Enophasia. Olaf Sandkämper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Sandkämper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847613831
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dein Leben für ihres geben wolltest!“

      „Wann denn?“, fragte Simnil erstaunt. „Ihr habt doch die ganze Nacht geschlafen wie die Murmeltiere!“

      „Sie hat es mir erzählt, als unsere Hörner sich berührten. Ich gab ihr von meiner Kraft ab, damit sie sich schneller erholt. Sie hatte all ihre Magie in dem Kampf gegen die Katze verbraucht.

      „Dann weißt du alles, was sich hier zugetragen hat, während du weg warst?“, fragte Simnil immer noch ungläubig.

      „Ich weiß alles, was auch Morgenröte weiß. Ihre Bilder sind nun auch in meinem Kopf.“

      Der Hengst wandte sich um und fragte: „Wollen wir ein Stück zusammen gehen?“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Silberstreif dem grünen Wald zu. Simnil schüttelte nur den Kopf, ihm fehlten die Worte. Dann folgte er dem Einhorn.

      „Wieso haben sich diese … diese Katzen in Nichts aufgelöst?“, fragte Simnil nach einer Weile.

      „Weil es keine Katzen sind“, war die Antwort. „Es sind Zauberwesen.“

      „Zauberwesen? Aber ich habe auf sie geschossen. Sie haben geblutet!“ Simnil war baff.

      „Es ist eben ein sehr guter Zauber. Scheinbar sind sie solange Katzen, bis man sie ins Herz trifft. Wenn das geschieht, lösen sie sich auf. Mehr weiß ich auch nicht.“

      „Jemand der so etwas kann, muss ein mächtiger Zauberer sein“, vermutete Simnil.

      Dann wechselte er das Thema. „Weißt du, warum der Wald schwarz wird?“

      „Nein. Wir Einhörner nennen es die ‚Ausbreitung der Finsternis' und beobachten das schon seit vielen Jahren. Der Wald wird nicht einfach nur schwarz. Als erstes fliehen die Tiere. Dann sterben die Pflanzen und Gräser. Als letztes verfaulen die Bäume. Es bleibt nichts übrig, als schwarze Wüste, auf der nie wieder etwas wächst. Auch der Wald, durch den wir her gekommen sind, wird schon bald vollständig verschwunden sein.“

      „Und was machen wir jetzt?“, fragte der Baumzwerg. „Heute ziehen wir nicht weiter“, erwiderter Silberstreif. „Meine Familie ist zu erschöpft. Wir werden uns ein Versteck im grünen Wald suchen und uns ausruhen. Es ist besser, wenn wir alle wieder bei Kräften sind, bevor wir uns wieder auf den Weg machen. Morgenröte wird all ihre Kraft brauchen, wenn ich wieder vorausgehen muss und sie mit den Fohlen allein ist.“

      Bei diesem letzten Satz sah Silberstreif Simnil aus den Augenwinkeln an. Der Zwerg kratzte sich am Ohr.

      „Weißt du“, begann er, „angesichts der Gefahr, in der ihr schwebt, ich meine, wenn ihr wollt, … dann begleite ich euch ein Stück.“

      „Danke“, antwortete der Hengst. „Ich nehme dein Angebot gerne an. Aber damit du es weißt, die Gefahr in der wir stecken, geht uns alle an, auch dich. Wenn die Finsternis immer tiefer in Enophasia eindringt, wird das Folgen für alle Lebewesen haben, für Elfen, Baumzwerge, Gnome, Nymphen, Wichtel, Wasserwesen und auch für alle Tiere und Pflanzen.“

      „Und für die Einhörner!“, vollendete Simnil den Satz. „Na ja, um die Gnome wäre es ja nicht schade, aber alle anderen sind mir ja doch mehr oder weniger sympathisch.“

      „Auch die Gnome haben ihren Platz in Enophasia“, erwiderte Silberstreif.

      „Ach die. Die leben doch nur davon, andere zu beklauen, um sich danach mit ihren eigenen Leuten um die Beute zu balgen. Außerdem stinken sie und verschleppen kleine Baumzwerge“, entgegnete Simnil.

      „Von euch Baumzwergen behauptet man, ihr würdet Vogelnester mit ganz frisch geschlüpften Küken ausnehmen, die ihr dann roh verspeist“, antwortete Silberstreif.

      „Igitt!“, antwortete der Zwerg angeekelt. „So etwas glaubst du doch nicht wirklich, oder…?“ Simnil war ehrlich entrüstet.

      „Wie viele Baumzwerge kennst du, die von Gnomen verschleppt wurden?“, war Silberstreifs Gegenfrage.

      „Keinen…“, gab Simnil kleinlaut zu. „Siehst du“, lächelte Silberstreif, „es muss nicht immer alles stimmen, was man über den anderen erzählt!“

      „Wo wollen wir eigentlich hin?“, versuchte Simnil das unangenehme Thema zu wechseln.

      „Wir suchen ein Kraut für Morgenröte. Es wird sie wieder auf die Beine bringen.“

      „Aha. Und wie heißt dieses Kraut? Vielleicht kann ich da helfen“, sagte Simnil, sehr von sich überzeugt.

      „Es heißt Elfenkraut und wächst dort, wo es schattig und feucht ist – am liebsten unter Weiden.“

      „Ich weiß, wo es wächst“, antwortete Simnil fast ein bisschen beleidigt. „Ich bin schließlich ein Waldläufer, hast du das schon vergessen? Ich kenne alle Kräuter im Wald! Und wenn du das ein bisschen früher gesagt hättest, könnten wir jetzt schon auf dem Rückweg sein. Wir sind nämlich eben daran vorbeigelaufen!“

      „Was? Wirklich?“, fragte Silberstreif erstaunt. „Ich kenne auch eine Stelle, aber bis wir die erreichen, dauert es noch eine Weile.“

      Simnil war stehen geblieben und sagte: „Komm mit! Ich zeig dir meine.“

      Nach kurzer Zeit hatten sie den Ort erreicht. Triumphierend hob der Baumzwerg einige Zweige einer Trauerweide hoch und zeigte dem Einhorn ein kleines Feld Elfenkraut.

      „Es wächst nie sehr üppig. Das hier ist schon ein großes Beet!“

      „Das größte, das ich je sah“, bestätigte Silberstreif.

      In Windeseile hatte Simnil aus seinem Beutel einen weiteren gezogen und ihn mit den Pflanzen gefüllt. Silberstreif war erstaunt, wie rasch der kleine Waldläufer dabei vorging. Schon hielt er ihm den gefüllten Sack voller Stolz entgegen.

      „Ich bin dir schon wieder zu Dank verpflichtet“, sagte das Einhorn. „Du hast mich nicht nur zu einer Stelle geführt, die nicht so weit weg liegt, dank deiner Schnelligkeit und deines Beutels brauchen wir auch nur einmal zu gehen und sind auch noch schneller wieder zurück.“

      Simnil erwiderte: „Also,... wenn du dich gerne bedanken möchtest, es gäbe da schon etwas, was du für mich tun könntest...!“

      „Und das wäre…?“ fragte der Hengst.

      „Wir Baumzwerge sind ja ziemlich schnell auf den Beinen. Aber verglichen mit euch Einhörnern sind wir ja wirklich lahme Enten. Du könntest mich ja mal auf einen gestreckten Galopp mitnehmen. Ich würde wirklich gerne mal wissen, wie es ist, so schnell zu sein.“

      „Aber gerne“, antwortete Silberstreif, „es wäre mir eine Ehre!“

      Simnil hängte sich die Beutel um. Dann sprang er mit einem, für seine Größe mächtigen Satz an Silberstreif hoch, fasste mit den Händen in die Mähne und schwang sich auf den Rücken.

      „Alles klar, es kann losgehen!“, sagte er. „Pass nur gut auf unseren Sack auf“, lachte Silberstreif und preschte los.

      Am Anfang fühlte sich Simnil noch ganz gut und rief, während die Bäume ziemlich schnell links und rechts vorbei rasten: „Also, ich habe mir das schneller vorgestellt!“

      „Etwa so?“ fragte Silberstreif zurück.

      Plötzlich verwischten die Umrisse der Bäume und es hatte den Anschein, als würden sie durch einen braungrünen Korridor fliegen. Silberstreif war jetzt so schnell, dass das Auf und Ab des Galopps nicht mehr zu spüren war.

      Simnil hatte das Gefühl, dass sie den Boden gar nicht mehr berührten. Außerdem wurde er immer wieder hin und her geworfen, weil Silberstreif ja den Bäumen ausweichen musste. Bäume, die Simnil aufgrund der Geschwindigkeit nicht einmal mehr sah. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, in einen Tunnel zu blicken, der vor ihm immer länger wurde. Schon längst hatte er seinen festen Sitz auf dem Einhornrücken verloren und konnte sich nur noch mühsam mit den Händen in die Mähne krallen, um nicht