Elim nickte und ritt voraus.
Abdallah verhielt am Rande und ließ die Kolonne passieren. Er spielte in Gedanken Spion und prüfte sie aus scharfem Auge gründlich auf Fehler. Er fand keine. Seine Chassas waren ausgestattet wie ärmliche Handelsfahrer, die Köpfe gekrönt von einem fadenscheinigen Turban. Nur er kam wie ein mittelreicher Fernhändler einher. Sie alle hatten einen Säbel in der Scheide am Sattel hängen.
Acht erfahrene, ihm gut bekannte Krieger hatte er als Gefolge ausgesucht. Fünf saßen auf dem Bock einer Zweirad-Karre und ließen die Maultiere traben. Sie waren Murabitun, Krieger der unteren Klasse und zumeist ehemalige Sklaven. Jeder war ein kriegserfahrener Legionär. Jeder ein alter Söldner und umsichtiger Unteroffizier. Kein Maure, kein Berber, kein Araber. Nur Franken, Slawen, Germanen, Iberer und Basken. Sie waren abgerissen eingekleidet, wie Karawanen-Sklaven. Jeder trug ein Messer im bunten, von Motten gelöcherten Gürtelschal. Ihre weiteren Waffen waren nicht zu sehen.
Schließlich kam die Nachhut heran. Nur sein scharfes Auge und das Wissen darum ließ ihn erkennen, dass die drei Reiter neben ihren Dolchen am Gürtel, zusätzlich einen Säbel verdeckt im Sattel stecken hatten. Er gesellte sich zufrieden mit dem Ergebnis zu den Dreien.
„Basco und du, Bartold, ihr kommt mit mir zur Spitze! Du, Eris, wirst fortan allein die Nachhut reiten!“
Ohne eine Erwiderung zu erwarten spornte er sein Pferd an. Die beiden Söldner folgten ihm. Bei Elim angekommen befahl er weiter:
„Ihr zwei reitet von nun an nach jedem Aufenthalt zügig voraus. Auftrag: Lagerplatz suchen, vorbereiten, Brennholz sammeln, mittags für die Siesta, abends zur Nacht. Abseits von Siedlungen und Straße, Bäume, Schatten, Gras für die Weide, ein Bach! Wiederholen!“
Im Duett erklang das Echo.
„Ab mit euch – und schont eure Maultiere!“
Wenig später trabten sie schon außer Hörweite voraus. Bartold pfiff fröhlich vor sich hin, stoppte, und sah zu Basco. Er musste erst auf Arabisch umdenken, um sich mit ihm unterhalten zu können.